Residenztheater Junk von Ayad Akhtar
Die Zerstörung als Geschäftsmodell
„Junk“ von Ayad Akhtar, dessen Stück „Geächtet“ im Februar 2016 von Antoine Uitdehaag mit großem Erfolg auf die Bühne des Residenztheaters gebracht worden war, wurde nun von Tina Lanik in Szene gesetzt. Es ist die Geschichte des Hedgefond-Managers Robert Merkin. Vorbild für die Figur war der „König der Junk-Bonds“ Michael Milken, der mit riskanten Hochzinsanleihen bis zu 100 % Renditen erwirtschaftete. 1989 wurde Milken vom New Yorker Bezirksstaatsanwalt Rudolph Giuliani, auf Grundlage des „RICO Acts“, ein 1970 erlassenes Bundesgesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Mafia), wegen Finanzbetruges vor einem Bundesgericht angeklagt.
Milken gelang ein Deal, nachdem er sich in nur fünf Punkten für schuldig erklärt hatte. Gegen Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 200 Mio. Dollar wurden große Teile der Anklage fallen gelassen. 400 Mio. Dollar wurden für Vergleiche in Zivilprozessen fällig und 47 Mio. Dollar Bußgeld musste Milken zahlen, weil er als Berater gegen seinen lebenslangen Ausschluss vom Wertpapierhandel verstoßen hatte. Von der 10jährigen Gefängnisstrafe saß er lediglich 22 Monate ab. Sein geschätztes Vermögen belief sich 2010 auf 2 Milliarden US-Dollar. Rudolph Giuliani wurde Bürgermeister von New York und die Impulse, die Milken der US-Wirtschaft gab, führten zum Bankencrash und zum Platzen der Immobilienblase. Sehr viele Menschen verloren ihr Geld und sehr viele auch ihre Wohnungen. Dennoch ist das Geschäftsmodell geblieben und Banken zocken munter weiter.
Robert Merkin, als einen hellwachen und aalglatten Moralisten mit Überzeugung von Till Firit gespielt, plant die feindliche Übernahme eines seit drei Generationen in Familienbesitz befindlichen Stahlkonzerns. Besitzer ist Thomas Everson Jr., von Oliver Nägele als ein wirtschaftlicher Dinosaurier mit dünner Haut und Selbstzweifeln gestaltet. Der Konzern kriselt im Bereich Stahl, kann aber die Verluste mit Gewinnen aus der gutgehenden Pharma-Sparte ausgleichen. Merkins Schachzug ist der wohl denkbar perfideste, denn er organisiert Kredite, die er mit den zu erwartenden Vermögenswerten der übernommen Firma zu tilgen gedenkt. So zahlt die übernommene Firma quasi die eigene feindliche Übernahme. Nach der Übernahme wird der Konzern zerschlagen und die einzelnen Teile gewinnbringend verkauft. In Merkins Verständnis ist das ein notwendiger und der Gesundung der Wirtschaft dienender Schritt, denn kranke Teile der Wirtschaft werden so abgewickelt. Abgewickelt werden auch die Belegschaften, Lebensentwürfe dabei massenhaft ruiniert, während der Organisator dreistellige Millionenbeträge einstreicht. Vorbild Milken kassiert 1986 satte 550 Mio. Dollar an Gehalt und Bonus.
Ensemble © Thomas Aurin |
Natürlich kann ein Mann allein so eine Gipfelbesteigung nicht schaffen und so hatte Merkin ein Heer abrufbarer Tenzing Norgays. Boris Pronsky war einer seiner Sherpas. René Dumont gab ihn als schmierigen, geldgeilen Adlaten, der auf seine große Chance lauerte, endlich auch einmal als bedeutsamer Frontmann einer feindlichen Übernahme zu fungieren. Doch auch er kam ohne einen Handlanger nicht aus, denn die Wege des Geldes mussten schließlich unergründlich bleiben. Mark O'Hare war der Mann fürs Grobe, für Kauf und Verkauf von Aktien zuständig. Thomas Huber ließ ihn vor Grobschlächtigkeit und Indifferenz strotzen. Er war letztlich auch die Schwachstelle, an der Ermittler Kevin Walsh ansetzte, um die Schleier zu lüften. Philip Dechamps gab einen ambitionierten und korrekten Staatsdiener, der seinen Vorgesetzten, den Staatsanwalt Giuseppe Addesso, beinahe an den Tatort tragen musste, um dessen Aufmerksamkeit für die gewaltigen Dimensionen des verbrecherischen Treibens zu erregen. Michele Cuciuffo war jedoch mehr Politiker als Rechtsdiener und letztlich Gewinner, fiel doch beim Deal eine reichliche Wahlkampfspende ab, die ihm den Einzug ins Amt sicherte.
