Residenz Theater Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist


 

 

Ein fulminanter und unvergesslicher Abschied

Jedem Kleist-Kenner und Theatergänger würde der Schreck in die Glieder fahren, wenn ihm in Aussicht gestellt würde, „Das Käthchen von Heilbronn“ in ungekürzter Fassung zu erleben. Auf stolze vierdreiviertel Stunden inklusive zweier Pausen bringt es die Residenz Theater – Inszenierung von der Hand Dieter Dorns schließlich. Doch der Leser kann sich getrost auf diesen Theatermarathon einlassen, denn selten war ein Theaterabend von der Länge so kurzweilig, unterhaltsam und auch amüsant.

Das Stück zeitgemäß nennen, hieße, einer romantischen Verblendung anheim gefallen zu sein. Als das Stück am 17. März 1810 auf der Bühne des Theaters an der Wien das Licht der Welt erblickte, erntete es miese Kritiken, war aber dennoch ein großer Publikumserfolg. Dass es auch heute noch ein großer, ja, überragender Publikumserfolg sein kann, bewies Dieter Dorn mit seiner Inszenierung, mit der er sich gleichsam aus dem Amt des Intendanten des Residenz Theaters verabschiedete. Dabei ist das Stück ein theatralisches Monstrum, denn der Dramatiker Kleist hatte nie Gelegenheit, Theatererfahrungen zu sammeln. So schrieb er mehr oder weniger drauf los und bewies zumindest sein überragendes Sprachtalent.

In „Das Käthchen von Heilbronn“ (Ein großes historisches Ritterschauspiel) wird die Geschichte einer Jungfrau erzählt, der ein Cherubin die Ehe mit Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, verheißt. Ebenso erfährt der Ritter vom Cherubin, dass er eine Dame aus dem kaiserlichen Geschlecht ehelichen wird. Käthchen, die dem Ritter wie in Trance überall hin folgt, ist jedoch nicht adelig und kommt so als Gattin gar nicht in Betracht. So wendet sich der Graf vom Strahl Kunigunde zu, die kaiserlichen Geblüts ist, und die er aus den Händen von Maximilian, Burggraf von Freiburg, ihres früheren Verlobten, rettete. Eigentlich wäre damit alles gut bestellt, doch Friedrich Wetter trägt Zweifel in sich und ein übermächtiges Gefühl für Käthchen. Im Verlauf der Geschichte gibt es unheilschaffende Briefe, einen Überfall auf die Burg Friedrichs, eine Feuersbrunst, Verfolgungsjagden zu Pferde, viele Schwerter und Rüstungen, einen Giftmord, der allerdings nicht stattfindet und eine recht unappetitliche Enthüllung über den Körper Kunigundes: „Sie ist eine mosaische Arbeit, aus allen drei Reichen der Natur zusammengesetzt. Ihre Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben, ihrer Wangen Gesundheit komme aus den Bergwerken in Ungarn, und den Wuchs, den ihr (Friedrich Wetter – Anm. W.B.) an ihr bewundert, hat sie einem Hemde zu danken, das ihr der Schmied, aus schwedischem Eisen, verfertigt hat.“ Das ist vielleicht die erstaunlichste Enthüllung im ganzen Stück, das immerhin 200 Jahre alt ist. Die Geschichte folgt, große Gefühle erzeugend, den Pfaden beschaulichster Romantik und bediente umfassend den Geschmack seiner, Kleists Zeit. Er war damit durchaus ein Vorreiter, denn die Romantik stand noch bevor.  

Der Plot würde heute von jedem Rezensenten verrissen werden, dann am Ende stellt sich heraus, dass Käthchen das Resultat einer Ruhestunde des Kaisers im unbelebten Teil des Bürgergartens zu Heilbronn war. Nun ist alles wie es sein soll und das Paar kann ein großes Geschlecht zukünftiger Herrscher zeugen. Schöne heile Welt, möchte man sagen.

 
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Dieter Dorn

© Thomas Dashuber

 

Wie kann man dieses Stück heute noch spielen, ohne das Publikum zu langweilen oder verärgern? Dieter Dorn machte es vor. Er hielt sich an den Text und vertraute auf die Sprache. Er bediente den dramatischen Entwurf Kleists mit aller ihm zur Verfügung stehenden Bühnentechnik und kitzelte aus seinen Darstellern Höchstleistungen heraus. Und siehe da, es funktionierte. Es war rasant und atmosphärisch zugleich. Die großen Gefühle schreckten nicht, sondern rührten an. Kitsch wurde komisch und die Natur donnerte zu alledem. Romantisch (oder auch kitschig) waren nur Teile der Vorlage. Das Menschliche, der Lobgesang auf die wahre Liebe blieben davon unangetastet und das Publikum zog nach donnerndem Applaus und zahlreichen wohlverdienten Bravos für die exzellenten Darsteller heiteren Gemüts von dannen. Vergessen war die Selbstkritik des Autors, der meinte: „Nur die Absicht, es für die Bühne passend zu machen, hat mich zu Missgriffen verführt, die ich jetzt beweinen möchte.“ Georg Hensel erteilte Kleist die Absolution, in dem er schrieb: „Doch an den entscheidenden Stellen sind seine Bühnen-Effekte mehr als ein aufgesetzter Theatercoup: es sind romantische Sinnbilder für die wachsende Kraft des Irrationalen, die die Widerstände der Realität aufsaugt und verwandelt.“

