Residenz Theater Von morgens bis mitternachts von Georg Kaiser


 

 

Geld oder Leben

„Das Geld verschlechtert den Wert. Geld verhüllt das Echte - das Geld ist der armseligste Schwindel unter allem Betrug!“ So formuliert der Kassierer seine letzte Einsicht, nach dem er einen Tag lang mit 60.000 Mark in der Tasche durch das Leben getaumelt war. Und weil die Einsicht so nüchtern ist, führt er Klagen gegen das Mädchen, dass gleichsam seinen Tod symbolisiert: „Ein Fünkchen Erleuchtung hätte mir geholfen und mir die Strapazen erspart.“ Dann erschießt er sich.

Angefangen hat alles in einem Geldinstitut mit dem Erscheinen einer feinen Dame in Pelz und Seide, die augenblicklich die Begehrlichkeiten aller Männer entfachte. Sie fordert eine Auszahlung, die ihr verweigert wird, da man sie für ein „Monte-Carlo-Wesen“ hält, eine Betrügerin aus dem Sumpf des Rausches. Der Kassierer greift in die Kasse, eilt in das Hotel der Dame und bietet ihr das gewünschte Geld an. Er will nicht die Frau erobern, sondern direkt und ohne Umschweife das Eingeständnis der Zusammengehörigkeit, denn auch er ist nun ein Betrüger. Warum auch nicht, hatte der Kassierer doch tagtäglich vom Leben gelernt, dass Geld alles regelt, dass Geld die Allmacht ist. Zurückgestoßen taumelt er flüchtend in die „asphaltene Stadt“, um zu kaufen. Doch er will keinen Besitz, sondern Gefühle. Es sucht genau das, was er in der bürgerliche Idylle seines spießigen Heims mit Frau, Kindern, Mutter und Koteletts am meisten vermisst. Sein Dasein ist ein Hölle ohne Ausweg. So setzt er für einen Tag alles auf eine Karte und kommt, wie oben zitiert zu einer tödlich ernüchternden Erkenntnis. Geld zerstört!

Georg Kaiser verfasste das Stationendrama im Jahr 1912.  Es ist ein solches, weil es im idyllischen Weimar beginnt und im „asphaltenen“ Berlin endet. 1917 erlebte das Drama seine Uraufführung in München und 1920 wurde das Bühnenstück von Karlheinz Martin stumm verfilmt. Er gilt in Fachkreisen neben den expressionistischen Filmen Robert Wienes als ein innerhalb dieses Ismus’ vollkommenes Werk. Wer diesen Film jemals gesehen hat, wird die rasanten, rauschhaften Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Allerdings käme das einem Wunder gleich, denn der Film fand seinerzeit keinen Verleiher für Deutschland und wurde nach Japan verkauft, wo er ein großer Erfolg war. In Deutschland blieb der Film weitestgehend unbekannt.

Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Drama resultiert zum einen aus der Sprache, die meisterhaft (expressionistisch) ist und die eine verblüffende Denkungsart verrät. Selbst die Regieanweisungen Kaisers haben hohen literarischen Wert. Zum anderen wird in diesem Drama über ein Thema philosophiert, das eigentlich eine heilige Kuh ist. Es geht um den Fetischcharakter des Geldes (Karl Marx) und seiner zerstörerische Wirkung.
 
  vonmorgens  
 

Wolfgang Menardi, Lambert Hamel, Anne Schäfer, Juliane Köhler

© Thomas Dashuber

 
 
Tina Lanik inszenierte das durchaus aktuelle Stück am Residenz Theater nicht als atemlose Hatz, wie im Film, sondern sehr gemessen, sich auf die Inhalte konzentrierend. Dabei sparte sie Komödiantisches nicht aus. Die Inszenierung war nicht nur visuell sehenswert, sondern brachte ein Thema so deutlich zur Sprache, wie man es in den Medien und der Kunst heute weitestgehend vermisst. Dabei gelang ihr ein hochartifizielles Werk, das seinen expressionistischen Charakter bewahrt hat und den Brückenschlag in die heutige Zeit mühelos schafft.

