Stadttheater Oblomow Sauschneidn. Ein Mütterspiel von Ewald Palmetshofer


 

 

Das Leben als Martyrium

Es ist wohl ein alpenländischer Ort, gewiss kein Idylle, an dem Rosi und Hansi vegetieren. Alpenländisch impliziert immer auch härteste Lebensbedingung, Einsamkeit und Grenzerfahrungen. Rosis Ehe ist ein Martyrium, ein ganz alltägliches, aus Lieblosigkeit und Gewalt. Schwiegermutter Hansi erkennt in Rosis Schicksal das eigene und findet, dass das Maß voll ist. Die Sau, gemeint ist der eigene Sohn, muss endlich geschnitten, sprich kastriert werden, damit er sich in seine Familie und seinen Lebenskreis fügt und seinen Pflichten nachkommt. Bis dahin behelfen sich die Frauen miteinander. Dabei braucht es Schnaps, viel Schnaps. Der Gedanke vom „sauschneidn“, einmal gedacht und ausgesprochen, verändert alles. Er treibt die Frauen auseinander und lässt ihre verzweifelte Einsamkeit ins Unerträgliche wuchern. Immerhin gibt es noch ein anderer Mann, mit dem man reden kann, der zuhört und mit dem Rosi trinkt. Doch es ändert sich nichts und bald schon wird klar, dass nur eine Katastrophe aus dieser Sackgasse des Daseins befreien wird. „Brennen soll's.“

Ewald Palmetshofers Drama ist zugleich sein Erstling, ein Werk von ungeahnter Wucht, verfasst in einer reifen, kunstreichen Dramensprache. In Palmetshofers Werk geht es auch und vor allem um Sprache, nämlich um die, die fehlt, die hilfreich wäre, sich zu orientieren und Lösungen zu finden. Dieser Zustand verweist darauf, da Sprache ja materialisiertes Denken ist, dass es am Denken, am verändernden, schöpferischen Denken mangelt. Dem Denken versagen sich jegliche Auswege und so ist das Vegetieren ein stumpfes Warten, ähnlich dem Warten auf Godot, der nicht kommt. Gefangen in einem Netz aus Tradition, Erziehung und Selbstbeschränkung wird Sprache zum Stammeln. Es bedarf keiner ganzen Sätze mehr, um den übermächtigen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ein Schweigen, ein Seufzen, ein Aufschrei werden zum existenziellen Notruf. Palmetshofer will weder erklären, noch will er belehren. Er zeigt nicht einmal einen Ausweg auf. Wozu auch, denn das Leben braucht keine Auswege, es geht einfach weiter. Dabei wird zermahlen, was nicht passt oder anpassungsfähig ist. Der Autor gestaltet eine Bestandsaufnahme und kehrt damit die innere Verzweifelung, die in manchen Leben steckt, nach außen. Die daraus resultierende Nachdenklichkeit ist hochpotent, weil illusionslos. Das ist der Ansatz zur Veränderung.

Die Inszenierung im Stadttheater Oblomow unter Federführung von Thomas Flach leistete nicht mehr und nicht weniger, als das, was der Autor vorgab. Und das war mehr als genug. Die Inszenierung war verstörend, ohne zu quälen; sie war erhellend, ohne allerdings Licht zu schaffen; sie war unterhaltsam, ohne alle Anbiederung; sie ist das Leben, wie man es ungern sieht. Léonie Drostes Bühne bestand aus einem leicht gekippten, überdimensionierten (Küchen-) Tisch, der Schlafstatt und Wohnraum zugleich war. Die Kostüme erinnerten in ihren hellen, natürlichen Farben an das Linnen, das man in der Aussteuertruhe der Urgroßmutter fand. In dieser wunderbare Atmosphäre trieben Christiane Blumhoff und Elisabeth Wasserscheid ihr qualvolles Spiel mit einer Intensität, die gelegentlich das Blut zum Stocken brachte. Christiane Blumhoffs Hansi war eine harte, gänzlich desillusionierte Frau, deren Leben eine Destillat aus Bitternissen war. Unter dem Vorzeichen dieser Bitternisse lebend, erstarrten auch die Haltungen von Elisabeth Wasserscheids Rosi mehr und mehr zur Leidenspose. Eingangs, wenn Hansi ihr die Haare kämmte, bis ihr der Kopf schmerzte, zeigte sie noch einen natürlichen Respekt von dem Hierarchischen des Generationenplans. Doch als die Idee vom „sauschneidn“ unwiderrufbar artikuliert worden war, wuchs das Grauen in Rosi vor der Mutter/Freundin/Verbündeten Hansi. Die Abkehr war unausweichlich, einhergehend mit verzweifelter, aber stetig wachsender Selbstbehauptung.
 
