Residenz Theater Warten auf Godot von Samuel Beckett


 

 

Warten auf Godot oder Nicht warten auf Godot

Als Samuel Beckett erstmals zur Probe der Uraufführungsfassung auf der Bühne erschien, erblickte er einen Baum, der akribisch aus Pappmachee gefertigt worden war. Fassungslos fragte er den Bühnenbildner, was das sein sollte. Der antwortete lakonisch: Ein Baum! Beckett empfand das Ding als Skandal und rebellierte, woraufhin der Bühnenbildner das Gebilde zerstörte, sich zurückzog und aus einer Rolle Draht ein baumähnliches Gebilde formte. Beckett sah es und stellte fest: Es geht doch! Der Bühnenbildner hieß Alberto Giacometti.

Diese Szene sollte sich jeder vor Augen halten, der sich an ein Stück von Beckett wagt, erklärt sie doch, das jeder Versuch, Realismus zu erzeugen, zum Scheitern verurteilt ist. Becketts Figuren sind durchgängig Kunstfiguren, deren Realismus nur ein innerer sein kann und nur die Konzentration auf die inneren Vorgänge befördert die Botschaft glaubhaft. Das Bühnenbild von Silvia Merlo und Ulf Stengl mit Sofaecken und Betonkübel für eine Palme zwingen den Betrachter in Realitäten, die mit dem Anliegen nichts zu tun haben, ja, sogar kontraproduktiv sind, denn die Protagonisten Wladimir und Estragon können sich in ihnen durchaus einrichten. Dabei sind beide in die Welt geworfene, die sich selbst sogar als Fremdkörper empfinden. Beide suchen Erlösung von sich selbst und warten auf Godot. Es ist ein schmerzlicher Prozess, der sie auf die elementarsten Dinge ihre Existenz zurück führen und die dem Betrachter diese und somit auch die eigene Existenz sichtbar machen. Elmar Goerden hat sich diesem Anliegen nicht konsequent gestellt. Er inszenierte einen heiteren Reigen aus komödiantischen Nummern, die die Zeit überstehen halfen. Und genau das hätte nicht geschehen dürfen, denn Anliegen Becketts war es, den Zuschauer in diesen quälenden Prozess des Wartens auf Erlösung einzubeziehen. Tiefer innerer Ausdruck des Dramas ist das Verloren sein des Individuums und das Fehlen von Utopien, die dem Dasein einen Sinn verleihen können. Insofern ist das Stück auch Ausdruck unserer heutigen Zeit und somit sehr aktuell. Goerden hilft dem gelangweilten, weil zur endgültigen (oder letztgültigen) und somit erschreckenden Selbstempfindung unfähigen Zuschauer mit komödiantischen Einlagen über das Erschrecken hinweg. Da fällt gelegentlich schon mal die Andeutung, dass man bis hierher ganz gut über den Abend gekommen sei und nun komme schon wieder die Frage nach Godot. Damit sind alle Spitzen abgebrochen. Regisseur Goerden kann dabei auf wunderbare Komödianten zurückgreifen, die auch ohne tiefer gehendes Anliegen unterhalten könnten. Rainer Bock als Wladimir führt uns einen verklemmten Kleinbürger vor, der viel mit sich zu tun hat und seine Verunsicherungen durch fast unscheinbare aber um so effektvollere Gesten urkomisch gestaltet. An die existenziellen Grenzen geht es dabei aber nur sehr selten, beispielsweise, wenn er seinen Hut beschnüffelt, als wäre er auf der Suche nach sich selbst. Lambert Hamels Etragon ist grüblerisch, in Selbstauflösung begriffen. Er zumindest erweckt gelegentlich den Anschein von tatsächlichem Verloren sein. Die ureigenen Dimensionen des Stückes ließ lediglich Stefan Hunstein als Lucky erahnen, der auf jegliche komödiantische Einlagen verzichtete und für einen kurzen Augenblick das Bedrückende der Geschichte auferstehen ließ. Seine Präsenz war quälend und verstörend. Arnulf Schumachers Rolle als Pozzo war derart eingekürzt, dass er nur intermezzohaft erschien und kaum ein Menschenbild zeichnen konnte. Wer das Stück nicht kannte, wusste mit dieser Rolle wenig anzufangen. Beckett selbst empfahl: "bis zum Äußersten / gehen / dann wird Lachen entsteht". Lachen entstand, doch bis zum Äußersten ging diese Inszenierung nicht und verfehlte damit das wichtigste Ziel, nämlich die menschliche Existenz zu entblößen, die eine absurde ist.
 
 

 
 

Lambert Hamel, Stefan Hunstein, Rainer Bock

© Thomas Dashuber

 

Nach der Vorstellung traf ich auf der Toilette einen alten Herren mit einem gewaltigen weißen Bart und augenscheinlichen Prostatabeschwerden. Ich hatte ganz unvermittelt das Gefühl, er könne mir Auskunft geben und ich fragte ihn, warum er nicht gekommen sei. Mit säuerlichem Gesicht quetschte er die Antwort durch die Zähne. "Sie haben doch gar nicht auf Godot gewartet." Das schien mir auch so.


Wolf Banitzki

 

 


Warten auf Godot

von Samuel Beckett

Lambert Hamel, Rainer Bock, Stefan Hunstein, Arnulf Schumacher, Marco Massafra

Regie : Elmar Goerden
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