Residenz Theater Brand von Henrik Ibsen


 

 
Der Messias geht ab …


BRAND (krümmt sich unter der herabstürzenden Lawine und ruft empor:)
Sag' mir, Gott, im Todesnahn!
Wiegt vor Dir auch nicht ein Gran
Eines Willens quantum satis -?
(Die Lawine begräbt ihn und erfüllt das ganze Tal.)

EINE STIMME (antwortet durch den Donner:)
Gott ist deus caritatis!

Mit diesen Worten lässt Henrik Ibsen seinen Helden Brand untergehen, ungebrochen in seinem Anspruch, der sich auf drei Wörter reduzieren lässt: "Alles oder Nichts!" Nicht so in der Inszenierung am Residenztheater von Thomas Langhoff. Zwar fällt der Schuss, der die Lawine auslöst und Brand und den schwachsinnigen Gerd unter sich begräbt, doch die Lawine kommt nicht. Brand geht, Unverständliches brabbelnd, in die Tiefe der Eiswüste ab. Geht der gescheiterte Idealist voran oder einfach nur ab? Würde er sterben, wäre er der Messias und die Geschichte hätte ihr schlechtes "gutes" Ende.

Wer war Brand? Brand war eine Geißel oder wurde es zumindest im Lauf der Handlung. Als er seinen Heimatort nach Jahren der Abwesenheit und des Studiums der Theologie besucht, herrscht dort bitterste Armut. Die Bewohner kämpfen um das Überleben. Als sie hören, dass er Pfarrer ist, berufen sie ihn in die Gemeinde. Brand willigt widerstreben ein. Er fühlt sich eigentlich zu Größerem berufen. Der neue Pfarrer ist den Menschen ein unerschöpflicher Kraftquell. Brand treibt sie voran und die Bürger überwinden im Glauben an Gott und an sich selbst ihre existenzielle Not. Brand ist der Aufrechteste unter ihnen. Er nimmt den Tod seines Kindes und den seiner Frau in Kauf, denn er fühlt sich in der Pflicht. Schließlich baut er sogar noch ein neues Gotteshaus von der zusammen gerafften Hinterlassenschaft seiner Mutter, der er wegen ihres unchristlichen Geizes auf dem Sterbebett die Sakramente verweigert hat. Am Ende sperrt er die Kirche nicht einmal mehr auf, denn er hält sie inzwischen für den letzten und größten Betrug.
 
 

 
 

Stefan Hunstein, Burchard Dabinnus, Peter Albers, Maximilian Löwenstein

© Thomas Dashuber

 

 

Brand leistet Übermenschliches. Als es den Bewohnern des Dorfes wieder gut geht, wird er ihnen lästig, denn nun wird er zum Spiegel ihrer Kleinmütigkeit. Sie fordern ihn auf, das Dorf zu verlassen. Doch Brand bleibt; er will seine Mission vollenden und scheitert an der Forderung, sich auf ein "menschliches Maß" zu beschränken. Ibsen, der von sich selbst sagte: "Ich habe kein Talent zum Staatsbürger", schrieb dieses Stück vor einem und einem halben Jahrhundert. Heute könnte dieses Stück, das an sozialer und politischer Brisanz keinen Deut eingebüßt hat, wie eine Brandfackel wirken. Regisseur Thomas Langhoff ging allerdings zu halbherzig mit diesem Stoff um. Er leistete Werktreue im denkbar schlechtesten Sinn und erntete artigen Beifall dafür.

Stefan Hageneiers Bühne war die gelungene Bebilderung der Mühsal menschlicher Existenz, als der Mensch der Natur noch ohnmächtig gegenüberstand. Die Ausläufer eines Gletschers erstreckten sich bis an den Fjord, bedeckten gut die Hälfte der Bühne. Nur ein schmaler Küstenstreifen war den Bewohnern karger Lebensraum. Unentwegt waren die Darsteller zum Klettern gezwungen. Den Gletscher mit der Kraft ihres Glaubens zu bezwingen, gelang ihnen nicht. Dazu fehlte der große Mut.

Stefan Hunstein machte diesen Gletscher zur Kanzel Brands und überwand ihn immer wieder in Wort und Tat. Ein schönes, ein hoffnungsvolles Bild. Doch blieb auch seine kraftvolle dynamische Darstellung in der Tristesse des zwergenhaften Denkens seiner Mitmenschen gefangen. Die Inszenierung wollte nicht Fanal sein und hätte es doch sein können. Brands moralische Überlegenheit hätte heutigen Kleinmut und Visionslosigkeit entlarven können. Statt dessen blieb ein intellektueller Diskurs über das so genannte "menschliche Maß" übrig, das es eigentlich zu überwinden galt.

Menschliche Leidenschaft im Sinne von Leiden und der Unfähigkeit, diese zu überwinden, machte lediglich Stephanie Leue als Agnes, Ehefrau Brands, erfahrbar. Ihrer Darstellung war die Menschlichkeit eigen, mit der Ibsen alle seine Figuren ausgestattet hatte. Sehr überzeugend gestaltete Franziska Rieck die Figur des "wahnsinnigen" Gerd. Leider beförderte die Inszenierung nicht den entscheidenden Gedanken, dass Gerd die Vollendung Brands ist. Wenn beide am Ende sterben, verwachsen die Figuren zu einer Idee. In Thomas Langhoffs Sicht und Umsetzung geschah dieser Akt nicht. Hat der Regisseur die Waffen vor der Weltgeschichte gestreckt? Versteckt er sich gar hinter der Idee, dass das so genannte "menschliche Maß" das Maß der Welt schlechthin ist?

Ibsen schrieb dieses Stück ganz sicher nicht, um die Unüberwindbarkeit kleinbürgerlichen Denkens zu beweisen. Er hatte starke anarchistische Tendenzen und bestand auf: "Der Staat muss weg." So einer knickt nicht ein vor der Kleinbürgerlichkeit menschlichen Denkens. Deutlich wurde dies auch in der Szene zwischen dem Küster (Helmut Stange) und dem Lehrer (Robert Joseph Bartl), die wohl die gelungenste in der ganzen Inszenierung war. Bartl und Stange brillierten in ihrem Exkurs über Utopien und die Verhinderungstaktiken der Spießer. Dass es sich dabei nicht nur um eine "Torwächterszene" handelte, wie Shakespeare sie zu nutzen wusste, um aktuelle Politik zu persiflieren, prophezeite Egon Friedell bereits 1930. Er meinte: Das Publikum wird "erkennen, dass es sich um Ewigkeitsdichtung handelt, obgleich oder vielmehr weil sie vom Dichter ebenso als tendenziöse Zeitdichtung konzipiert wurden wie die Räuber und Kabale und Liebe."

Der Zeitpunkt für die Premiere des Stücks war bestens gewählt. Doch unterm Strich zeichnete sich diese hübsch anzuschauende Inszenierung vornehmlich durch schmerzfreie Wirkungslosigkeit aus. Schade, wo sich doch die Bürger einmal im Jahr die Zeit nehmen, zwischen Osterspaziergang und Osterbraten das menschliche Leid zu erfahren und sich am Untergang der Utopisten zu erbauen.


Wolf Banitzki

 

 


Brand

von Henrik Ibsen

Gabi Geist, Stephanie Leue, Franziska Rieck, Heide von Strombeck, Judith Toth, Peter Albers, Robert Joseph Bartl, Ulrich Beseler, Rainer Bock, Burchard Dabinnus, Stefan Hunstein, Maximilian Löwenstein, Helmut Pick, Arnulf Schumacher, Helmut Stange, Stefan Wilkening

Regie: Thomas Langhoff
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