Residenztheater  Die drei Musketiere  nach Alexandre Dumas


 

Komödiantisches Feuerwerk im Angesicht der Unmöglichkeit

Warum eigentlich lautet der Titel des 1844 veröffentlichten Romans von Alexandre Dumas „Die drei Musketiere“? Mit den drei Musketieren waren Aramis, ehemaliger Geistlicher, Athos, ein leibhaftiger Comté mit Besitzungen, und Kraftprotz Porthos gemeint. Der Roman beginnt damit, dass der junge Gascogner d’Artagnan, ausgestattet mit einem Brief seines Vaters, nach Paris aufbricht, um sich beim Hauptmann der Musketiere, Monsieur de Tréville, um die Aufnahme in der Garde zu bewerben. Bereits auf dem Weg dorthin kommt er allerdings dem Spion des Kardinals Richelieu, Rochefort, in die Quere. D’Artagnan holt sich einige Blessuren, wird verhöhnt und des Briefes beraubt. Während des Vorstellungsgespräches bei de Tréville in Paris, das nicht von Erfolg gekrönt ist, weil es an Verdiensten beim jungen Aspiranten mangelt, entdeckt er Rochefort auf der Straße und will ihn zur Rede stellen.

Auf dem Weg zu seinem Widersacher prallt er nacheinander mit den besagten Musketieren zusammen, die ihn sämtlich zum Duell fordern. Als man sich zum Duell trifft und sich anschickt, einander abzustechen, werden sie von der Kardinalsgarde überrascht. Duelle sind laut einem Edikt des Königs Ludwig XIII. verboten und die Gardisten wollen die Vier festnehmen. Im nachfolgenden Kampf schlägt sich d’Artagnan auf die Seite der Musketiere. Nach dieser Rauferei ist die Freundschaft der vier besiegelt. Alle kommenden Abenteuer begehen sie nun gemeinsam nach dem Motto. „Einer für alle und alle für einen.“ Allerdings ist d’Artagnan noch kein Musketier, wird aber vorerst von Tréville in die Kompanie von Monsieur des Essarts im Régiment des Gardes françaises vermittelt.

Die vier sauf-, freß- und rauflustigen Kumpane werden mit royalen Intrigen konfrontiert und in diese hineingezogen. Sie entpuppen sich immer wieder als echte Monsieurs, vornehmlich den Damen gegenüber. Nur eine erregt ihr Missfallen: Lady de Winter, Athos’ einstige Ehefrau und eine Frau mit einem beachtlichen Vorstrafenregister, daher auch die Lilie auf ihrer Schulter. Sie wird auch den naiven d’Artagnan in ihrem Bett empfangen, der sich allerdings als ihr Geliebter de Wardes ausgibt. Das waren noch Zeiten, als man ins Bett solcher Schönheiten gelangte ohne seine Identität preisgeben zu müssen! Die Erwähnung Lady de Winters ist im Zusammenhang mit der Inszenierung von Antonio Latella von exemplarischer Bedeutung wie sich später zeigen wird. Festgehalten werden kann indes, warum der Titel „Die drei Musketiere“ lautete. D’Artagnan wurde nämlich erst am Ende des Romans zum Leutnant der Musketiere ernannt. Und zu viert blieben sie auch nicht, da sich Athos auf seine Güter zurückzog, Aramis in ein Kloster eintrat und Porthos eine reiche Witwe heiratete. Das wäre also geklärt.

Antonio Latella ging es in seiner Inszenierung auch weniger um diese Fragestellung. Sie war für ihn der Auslöser, darüber nachzudenken. Ihm ging es vielmehr um den Satz: „Einer für alle und alle für einen“, und den daraus resultierenden Fragen, wer der „eine“ sei, für den alle anderen zu sterben bereit sind, und wer „alle“ anderen sind? Diese Fragen sollten einer mathematischen Lösung zugeführt werden. Zu diesem Zweck brachte Antonio Latella vier Herren auf die Bühne, deren Kleidung die berühmten Rhomben des Gewandes eines Harlekins aufwiesen, womit wir schließlich bei der Commedia dell’Arte gelandet waren. (Kostüme Simona D'Amico) Dieser Schachzug war vermutlich seiner eigenen Herkunft geschuldet und den Möglichkeiten, die diese Theaterform zur Wahrheitsfindung beisteuern kann. Die erlangten Wahrheiten hielten sich naturgemäß in Grenzen, waren aber deutlich unterhaltsamer, als wenn Autor/Regisseur Latella auf die deutsche Klassik zurückgegriffen hätte. Der ästhetische und auch inhaltliche Grundzug dieses Theaterexperiments lässt sich eigentlich nur mit dem Adjektiv anarchisch umschreiben