Bereits im Vorfeld der Premiere war klar, dass diese Arbeit Dieter Dorns ein fulminanter und unvergesslicher Abschied werden würde. Es wurde zu einem Theaterfest, in das sich alle Beteiligten in großer Einhelligkeit einbrachten. Jürgen Rose, ein langjähriger Wegbegleiter Dorns, schien exemplarisch aufzeigen zu wollen, wozu Theater im Stande sein kann. Er ließ ganze Hütten, Burgen, Flüsse, Berge und Brücken auffahren und brannte die Burg Thurneck donnernd und tosend nieder. Er zeichnet ebenso für die Kostüme verantwortlich, mit dem Effekt, dass endlich einmal handfeste und glaubhafte Männer auf der Bühne standen. Allen voran Felix Rech, dessen Ritter Friedrich Wetter die Bühne physisch wie auch darstellerisch dominieren konnte. Leise Töne wurden dabei nicht ausgespart und seine Befragung der schlafenden Käthchen unter dem Holunderbusch war ein lyrisches Kabinettstück. Schon die erste Szene, das Femegericht gegen Friedrich war Dank Oliver Nägele als Vater von Käthchen ein Bravourstück, das die Zuschauer in den Bann schlug. Marcus Calvin (Ritter Flammberg) stand seinem Lehnsherrn Friedrich dynamisch und agil zur Seite. Shenja Lacher (Maximilian, Burggraf von Freiburg) hatte einen wesentlichen Anteil daran, dass Heros und Todesverachtung menschliches Format behielten und kein schwachsinniges Pathos aufkam. Michael von Au (Rheingraf vom Stein) gab einen neurotischen und fahrigen Ritter, dessen Irrtümer ganz wesentlichen Einfluss auf den guten Ausgang der Geschichte hatten. Unter den weiblichen Darstellern dominierte Sunnyi Melles als Kunigunde. Ihr kapriziöses Spiel wurde der Rolle mehr als gerecht. Lucy Wirths Käthchen war berührend kindlich. Auch wenn ihr gestischer Aufwand gelegentlich ein klein wenig aufgesetzt wirkte, kaufte man ihr die naive, knospende Jungfrau gern ab.

Weitere Einzelleistungen zu besprechen oder auch nur zu erwähnen, würde den Rahmen unbedingt sprengen. Nur soviel, es waren durchweg hervorragende schauspielerische Leistungen. Es schien, als wollten die Darsteller ihren scheidenden Intendanten noch einmal ihre Gunst erweisen. Besser kann man seinen Respekt und seine Hochachtung nicht artikulieren. Und so packte Dieter Dorn die Gelegenheit beim Schopfe und ging gemeinsam mit seinen Darstellern auf die Bühne. Er trat zwar als Kaiser auf, gab aber mehr noch den Spielleiter, ein gelungener dramaturgischer Kniff, der dem Publikum nicht zuletzt signalisierte, dass es sich um Theater handelte. So unterstrich er einmal mehr, wer das Sagen (und zwar über einige gute Jahre) am Haus hatte.

Zum Schlussapplaus, Dieter Dorn hatte das letzte und überraschende Wort, erschien nur ein Teil der Darsteller, denn die Bühne hätte alle Beteiligten nicht fassen können. Mit dieser Inszenierung geht eine Ära zu Ende. Bleibt zu hoffen, dass der „Neue“ und sein Ensemble an diese Arbeit anknüpfen können. Mit „Das Käthchen von Heilbronn“ hat Dieter Dorn die Latte noch einmal ganz hoch gesteckt.

Was es mit dem Untertitel „… oder die Feuerprobe“ auf sich hat, sollte der verehrte Leser selbst in Erfahrung bringen. Es lohnt sich!

 

Wolf Banitzki

 

 


Das Käthchen von Heilbronn

von Heinrich von Kleist

Cornelia Froboess, Gabi Geist, Sunnyi Melles, Jennifer Minetti, Franziska Rieck, Anna Riedl, Heide von Strombeck, Lucy Wirth, Peter Albers, Michael von Au, Ulrich Beseler, Marcus Calvin, Burchard Dabinnus, Matthias Eberth, Thomas Gräßle, Dennis Herrmann, Alfred Kleinheinz, Shenja Lacher, Hannes Liebmann, Wolfgang Menardi, Oliver Möller, Oliver Nägele, Dirk Ossig, Felix Rech, Arnulf Schumacher, Helmut Stange, Fred Stillkrauth, Markus Wasner, Rudolf Wessely, Marcus Widmann

Regie: Dieter Dorn