Residenztheater Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth


 

Am Ende fehlte die Kraft

Was bleibt dem Individuum am Ende eines sozialen Abstiegs? Sein Körper. Das letzte Kapital, mit dem man wuchern kann. Ist man eine Frau, zudem jung und ansehnlich, finden sich leicht Käufer in einer Gesellschaft, die beinahe gänzlich auf das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage reduziert ist. Doch auch dieser Weg hält höchst selten ein befreiendes Licht am Ende parat. In der Regel bleibt der, der nichts weiter anzubieten hat als seinen Körper, auf der Stecke, „bleibt liegen“ in Ermangelung von Kraft, wieder aufzustehen. Auch in Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ möchte die Protagonistin Elisabeth ihren Körper verkaufen, allerdings an die Anatomische Gesellschaft zu Studienzwecken und erst nach ihrem Tod. Sie war der Mähr aufgesessen, dass dies Praxis sei und man vorab Geld bekommt. 150 Mark erhofft sie sich. Diese braucht sie, um einen Wandergewerbeschein zu erstehen, den sie benötigt, um das Gewerbe des fliegenden Miederwarenhandels ausüben zu können.

Der Präparator, dem sie ihr Anliegen vorträgt, ist ein gutherziger Mensch. Er leiht ihr das Geld. Als er jedoch erfährt, dass sie das Geld zur Begleichung einer Geldstrafe verwendet hat, fühlt er sich betrogen und zeigt Elisabeth, die sich den gleichen Betrag unter demselben Vorwand bei der Miederwarenhändlerin Irene Prantl geborgt hatte, wegen Betrugs an. Elisabeth wird zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Da sie zuvor bereits zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, gab es keine Bewährung. Die Geldstrafe musste sie zahlen, weil sie ohne gültigen Wandergewerbeschein gearbeitet hatte. Sie war in diesem absurden Gesetzesdschungel gestrauchelt und gefallen. Jetzt gab es für sie als Vorbestrafte keinen Weg mehr zurück in die bürgerliche Gesellschaft. An diesem Tiefpunkt erscheint der Schupo Alfons Klostermeyer, der in Elisabeth einen höchst willkommenen Ersatz für seine unlängst verstorbene Verlobte sieht. Die kurze „Liebe“, für Elisabeth verheißt sie soziale Sicherheit, endet abrupt, als Schupo Alfons von ihrer Vorstrafe erfährt. Die Angst um seine kleine, recht bedeutungslose Existenz als Staatsbeamter obsiegt über die zärtliche Zuneigung. Elisabeth bleibt auf der Strecke.

Es braucht nicht unbedingt viel Fantasie, um die gesellschaftliche Aktualität zu sehen. Das Wort Prekariat, im Programmheft benutzt, um die soziale Stellung Elisabeths zu definieren, geistert schon seit längerem durch die alltäglichen politischen Diskussionen. Kurioserweise sehen einige Mitbürger in dieser Bezeichnung eine Diskriminierung der Bezeichneten. Das Substantiv, abgeleitet von dem Adjektiv prekär, sickerte in der napoleonischen Zeit von Frankreich aus in die deutsche Sprache ein. Das französische précaire ist von dem lateinischen precarius/precari abgeleitet, was so viel wie „bittweise erlangt“/„flehentlich bitten“ bedeutet. Im römischen Recht wurde damit eine sozial-ökonomische Existenzform begründet, bei der ein Prekarist, ein Nutzer, von einem Eigentümer bewegliche oder unbewegliche Sachen erbitten und nutzen konnte, allerdings, und das ist der heikle Punkt bei der Angelegenheit, auf Widerruf. Der Prekarist hat also keinerlei Sicherheit. Schaut man sich einmal das Heer der Harz IV-Empfänger an, die in Leiharbeit, in Mini- oder Aushilftsjobs ohne die geringste Sicherheit versuchen, ihren Lebensunterhalt zu sichern, dann ist es wohl nicht vermessen zu behaupten, dass die deutschen Sozialdemokraten mit ihrer Agenda 2010 dem Prekariat als feste Größe in der Gesellschaft zu einer echten Renaissance verholfen haben.

