Residenztheater Macbeth von William Shakespeare
Die dunkelste Seite des Menschen
Es fällt schwer zu glauben, dass ein Mensch, abgenabelt von allen moralischen Werten und Verpflichtungen, gänzlich dem Bösen verschrieben ist. Die Gesellschaft sucht unentwegt nach Gründen, warum der konkrete „böse“ Mensch so geworden ist und steigt dabei tief in dessen seelische Gründe hinab, den Moment aufzuspüren, in dem das „Gute“ den Todesstoß empfing. Wir glauben ihn in Kindheit und Jugend, manchmal auch schon in der Ahnenreihe zu finden und erklären, ja, rechtfertigen und entschuldigen sogar. Dabei lassen wir häufig außer Acht, dass es grundsätzlich eine viel simplere Veranlassung gibt, warum das „Böse“ in der Welt ist, nämlich die Freiheit der Entscheidung. Als „moralische Menschen“ haben „wir“, die Urteilenden, diese Freiheit nicht, denn wir sind in der Moral des „Guten“ gefangen. Es ist die Möglichkeit und die Freiheit, die junge Menschen dazu treibt, sich auf die Seite des „Bösen“ zu schlagen, z.B. auf die Seite des so genannten „Islamischen Staates“, um endlich „gute Gründe“ zu haben, um „guten Gewissens“ für eine „gute Sache“ dreidimensional, nach zweidimensionalen PC-Animationen, zu töten. Ja, der Wahnsinn hat Methode und er ist alt; älter als die Werke Shakespeares.
Wenn Macbeth die drei Hexen erscheinen, ist das nur ein dramaturgischer Trick, denn irgendwie muss die Geschichte des siegreichen schottischen Kriegsherrn ja glaubhaft erzählt werden. Tatsächlich sind es innere Stimmen, die, ausgelöst durch den Adrenalinrausch der letzten Schlacht, den Mann befeuern, seinen Machtfantasien freien Lauf zu lassen. Wer kann ihn aufhalten? Er schlug die Norweger und den tückischen Than von Cawdor. Der Titel stünde eigentlich ihm zu! Und nicht nur der, denn er schlug die Schlacht für den König. Warum sollte ihm nicht auch dieser Titel gebühren? Macbeth nimmt es als ein Zeichen, als König Duncan ihn noch vor seiner Rückkehr zum Than von Cawdor macht. Anfangs stört auch nicht die Prophezeiung, die Banquo, der Waffengefährte, zum Stammhalter des kommenden Königsgeschlechtes erhebt.
Lady Macbeth ist mehr als angetan von der Idee, schürt ihrerseits seinen Ehrgeiz. Sie hat, was ihm fehlt: Skrupellosigkeit und Kaltblütigkeit. Das Morden beginnt und bald schon setzt sich Macbeth die Krone auf das Haupt. Doch dann erinnert er sich daran, dass Banquos Nachkommenschaft auserkoren ist für das Amt und er wittert überall Verrat. Der Tyrann ist jetzt im Zenit, sein Wahnsinn allumfassend und je mehr er versucht, durch das Beseitigen seiner vermeintlichen Feinde, Sicherheit zu schaffen, umso instabiler wird seine Lage. Längst hat sich in England ein Heer seiner Widersacher formiert. Die Weissagung, dass keinerlei Gefahr besteht, solange sich der Wald von Biram nicht auf das Schloss zubewegt, noch getoppt von der Prophezeiung, dass Macbeth nie von einem Mann getötet wird, der von einem Weib geboren wurde, war zuletzt noch ein genialer Dramaturgiestreich, um der Geschichte einen starken Plot zu geben.
Thomas Gräßle, Thomas Loibl (Macbeth), Jeff Wilbusch © Thomas Dashuber |
Andreas Kriegenburg setzte das blutige Drama als psychologische Studie in Szene. Harald B. Thors Bühne bestand aus einem großen waffenstarrenden Plateau, das gehoben, gesenkt gedreht und gekippt werden konnten. Kriegenburg stellte die Geschichte, ihre Wendungen und Kapriolen im wahrsten Sinn des Wortes aus wie auf einem Tablett. Die Geografie der Geschichte war weitestgehend bedeutungslos; die Zeiten ertranken im Blut und von Belang waren nur die geschundenen Seelenlandschaften. Davon gibt es etliche im Stück und so mutete das Spiel, von dem jedermann weiß, wie es enden wird, wie eine psychologische Achterbahnfahrt an. Sämtliche männlichen Rollen waren in schwarzen Anzügen gewandet. (Kostüme: Andrea Schraad) Das machte es nicht unbedingt leichter, die Figuren (von der 14. Reihe aus) auseinander zu halten. Doch es war ein Spiel der Männer, die, ob Tyrann oder nicht, erst einmal sehr ähnlich tickten. Als aber Macbeth zu schwächeln begann, stieg auch Lady Macbeth in so ein maskulines Gewand, um in ihren Untergang zu schlittern.