Für den Erfolg zeichnen dabei ganz wesentlich Bühnenbildner Stefan Hageneier und Kostümbildnerin Su Sigmund verantwortlich. Hagenmeier schuf eine farbige, aber doch nüchterne Bühne, die nicht vorgab, einen tatsächlichen Ort zu definieren. Er erinnerte mit der klarlinigen Architektur an den pseudosakralen Charakter der Bauten des gesichts- und seelenlosen Mammons, - der Banken, Geschäftshäuser und Konzernsitze, die nach außen hin Festungen gleichen und die die Menschen immer kleiner erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Über allem war stets der Satz zu lesen: „Das Geld verschlechtert den Wert.“ Konkrete Orte wurden genannt oder durch die Kostüme definiert. Die sechs grasgrünen Radfahrer beim Sechstagerennen erzielten einen verblüffenden visuellen Effekt, ebenso die Huren in expressionistischer Aufmachung, wie man sie von Bildern George Grosz’ kennt. Ansammlungen von Männern erinnerten in ihren schwarzen Anzügen, Mänteln und Hüten stets an die Josef K.s von Kafka.

Tina Lanik kontrastierte die nicht selten nüchtern-selbstreflektorisch vorgetragenen Einsichten Lambert Hamels als Kassierer mit komödiantischen Spitzfindigkeiten. Als Juliane Köhler in atemberaubender Aufmachung in der Bank erschien, entlarvte Oliver Nägele die Provinzialität und das Animalische eines Kleinstadtbankdirektors mit einem einzigen Griff in seinen Schritt. Wolfgang Menardi parodierte das Bemühen der Tochter (Anne Schäfer), die Tannhäuserouvertüre auf dem winzigen mechanischen Flügel herunter zu hämmern, was an sich schon reichlich absurd war, mit dem „hemmungslos gefühlvoll“  vorgetragenen „Im weißen Rössl am Wolfgangssee“. In Kaisers Drama ist es das ebenso kitschige Lied „Die weißen Dame“. Doch diese Walze war nicht abonniert. Die Kleinbürgerlichkeit ließ alles, außer die Koteletts, schrumpfen und spießigen „Kunstanspruch“ nur lächerlich erscheinen.

Lambert Hamel stellte einen weitestgehend emotionslosen Kassierer dar, bei dem die menschlichen Regungen schon lange zuvor verschüttet waren. In seltenen Momenten, beispielsweise wenn er durch ein Preisgeld die Menschen bis zur Besinnungslosigkeit toben ließ, durchzuckte es ihn. Juliane Köhler erschien nach der Darstellung der feinen Dame als holzbeinige Hure, und wirkte wie der Gegenentwurf zu dieser. Oliver Nägele kolportierte als Moderator einer Büßerveranstaltung heutige Selbsthilfegruppen und therapeutische Talkshows.

Tina Laniks Inszenierung, so nüchtern sie auch angelegt war, hielt immer wieder Überraschungen bereit. Zudem verzichtete sie dankenswerter Weise auf das bombastische Ende, wie Kaiser es entworfen hatte. Dort heißt es nach dem Selbstmord in der Regieanweisung: „Kassierer ist mit ausgebreiteten Armen gegen das aufgenähte Kreuz des Vorhangs gesunken. Sein Ächzen hüstelt wie ein Ecce – sein Hauchen surrt wie ein Homo.“

Georg Kaiser untersuchte in seinem grandiosen Drama die psychologische Wirkung des Geldes auf den Menschen, ohne sich in den Gefilden der Sprache der Ökonomie zu verirren und schuf ein Meisterwerkt über die Geißel Geld und die daraus resultierende, mehr oder weniger freiwillige Sklaverei. Tina Lanik brachte es in ihrer Inszenierung mit der Alternativfrage „Geld oder Leben?“ auf den zwar überzeichneten, aber doch sinnvollen Punkt.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Von morgens bis mitternachts

von Georg Kaiser

Gabi Geist, Juliane Köhler, Anne Schäfer, Lambert Hamel, Dennis Herrmann, Wolfgang Menardi, Oliver Nägele

Regie: Tina Lanik
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