Residenztheater Amphitryon von Heinrich von Kleist


 

Folgenreicher Identitätsklau

Kleist und Lustspiel – eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich, es sei denn, man definiert Lustspiel neu. Braucht man jedoch nicht, denn es gibt bereits das Kompositum „Kleist’sches Lustspiel“ und das bedeutet eine besondere Qualität. Kleist (1777-1811) hatte eine ganz eigene Auffassung von Lust. Er verlobte sich in Frankfurt an der Oder mit der achtzehnjährigen Wilhelmine von Zenge, die er in einem Bildungskreis kennengelernt hatte. Dort brachte er jungen Mädchen den korrekten Gebrauch der deutschen Sprache bei. Wilhelmine erlag seiner Liebeswerbung. Aus den Briefen der beiden ging jedoch hervor, dass es Kleist vornehmlich um die Bildung des jungen Mädchens ging. Seine schulmeisterliche Hartnäckigkeit bei der Formung des jungfräulichen Wesens verriet indes einen befremdlichen Mangel an Lebenserfahrung und an natürlichem Lebenssinn. Als schließlich das wilde Tier Natur bei dem dreiundzwanzigjährigen Jüngling mit dem Schweif zu wedeln begann, floh Kleist im Jahr 1800 das Liebesidyll und begab sich mit dem mecklenburgischen Freund Heinrich Brockers auf eine Reise in Richtung Straßburg. Einem Brief an seine Stiefschwester Ulrike, die wohl vertrauteste Person in Kleists Leben, war zu entnehmen, dass er nach der Reise für die Gründung einer Familie wohl nicht mehr tauge, wohl aber als guter, gelassener und überlegter Freund, frei von sinnlichen Leidenschaften. Ziel der Reise war mit hoher Wahrscheinlichkeit die Selbstentmannung, die letztlich aus Geldmangel doch nicht stattfand. Soviel zum Thema Lust.

Und was das Spiel anbelangt, verhielt es sich nicht weniger fatal. Kleist neigte lebenslang zu Schwermut und Verzweiflung. Das Spielerische wich immer wieder dem Schmerzvollen. Friedrich Hölderlin hatte das Dilemma seiner Generation in seinem Roman „Hyperion“ (1797/99) in einem selbstquälerischen Ausruf auf den Punkt gebracht: „O gäb es eine Fahne …, ein Thermopylä, wo ich mit Ehren sie verbluten könnte, all die einsame Liebe, die mir nimmer brauchbar ist!“ Als sich Heinrich von Kleist, in dem unerschütterlichen Bewusstsein, ein vertanes Leben ohne jeglichen Wert gelebt zu haben, in den Mund schoss und qualvoll an den Verletzungen erstickte, hatte er eine Notiz in seinem Quartier am Berliner Wannsee hinterlassen: „In Wirklichkeit behagt mir nichts auf dieser Welt.“

„Amphitryon“ geht zurück auf Molières gleichnamige Komödie, der sich seinerseits bei der Komödie „Amphitruo“ von Titus Maccius Plautus (um 254 v. Chr. bis um 184 v. Chr.) bedient hatte. Und obgleich Kleist größere Passagen von Molière übernahm, verfasste er doch ein gänzlich anderes Stück. Der Dramatiker am Hof Ludwig XIV. schuf geistvolle Anspielungen auf das lockere höfische Leben, um den Unterschied von Gemahl und Liebhaber zu erörtern. Kleist hob die Geschichte von Amphitryon auf eine gänzlich andere Ebene. Bei Kleist wird der Zuschauer mit den seelischen Qualen der Alkmene, Ehefrau des Amphitryon, konfrontiert, die eine schmerzhafte Prüfung durchläuft, wem sie sich letztlich zuwenden soll, dem göttlichen oder dem irdischen Amphitryon. Der göttliche Amphitryon, hinter dem sich Jupiter verbirgt, ist Ausdruck der hohen und idealen Liebe. Dennoch entscheidet sich Alkmene für den irdischen Ehegatten, in der Residenztheaterinszenierung von Julia Hölscher widerwillig und zähneknirschend. Soviel ist sicher, menschliche Lebensnähe und Erfahrung war Kleists Stärke nicht.

  Amphitryon  
 

v.l. Nicola Mastroberardino, Florian von Manteuffel (am Boden liegend), Christoph Franken

© Sandra Then

 

Die Geschichte selbst ist überschaubar. Jupiter hat Lust auf Alkmene, Gemahlin des Amphitryon, der sich gerade im Krieg mit den Teloboern (Siehe Plautus!) befindet, in der Nacht vor der Rückkehr Amphitryons sucht er die begehrenswerte Frau verkleidet mit dem Antlitz ihres Gatten heim, um sie zu schwängern. Das Kind wird der Halbgott Herkules, griechisch Herakles sein. Ganz nebenbei, bei Plautus ist sie bereits vom Gatten schwanger und wird den Zwillingsbruder Iphikles gebären. Die These vom „doppelten Sprung“ ist inzwischen zwar hinlänglich widerlegt, doch hier handelt es sich um die höchste Gottheit. Da mag das angehen! Jupiter wird von seinem Sohn Merkur begleitet, der in der Gestalt des Sosias, des Dieners Amphitryons, auftritt und dessen Ehefrau Charis in die Verzweiflung treibt. Am Ende findet die Geschichte eine Auflösung. Die Götter ziehen sich zurück und überlassen die Menschen ihren verwirrenden Erfahrungen.