Die Zeit spielte ebenso wenig eine Rolle, wie die Orte, an denen die Handlung stattfand, denn sie war total aus den Fugen geraten. Im Dampf des Blutes ging keine Sonne mehr auf und alles versank in fiebrig-düsterem Aktionismus der nur noch ein Ziel hatte, den Aderlass zu enden. (Licht: Gerrit Jurda)
Qualvoll war die Handlung allemal und es war sehr beeindruckend mit anzuschauen, wie Thomas Loibl seinen Macbeth in den physischen und vor allem psychischen Ruin trieb. Sophie von Kessel war die geborene Lady Macbeth, unbarmherzig und ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste. Beide verloren einander im ekstatischen Rausch der Negation, bis sie sich zuletzt noch selbst verloren. Um sie herum gab es wenige deutliche Schicksale, die in ihrer katartischen Wirkung dem tyrannischen Paar das Wasser reichen konnte. Eines war das der von Hanna Scheibe gestalteten Lady Macduff, die durchgängig blutüberströmt wie ein antiker Chor agierte, die Vorgänge kommentierte und sie entlarvte, bis sie sich selbst dem Zynismus ergab. Immerhin hatte sie der eigene Mann verraten und sich nach England abgesetzt. René Dumonts Macduff war es schließlich auch, der Macbeth zur Strecke brachte und mit seinem Dolch der fruchtlosen und mörderischen Ära ein Ende setzte. Er konnte dies wider die Prophezeiung tun, denn er war vor der Zeit aus dem Leib seiner Mutter geschnitten worden. Man nennt das Kaiserschnitt. Die Sterbeszene hatte allerdings etwas bedauerlich Opernhaftes und zog sich peinlich in die Länge.
Die Düsternis, mit der Andreas Kriegenburg das Drama zelebrierte, war gänzlich der Interpretation Peter von Matts geschuldet, der dieses Drama die „Geburtsstunde des europäischen Nihilismus“ nannte. Trotz aller blutigen Schwere, die das Publikum wie eine Dampfwalze überrollte, verzichtete Kriegenburg nicht auf Shakespearsche Komödiantik. So hatte Alfred Kleinheinz als Pförtner eine skurrile „Torwächterszene“. Jeff Wilbusch und Thomas Gräßle gaben Mörder, die in ihrer menschlichen Schlichtheit etwas Kleinganovenhaftes hatten und doch eiskalte Vollstrecker waren.
Andreas Kriegenburg, die Erwartungen an ihn sind ja inzwischen die höchsten, enttäuschte nicht, wenngleich seine Sicht auf das Stück eine stark eingeschränkte war. Aber genau das überraschte und überzeugte auch, denn indem er die dunkelste Seite des Menschen sichtbar machte, und zwar mit sehr beachtlicher Ästhetik, traf er den Nerv der Zeit. Trotz aller Vernunft, an die wir seit der Aufklärung so willig glauben wollen, schießen die Tyrannen wie Pilze aus dem Boden, selbst in alten kultivierten Landschaften. Das mörderische Geschäft der machttrunkenen Wahnsinnigen unter den Fahnen von IS oder Boko Haram ist keineswegs weniger brutal und zynisch. Insofern ist Kriegenburgs „Macbeth“ am Münchner Residenztheater gut für eine Katharsis, ein Erwachen, für die Erkenntnis, dass „starke Männer“, Männer, die glauben, die Geschicke der Welt allein in ihre eigenen Hände nehmen zu können, die Welt nur in den Untergang führen.
Darüber sprach bereits Aischylos im ersten vollkommen erhaltenen Theaterstück „Die Perser“, inzwischen zweieinhalbtausend Jahre alt. Er warnte seinerzeit vor der Hybris und versprach bei Zuwiderhandlung den Untergang.
Wolf Banitzki
Macbeth
von William Shakespeare
Übersetzung Thomas Brasch
Thomas Loibl, Sophie von Kessel, Thomas Lettow, Arnulf Schumacher, Mathilde Bundschuh, Pauline Fusban, René Dumont, Hanna Scheibe, Max Koch, Till Firit, Jeff Wilbusch, Thomas Gräßle, Alfred Kleinheinz Regie: Andreas Kriegenburg |