Der eingebildet Kranke

Residenz Theater Der eingebildet Kranke von Moliére


 

 

Im Auge der Hypochondrie

"Er bewegt sich, schläft, isst und trinkt genau wie alle anderen. Trotzdem ist er sehr leidend" so Molière, der in seiner gesellschaftskritischen Charakterkomödie weißbekittelte Narren und deren gläubige Anhänger zur Zielscheibe des Spotts machte. Spieglein, Spieglein … wer ist gesund noch in diesem Land? Man ist so geizig wie wohlhabend. Man ist so sehr um seine Gesundheit besorgt, dass Krankheit sich automatisch einstellt. Einer Welt, in der an Hypochondrie und Geiz gelitten wird, kann man nur Molière "verordnen". Ob die Rezeptur wirkt?
 
 

 
 

Rudolf Wessely, Eva Gosciejewicz

© Thomas Dashuber

 
 
Das Wundermittel enthält die Ingredienzien des menschlichen Daseins - gieren, lieben, kranken, verdauen, ausscheiden, verschwenden, behalten, kämpfen, leiden, einbilden, ordnen, herrschen, bezahlen, überleben, sterben. Argan, der Held, erfährt sie alle. Mehr noch, Rudolf Wessely ist ein eingebildeter Kranker von mitreißendem Temperament und sprühender Lebendigkeit und das selbst wenn er dem Tod ins Auge sieht und um der Wahrheit willen kurz die Luft anhalten muss. So jedenfalls in der Inszenierung von Thomas Langhoff, der mit Comedy Effekten frischen Wind in den von Fritz Kortner dramaturgisch bearbeiteten Klassiker brachte. Fritz Kortner, Regie-Ikone der 50er Jahre an deutschten Theatern, war gleichzeitig auch Schauspieler und Drehbuchautor zahlreicher Filme des Unterhaltungskinos.Die Geschichte: Bürger Argan ist wohlhabend und leidet an … nun woran leidet er, am Leben vielleicht? Er sitzt im Krankenstuhl inmitten seines, von Ezio Toffolutti sinnfällig gestalteten, großzügigen grünen Hauses und blättert nachdenklich in den Rechnungen seines Arztes und seines Apothekers. Was liegt da näher, als seine heiratsfähige Tochter mit einem Arzt, dem Neffen seines Hausarztes, zu verheiraten. Damit wären zwei Probleme auf einen Schlag gelöst, man hätte einen Arzt im Haus und die hohen Kosten gesenkt. Doch seine Tochter Angelique (Franzika Rieck) liebt heimlich Cleant. Das jedenfalls vertraut sie dem Hausmädchen Toinette in ihrer Verliebtheit, staksig einen Steptanz vollführend, an. Sie hat kein Interesse an dem frischgebackenen Doktor, einem Ereignis der Tölpelhaftigkeit, den Robert Joseph Bartl unnachahmlich in Szene setzt. Seine Untersuchung des eingebildeten Kranken reizt jedes Zwerchfell. Beline, die zweite Frau Argans, hasst ihre Stieftochter und nährt überaus zärtlich den Krankheitswahn ihres Mannes. Insgeheim, doch plakativ offensichtlich, arbeitet Eva Gosciejewicz daran, als Alleinerbin eingesetzt zu werden. Argans Bruder Berald, von dessen Gesundheit überzeugt, bringt durch seinen Besuch Bewegung in das Denken Argans. Dem daraufhin in einem Alptraum, der medizinischen Kunst ausgeliefert, ein Arm abgesägt und von dem jungen Doktor, mit großen roten Gummihandschuhen, ein Auge entfernt wird. Über der Szene schwebt Cleant als Retter in der Pose Supermans. Jetzt kommt Toinette, ihrem Herrn ergeben und Angelique eine Vertraute, zum Zug. Sie hilft mit einer List der Wahrheit auf die Sprünge und öffnet Argan die Augen. Angelique darf Cleant heiraten. Beline verlässt das Haus. Zurück bleiben Argan und Toinette und die Gewohnheit, die in der täglichen Frage gipfelt: "War heute morgen Galle in meinem Urin?"

Es ist das Zeichen von Hilflosigkeit, das Festhalten an den Gewohnheiten, in einer Zeit in der jederfrau und jedermann die eigenen Wege geht und schon das familiäre Zusammenspiel auseinanderfällt. Die Gewohnheit ist die letzte Bastion einer untergehenden Ordnung, sie wird mit Macht gepflegt.

Es muss ein amüsanter Abend gewesen sein. Das Stück hat sein Publikum erreicht, denn die Inszenierung bedient moderne Sehgewohnheiten - wohlbemerkt Gewohnheiten. Ob jedoch außer Kontraktion von Muskulatur noch andere Bewegung stattfand, bleibt fraglich.

 

C.M.Meier

 

 

 

 

Der eingebildet Kranke

von Moliére

Nach einer Bearbeitung von Fritz Kortner

Sibylle Canonica, Eva Gosciejewicz, Franziska Rieck, Robert Joseph Bartl, Burchard Dabinnus, Claus Eberth, Daniel Friedrich, Alfred Kleinheinz, Marc Oliver Schulze, Fred Stillkrauth, Rudolf Wessely

Regie: Thomas Langhoff