Goethe, der den „subjektivistischen“ Zügen Kleists keine Sympathie entgegenbringen konnte, konstatierte, dass in „Amphitryon“ „bei den Hauptpersonen (alles) auf die Verwirrung des Gefühls“ hinauslaufe. Diese Realitätsferne war ihm zuwider und er nahm das Scheitern Kleists mit folgenden Worten vorweg: „Jeder will für sich stehen, jeder drängt sich mit seinem Individuum hervor (…), alle verlieren sich im Vagen, und die das tun, sind wirklich große und entschiedene Talente, aus denen aber darum schlechterdings nichts werden kann.“

Hoppla, letzteres kommt doch sehr bekannt vor in Zeiten des ausufernden Individualismus. Und wie steht es nun mit dem Stück? Hat es sich überlebt? Ganz und gar nicht, wie auch die Inszenierung am Residenztheater beweist. Die Zeiten haben sich geändert und was ursprünglich einen „subjektivistischen“ Ansatz hatte, hat heute einen sachlichen Namen: Folgenreicher Identitätsklau. Mehr Realismus ist kaum möglich. Die Bühne Paul Zollers bestand aus zwei parallel gegeneinander verschobenen Wänden mit einem Durchgang an der Stelle, wo sie einander überlappten. Die Wände hatten eine rötliche Patina mit einem wohlgefälligen Anflug von bildnerischer Eleganz. Über allem schwebte eine riesige Spiegelwand, die eine zweite, überaus faszinierende Perspektive ermöglichte. Dieser grandiose Einfall ermöglichte es dem Zuschauer, in der Geschichte auf einer realen Ebene zu sein und zugleich über den Dingen schwebend auf sie hinab zu schauen. Die Kostüme von Janina Brinkmann waren zeitlos, hatten aber insbesondere bei den Männern rollencharakteristische Anklänge. So war die Schleppe des Mantels von Jupiter sehr lang, was seinem Träger, hier der leibesfüllige Christoph Franken, eine Majestät verlieht, die ihn vor allem von den menschlichen Figuren unterschied. Auch seinem Sohn Merkur, gespielt von Elias Eilinghoff, hing eine solche Schleppe an.

Das Spiel begann mit der Begegnung der beiden Sosias´ vor dem Haus Amphitryons. Als Diener des Amphitryon, dem der Zugang von einem Ebenbild verweigert wird, gab Nicola Mastroberardino einen verzagten Burschen, der ziemlich schnell bereit war, sich zu verleugnen im Angesicht seines Selbst. Elias Eilinghoff bedrängte ihn ohne Skrupel und hier begann die Geschichte auch ihre Komik zu entfalten, wenn Mastroberardino als echter Sosias sich fragend eingestehen musste: „So muss ich auf mich selbst Verzicht jetzt leisten?“ Er musste, sonst drohten Hiebe und als gelernter Diener war er pragmatisch genug, sich in das Unausweichliche zu schicken. Amphitryon, der thebanische Feldherr und Fürst, konnte über seinen Schatten, hier war es ein Gott, der ihn warf, nicht springen. Florian von Manteuffel gab einen selbstquälerischen Mann, der sich dem Irrsinn, anders ließ es sich nicht fassen, nicht beugen konnte. Erst als er seinem Nebenbuhler, dem donnernden Christoph Franken gegenüberstand, er die Kabale durchschaute, wurde er erlöst von seinen Zweifeln und blieb ziemlich kleinlaut zurück.

Die beiden weiblichen Darstellerinnen, Pia Händler als Amphitryons Gemahlin Alkmene und Luana Velis als Sosias Gemahlin Charis brannten ein Feuerwerk weiblicher Argumentationskunst ab, der Männer zumeist resignativ unterlegen sind. Wenn sich die Vorgänge auch noch so surreal gestalten, werfen Männer stets schneller das Handtuch und ziehen sich in/auf sich zurück. Frauen haben die Ausdauer und die Kraft, die Dinge auf die Spitze zu treiben und es zu Ende zu bringen und so ist es vornehmlich den Frauen im Stück zu danken, dass der Irrsinn überhaupt ein Ende fand.

Verwirrung der Gefühle gab es unbestritten eine Menge. Und Komik auch, denn eine menschliche, allzu menschliche Figur rettete Kleist aus der Molièreschen Fassung hinüber in die klassische deutsche: den Diener Sosias. Nicola Mastroberardino verlieh ihr die barocke Leichtigkeit und Komödiantik, die das Stück zu einem Lustspiel machte. Es gab auch existenzialistisch anmutende Situationen, die ganz im Beckettschen Sinn bis zum Äußersten getrieben wurden und Lachen erzeugten, doch das waren eher die Intentionen der Regisseurin Julia Hölscher und weniger die Kleists. Es schwang auch eine gehörige Portion Sarkasmus mit, insbesondere im letzten „Ach!“ von Alkmene, die sich damit feiern sollte ob des Triumphs, ein göttliches Kind empfangen zu haben. Stattdessen meinte es: „Männer! Was für ein Unfall des Daseins!“

Dem Publikum gefiel es. Und das aus gutem Grund, denn es war eine vielschichtige, intelligente, darstellerisch meisterliche Inszenierung, die eine erhellende Lesart aller Beteiligten verriet und eine überraschende Ästhetik auf die Bühne brachte. Ein wunderbarer Abend.

Wolf Banitzki

 


Amphitryon

Lustspiel von Heinrich von Kleist nach Molière

Mit: Christoph Franken, Elias Eilinghoff, Florian von Manteuffel, Nicola Mastroberardino, Pia Händler, Luana Velis

Regie: Julia Hölscher