Residenztheater Der nackte Wahnsinn von Michael Frayn
Leben trifft auf Spiel – oder umgekehrt
Martin Kušej läutete seinen Abschied ein und er machte dies mit einem echten Theaterkracher. „Der nackte Wahnsinn“, im Original „Noises Off“, von Michael Frayn ist Theater auf dem Theater und in Martin Kušejs Lesart eine echte Liebeserklärung. Er kann sich auch wahrlich nicht beklagen, denn in seiner Intendanz bescherte er sich einige wunderbare Erfolge und dem Münchner Publikum Theater vom Feinsten. Seine letzte Inszenierung spricht indes von den Mühen, Tücken und Kabalen, die der Beruf des Regisseurs, den Intendanten lassen wir einmal außen vor, mit sich bringt. Und weil Martin Kušej keine halben Sachen macht, riss er sich die Geschichte hemmungslos unter den Nagel und machte sie zur eigenen. So hieß der Regisseur des Stückes „Nackte Tatsachen“, das in der Geschichte von „Der nackte Wahnsinn“ inszeniert wird, Martin. Sämtliche Darsteller sprachen sich, wenn sie in den Rollen der Darsteller auf der Ebene „Der nackte Wahnsinn“ agieren, mit ihren tatsächlichen Vornamen an oder alternativ mit Schatz oder Schätzchen.
Um der unausweichlichen Verwirrung vorzubeugen, hier ein kurzer Abriss der Handlung: Im ersten Akt des Stückes „Der nackte Wahnsinn“ probt eine Theatertruppe unter der Regie Martins eine „Schlafzimmerfarce“, wie Michael Frayn sein Stück nannte. Spielort ist das Haus des Stückeschreibers Franz Xaver Hötz, der eigentlich in Spanien lebt, besser, auf der Flucht vor dem Finanzamt nach Spanien getürmt ist. Wer nun meint, es handle sich bei dem Autor um …, weit gefehlt, denn Namensgleichheiten sind purer Zufall und natürlich unbeabsichtigt. Hötz wird von dem hochsensiblen, häufig nasenblutenden Thomas gespielt, der wiederum von Thomas Loibl gestaltet wurde. Dessen Frau Belinda Hötz, verlieh Kata Gestalt, die im wahren Leben Katharina Pichler heißt. Das Haus wird von der Haushälterin Frau Klacker bewacht, die sich behaglich mit der Serie „Dalles“ und Sardinen eingerichtet hat. Ihr Name ist Sophie und die wiederum von Sophie von Kessel gespielt wurde.
In das vermeintlich leere Haus platzte nun der Makler Roger Trampelmann (von Völkers & Völkers oder so ähnlich), gespielt von Till, gespielt von Till Firit. Der sollte eigentlich das Haus verscherbeln, nutzte seine Schlüsselgewalt aber für ein Schäferstündchen mit Vicki, von der sehr ansehnlich gebauten, blonden Genija in Szene gesetzt, die wiederum von Genija Rykova verkörpert wurde. Vicki arbeitet auf dem Finanzamt und weiß um die Steuerflucht des Autors Hötz, was aber eigentlich nicht wirklich wichtig ist. Sie musste vornehmlich blond sein, sehr blond. Aus mehr oder weniger guten oder schlechten Gründen finden sich die beiden Paare, zuzüglich der Haushälterin gleichzeitig ein. Die Komik resultiert nun aus der Konstellation, dass sich die Figuren nicht wirklich begegnen und ständig aneinander bei wachsender Verwirrung vorbeilaufen, aber zumindest spüren, dass da was nicht stimmt. Zuletzt taucht auch noch ein Einbrecher auf, der von Paul, alias Paul Wolff-Plottegg gespielt wurde und der sich als Vater von Vicki entpuppte. Und im Sternzeichen der Sardinen wurde die Farce zu Ende gewuchtet…
Die Geschichte ist ziemlich schwachsinnig und soll es auch sein. Der erste Akt zeigte eigentlich eine technische Durchlaufprobe, die allerdings vom völlig entnervten Regisseur Martin zur Generalprobe ernannt wurde, da es nur noch wenige Stunden bis zur Premiere waren. Eigentlich funktionierte nichts und die Hauptakteure waren Regieassistentin Mechthild, eilfertig und duldsam von Nora Buzalka gegeben, die permanent Text rein reichen und Sardinen hinterhertragen musste. Ihr Leidensgenosse Herr Klemt, Inspizient seines Zeichens, war Blitzableiter, Schnellreparateur und Lückenbüßer für ausgefallene Schauspieler. Arthur Klemt gestaltete ihn als gehetzten Handwerker und ließ dabei keinen Zweifel aufkommen, dass er alles ist und sein kann, nur kein Schauspieler.