Robert Merkin agierte wie ein Jongleur, gab es doch etliche Bälle im Spiel zu halten. Einer von ihnen war Murray Lefkowitz, der sich mit 50 Mio. an der Übernahme beteiligt hatte und dessen Frau ihm wegen erwartbarer Arbeitsplatzvernichtung die Hölle zu bereiten drohte. Arthur Klemt spielte den Mann mit großer Bandbreite von heulendem Elend bis aufgeblasenem Großkotz, dessen Gier letztlich obsiegte und der noch einmal eine große Summe nachlegte. Merkin musste allerdings auch bei der eigenen Frau Amy Ängste besänftigen, die sich vor Armut (alles was sich jenseits von Reichtum befindet) ebenso fürchtete wie vor dem Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung. Katrin Röver gestaltete die Figur als mütterlicher Typ, die ihrem am Rande der Verzweiflung wandelnden Ehemann auch schon mal die Brust gab, um ihm Aufgehobenheit und Sicherheit zu suggerieren.
Israel Petermann war der Name des Mannes, der zukünftig die Geschicke des Stahlkonzerns nach der Übernahme leiten sollte. Gunther Eckes, in Rot gewandet, war indes auch nur ein Strohmann, dessen Nerven bisweilen blank lagen. Auch er musste von Merkin immer wieder in die Spur gebracht werden. Dabei soll unbedingt angemerkt werden, dass Ayad Akhtar keine dieser Figuren, mochten sie eine noch so verwerfliche Rolle spielen, billig denunzierte. Zu keinem Zeitpunkt trat es als moralischer Richter auf. Irritierend war indes auch der latente Antisemitismus in der Branche, der unterschwellig immer wieder aufglimmte. Auch hier wurde nicht in Schwarz-Weiß gemalt, sondern im Zweifel einfach nur im Raum stehen gelassen.
Der Gegenpartei, die Wirtschaftsfraktion des alten und gewachsenen Geldes, mangelte es indes an Fantasie, um den Ausgang der Geschichte zu sehen. Und so war es nur natürlich, dass der vermögende Leo Tresler seinen Freund Thomas Everson Jr. im Regen stehen ließ, als die Freundschaft zu teuer wurde. Manfred Zapatka verkörperte den Milliardärstyp, dessen Vermögen noch auf wertschaffender Arbeit basierte und der sich darum für einen verdienstvollen Schöpfer der Nation hielt. Seine Schwäche: die bezaubernde und furchtlose Journalistin Judy Chen, von Cynthia Micas gespielt. Sie arbeitete an einem Enthüllungsbuch, das ihr letztlich „abgekauft“ wurde und nicht erschien. Jeder scheint seinen Preis zu haben in der dramatischen Welt Ayad Akhtars. Und es steht zu befürchten, dass er Recht hat.
Tina Laniks Talent für große Bilder wurde von Stefan Hageneier wieder einmal kongenial umgesetzt. Der ganze Bühnenraum war eine Säulenhalle und die runden Räume bewegten sich auf der Drehbühne gleichgerichtet oder auch entgegengesetzt wie Zirkel, innere und äußere. Das Bild vergegenwärtigte einen großen Mechanismus, bestehend aus Abgrenzung, aus Bewegung und aus unerfindlicher Antriebskraft. Das ist zumindest das Bild, wie man es gern den restlichen Erdenbewohnern vorgaukeln möchte. Gottes Mühle, kalt und unmenschlich! Szenen- und Ortswechsel wurden über eine geschickte Lichtregie (Tobias Löffler) realisiert. Auf Requisiten wurde gänzlich verzichtet, was die Bilder noch unterkühlter machte. Ein zeitweise von der Decke herabhängendes ausgeweidetes Schwein war indes eine leider etwas banale Metapher. Mit dem Körper wurde die die kalte, abstrakte Welt des Geldes, die so perfekt und vollkommen gelungen war, wieder auf eine sinnlich erfahrbare Ebene gebracht.
Es war nicht immer ganz einfach, der Gehirnakrobatik der Welt des Geldes zu folgen, denn immerhin ist hier eine Welt geschaffen worden, die eigenen Gesetzen folgt, Gesetze die nicht der Natur entspringen, sondern pervertierten, religiösen Gehirnen. Und sie haben nur ein einziges Ziel, Geld zu raffen. Das Geld ist der letzte Gott. Das Geschäftsmodell ist Zerstörung, und wenn die Renditen stimmen, machen scheinbar alle mit, oder? Die Frage musste sich wohl jeder im Publikum stellen, denn es ist die Gretchenfrage unserer Zeit. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die Zerstörung des Planeten. Und dabei wird nichts, aber auch gar nichts ausgespart.
Wolf Banitzki
Junk
von Ayad Akhtar
Deutsch von Michael Raab
Till Firit, Bijan Zamani, Gunther Eckes, René Dumont, Oliver Nägele, Götz Schulte, Janina Schauer, Manfred Zapatka, Michele Cuciuffo, Philip Dechamps, Cynthia Micas, Katrin Röver, Thomas Huber, Paul Wolff-Plottegg, Arthur Klemt, Arnulf Schumacher, Peter Blum Regie: Tina Lanik |