  Glaube Liebe Hoffnung  
 

v.l. Arnulf Schumacher (Oberpräparator), Valerie Pachner (Elisabeth), Markus Hering (Präparator)

© Thomas Dashuber

 

Doch keine Bange, Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ muss in der Inszenierung von David Bösch nicht dazu herhalten, um Realpolitik auf den Prüfstand zu bringen, wie es momentan häufig in den Kammerspielen geschieht. Bösch hat eine poetische Bilderschau auf die Bühne gebracht, die Horváth nicht verrät oder ihn von den Beinen auf den Kopf stellt. Horváth hatte seine Laufbahn als Dramatiker durchaus mit politisch aufgeladenen, zeitkritischen Stücken begonnen, sah sich allerdings zum eigenen Entsetzen mit einer eklatanten Wirkungslosigkeit konfrontiert. Also unterließ er seine „Tragödien“, die auf politischen Effekt zielten, und wandte sich seinen „Komödien“ zu, die er als Volksstücke anlegte. Allerdings verkehrte er die heimelige Idyllenhaftigkeit in psychische und physische Brutalitäten, die umso schockierender erscheinen, weil sie mit den landläufigen Sentimentalitäten gepaart sind. „Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schreibe, das ist die Dummheit und die Lüge. Zwei, wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und Aufrichtigkeit.“ Horváth nannte sein Anliegen die „Demaskierung des Bewusstseins“.

Die Bühne von Patrick Bannwart war fast leer und gänzlich schwarz. Links ein Waschbecken an der Wand, rechts ein Papierkorb mit Aschenbechereinsatz, aus dem Bedürftige sich gelegentlich Kippen klauben können. An der Rückwand prangt ein übergroßes „Hope“, eingeritzt oder hingekritzelt wie ein Graffiti. Darunter ein Tisch und ein Stuhl, im Verlauf des Stückes ein Büro vorstellend. In der ersten Szene schob Markus Hering als Präparator einen Seziertisch auf die Bühne und hantierte an einer sehr realistisch gestalteten Frauenleiche herum. Er wusch sie, sammelte Leichenstücke aus dem Eimer, der das Blutwasser auffing und fütterte damit die Tauben. Hering war in dieser Rolle wahrlich in seinem Element. Wenn er im Blutwasser watend von seinem guten Herzen sprach, wurde deutlich, welcher Natur der Horváthsche Naturalismus ist. Valerie Pachners Elisabeth wirkte zerbrechlich, ihr Überlebenswille war es ebenso. Doch sie war mit keinem der sprichwörtlichen Wassern gewaschen, um zu widerstehen wie Marie, die Kleinkriminellen, deren Skrupel auch bei Prostitution nicht endeten und die ihrem Schicksal ebenfalls nicht entging. Hanna Scheibe, in blonder Plastikperücke, giftgrüner Flokatijacke, Leggins und kniehohen Stiefeln gewandet (Kostüme Cátia Palminha) war das traurige Abziehbild einer verblühenden Vorstadtschönheit. Prachtvoll weiblich indes war Katharina Pichlers Miederwarenhändlerin Irene Prantl. Als sie ihren Auftritt hatte,  schwebten Miederwaren mit Scontoschildern aus dem Bühnenhimmel herab. Sie selbst war die beste Werbung für ihre Produkte. Im Angesicht von so viel Weiblichkeit wurde schnell deutlich, warum die zarte Elisabeth in diesem Gewerbe nicht vom Erfolg verwöhnt wurde.

Regisseur David Bösch hielt fest am Naturalismus und setzte auf düster-brutale Atmosphäre. Doch das funktionierte nur bedingt, denn die poetischen Bilder, die kaum „Unterschichtencharme“ entfesselten, fesselten den Zuschauer nicht wirklich und nicht durchgängig. Behäbig ging die Geschichte dahin und lediglich einem Darsteller gelang es, mit seiner Figur lebendig und verständlich zu werden. Till Firits Schupo Alfons Klostermeyer erinnerte daran, dass Horváths Drama eine „Komödie“ ist, die sich zwar „Totentanz“ nennt, aber durchaus komische Momente hat. Firit legte diese Momente offen und gestaltete sie. Das gelang nur noch Markus Hering, der jedoch einen weitaus kleineren Part hatte.

Das Anliegen, eine Gesellschaft der Brutalität, des Egoismus und der tödlichen Bürokratie als solche zu entlarven, blieb weitestgehend Behauptung. Daher gelang es nicht wirklich, die Kollaboration der Zuschauer an diesem System, das durchaus heutig ist, anzusprechen. Das Bewusstsein der Zuschauer wurde nicht demaskiert. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen gefiel die Inszenierung dem Premierenpublikum. Bravos waren zahlreich, sowohl für Darsteller wie auch für den Regisseur.  

Wolf Banitzki

 


Glaube Liebe Hoffnung

von Ödön von Horváth

Valerie Pachner, Till Firit, Arnulf Schumacher, Markus Hering, Thomas Huber, Katharina Pichler, Hanna Scheibe, Wolfram Rupperti

Regie: David Bösch