Norman Hacker, Till Firit, Paul Wolff-Plottegg, Genija Rykova, Thomas Loibl, Katharina Pichler, Sophie von Kessel © Matthias Horn |
Der zweite Akt zeigte, diesmal hinter der Bühne, von vorne war es ein durchaus attraktiver und großzügiger Villenbau mit Durchblick in den Garten (Annette Murschetz), die Vorstellung am dreißigsten Tag der Tournee, die übrigens durch Deutschland ging und zu diesem Zeitpunkt Bayern noch nicht bewältigt hatte. Tatsächlich erinnerte noch einiges an die Premierenfassung, doch eine zunehmende Erosion des Textes, der Handlung und auch der Darstellungskraft war unübersehbar. Der dritte Akt zeigte die letzte Tournee-Vorstellung und es bedurfte einer Menge Vorstellungskraft, um das ursprünglich Stück wiederzuerkennen. Die Darsteller waren inzwischen völlig demoralisiert, bereit, sich gegenseitig umzubringen, und das wichtigste Requisit war die Flasche, die ihre Kreise zog und einige aus der Bahn, resp. aus der Rolle warf. Den Rest erledigten die Sardinen, das eigentliche Mysterium des Abends.
Es war ein Spiel mit den Klischees, aber es ist ja durchaus bekannt, dass den Klischees eine Menge Wahrheiten innewohnen. Und es war gnadenlos überzeichnet, der zweite und dritte Akt bestand beinahe nur noch aus Slapstick. Es war dennoch nicht so weit überhöht, dass den Zuschauer nicht die Ahnung einholte, was es bedeuten kann, diesen Job tagein, tagaus zu machen. Der Wandel zwischen den Identitäten, die Eitelkeit, die vonnöten ist, auf die Bühne zu gehen und sich zu exponieren, die äußeren Rahmenbedingungen, die ein bürgerliches Leben mit seinen Annehmlichkeiten beinahe unmöglich macht, all das sieht der Zuschauer nicht, wenn er ins Theater geht, um sich die höheren kulturellen Weihen abzuholen. Es ist beneidenswert, spielen zu können und zu dürfen und dabei auch noch Applaus zu ernten, doch was, wenn man diese Tätigkeit als Broterwerb an einem C-Theater ausüben muss, getrieben von der Angst, das schlechtbezahlte Engagement zu verlieren, wenn das Leben auf das Spiel trifft – oder umgekehrt.
Viele fühlen sich zu diesem Spiel berufen, doch die wenigsten sind auserwählt, dies auch auf höchstem Niveau tun zu können. Den Darstellern des Residenztheaters ist dies vergönnt. Und es ist durchaus lobenswert, wenn sie gemeinsam mit Martin Kušej auch einmal auf die Kehrseite verweisen. Glanz und Elend liegen in dem Beruf des Theaterschauspielers wie in kaum einem anderen Beruf so dicht beieinander. Doch der Abend sollte nicht dazu dienen, düstere Betroffenheit beim Betrachter auszulösen, sondern Lachen. Und dem Publikum (2. Vorstellung) gefiel es gewaltig. Zahlreiche Bravos waren zu vernehmen, zu Recht!
Martin Kušej wird nach München den Olymp des deutschsprachigen Theaters, die Wiener Burg, erklimmen, es sei ihm von Herzen gegönnt. Mit dieser letzten Inszenierung erfuhr das Publikum immerhin noch ein paar persönliche Gedanken des so stilsicheren Intendanten, der sich über die Münchner Jahre hinweg keine private Blöße gab. So ließ er durch seinen Regisseur Martin in einem Nebensatz wissen, was er über das Theater auf der anderen Straßenseite der Maximilianstraße denkt. Sogar Selbstkritik klang mit, denn als dem Regisseur Martin vorgeworfen wurde, er regiere in „Gutsherrenmanier“, war ein Stichwort gefallen, das an den Weggang Shenja Lachers erinnerte. Durchaus ein Verlust für München.
Theater ist permanente Bewegung, Wechsel von Personen, Ideen und künstlerischen Auffassungen. Ein weiterer Wandel ist eingeläutet und es bleibt zu hoffen, dass Martin Kušejs Arbeit eine würdige Fortsetzung finden wird. In wieweit, mental und physisch, er noch hier in München ist, wissen nur Eingeweihte. Als Regisseur Martin in „Der nackte Wahnsinn“ zur Vorstellung auftauchte, seine ganze Hilflosigkeit angesichts des Chaos beschwor, probte er bereits den Hamlet in Wien.
Wolf Banitzki
Der nackte Wahnsinn
von Michael Frayn
Deutsch von Ursula Lyn
Norman Hacker, Sophie von Kessel, Till Firit, Genija Rykova, Thomas Loibl, Katharina Pichler, Paul Wolff-Plottegg, Nora Buzalka, Arthur Klemt Regie: Martin Kušej |