  Die drei Musketiere  
 

v.l. Max Rothbart, Michael Wächter, Vincent Glander, Nicola Mastroberardino

© Thomas Dashuber

 

In dem wüsten Treiben, in dem Dramaturgen (verbal) geschlachtet wurden, die Unterschiede von deutschem, italienischem und schweizerischem Theater untersucht und italienische Schlager und Arien geträllert wurden, verwandelten sich die vier Darsteller in die jeweiligen Musketiere, in ihre Diener, aber auch in ihre Pferde. Letztere Metamorphose war besonders unterhaltsam, wenn zum Beispiel Hofreitschule mit Trabverstärkungen, Galopppirouetten und Traversalen getänzelt wurde. Dabei war nicht zu übersehen, dass einer der vier Herren aus dem Rahmen fiel, denn während die Musketiere in Blau daherkamen, war d’Artagnan und natürlich auch sein Pferd gelb. Das gab immer wieder Anlass zu Selbstzweifeln, aber auch zu Diskriminierungen. Das Anderssein ist, wie in der neuesten Geschichte wahrgenommen werden kann, ein offensichtlich hinreichender Grund, Menschen auseinander zu dividieren. Damit ist eine ganz wesentliche Frage der Inszenierung an die Oberfläche getreten, denn Antonio Latella stellte fest, dass Freundschaft heutzutage längst nicht mehr den Stellenwert hat, und zu einer „Bequemlichkeit, keiner Notwendigkeit mehr im eigentlichen Sinn“ verkommen ist.

Tatsächlich kapitulierte auch er vor der Aufgabe, eine mathematische Formel zu finden, die aus drei vier macht, was allerdings auch eine profunde Erkenntnis darstellt. Und doch gibt es einen Moment, wo die Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sein scheinen und so etwas wie ein Aufatmen passierte. Nämlich dann, wenn man feststellte, dass die (beruflich bedingte) promiskuitive Lebensweise der Lady de Winter den Satz zuließ: Sie sei „Eine für alle!“ und jeder wusste um den Wahrheitsgehalt.

Theater kann auch Scheitern bedeuten und hier gab es keine Alternative zum Scheitern. Übrig blieben die ungeheuer aufwendigen Bemühungen der vier Darsteller, im Schweiße ihres Angesichts das Scheitern anzuerkennen. Aber sei’s drum, und weil es so schön war, gab es noch einmal die Hofreitschule. Als sich am Ende das Chaos auch noch in Form von sinnlos herbei geschafften Möbeln etc. manifestierte, war klar, dass auch im Scheitern ein Hochgenuss liegen kann. Dennoch sei angemerkt, dass die zwei Stunden körperbetontes Theater auch einige Längen aufwiesen. Besonders der Anfang irritierte, als alle vier Figuren sich in ihrem Verhältnis zueinander zu definieren suchten und dabei in rascher Folge durch den gesamten leeren Bühnenraum (Antonio Latella) auf- und abgingen. Dennoch war es ein komödiantisches Feuerwerk (Choreografie und Kampftraining Francesco Manetti) ganz im Stile der Commedia dell’Arte, für das man vor den Darstellern Nicola Mastroberardino, Michael Wächter, Max Rothbart alternierend Elias Eilinghoff und Vincent Glander getrost den Hut ziehen darf.

Dass es keine weltbewegenden Erkenntnisse hervorbrachte, hervorbringen konnte, kann dabei getrost vernachlässigt werden. Als Nachtrag nur so viel: Der Satz „Einer für alle und alle für einen.“ erfuhr gerade in der Neuzeit im Sprachgebrauch eine nicht unwesentliche Abwandlung. Man kennt ihn auch in der Form: „Einer für alle und alle auf einen.“ Dieser Satz verweist darauf, dass Dumas ein Romantiker war. Heute herrscht mehr Realismus.

Wolf Banitzki

 

 


Die drei Musketiere

nach Alexandre Dumas
in einer Bearbeitung von Antonio Latella und Federico Bellini

Mit: Nicola Mastroberardino, Michael Wächter, Max Rothbart / Elias Eilinghoff, Vincent Glander

Inszenierung, Raum und Musik: Antonio Latella
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