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Elisabeth Wasserscheid , Christiane Blumhoff

© Hilda Lobinger

 

Beide Darstellerinnen gestalteten Figuren, deren Umrisse sich wie Säure in den Stein fraßen und wie bei einer Lithografie ein grafisches Bild von menschlichen Zuständen schufen. Obgleich der dramatische Entwurf ein artifizielles Konstrukt ist, gelang die Schaffung individuell menschlicher Momente, die nachhaltig bewegten. Zurück blieb das Gefühl, in den Abgrund geschaut zu haben, wobei keine der Darstellerin ihre Figur als wirklich Abscheu erregend oder missverständlich gestalteten. Thomas Flach übersetzte die karge Sprache in sehr beredte, vielleicht sogar redselige Bilder. Wie schon bei „Emma in love“, das letztjährige Gewinnerstück im „Spielplanturnier ANPFIFF“, erlebte das Publikum erneut einen Theaterabend in sehr kleinem Rahmen, der, wie das Vorgängerstück auch,  den emotionalen Rahmen zu sprengen wusste.


Die Verzweifelung obsiegte nicht, denn am Ende gab es ein neues Wesen, dass, und hier bemüht Ewald Palmetshofer ein Symbol, per se ein Hoffnungsträger war. Wie berechtigt diese Hoffnungen sind, blieb dem Zuschauer überlassen. Schließlich stirb die Hoffnung immer zuletzt. „sauschneidn. ein mütterspiel“ verdient das Prädikat „sehr sehenswert“! Ein neuerliche Lob den Machern, die Theater als eine „moralische Anstalt“ verstehen. Entgegen allen Unkenrufen hat sich dieser wunderbare Ansatz noch nicht überlebt.


Wolf Banitzki

 

 

 


Sauschneidn. Ein Mütterspiel

von Ewald Palmetshofer

Elisabeth Wasserscheid , Christiane Blumhoff

Regie: Thomas Flach

Stadttheater Oblomow Emma in Love von Mike Bartlett


 

 

 
Störfaktor Mensch

Emma wird zu einem „Small Talk“ mit ihrer Managerin gebeten. Die sitzt, sehr maskulin wirkend, im schwarzen Anzug und mit freundlicher, aber unverbindlicher Miene in ihrem Büro, das obligatorische Klemmbrett auf den Knien. (Kostüme: Cornelia Meurer) Man bespricht den Arbeitsvertrag, insbesondere die Passagen, in denen zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz definiert sind. (Ein wenig erinnert die Managerin an einen Stasi-Führungsoffizier.) Man ist sich einig darüber, dass es beiden ausschließlich um das Wohl der Firma geht. Doch schon beim zweiten Gespräch stellt sich heraus, dass sich eine Beziehung mit einem Kollegen anbahnt. Emma gerät in die Mühlen der Firmenjustiz. Verschanzt hinter dem innerbetrieblichen Regelwerk, beginnt die Managerin auf existenzielle Weise in Emmas Leben einzugreifen. Emma ist den Spielregeln neoliberaler Menschenverwaltung ohnmächtig ausgeliefert. Es kommt im Verlauf der Handlung zum Äußersten. Doch am Ende zeigt sich, dass die Firma in ihrer „unendlichen Güte“ keinen ihrer Mitarbeiter fallen lässt, wenn dieser noch funktionstüchtig ist. Schöne neue Welt!
 
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Elisabeth Wasserscheid, Ina Mehling

© Hilda Lobinger

 
Autor Mike Bartlett zeichnet ein theatralisch gespiegeltes Bild von einer menschenverachtenden und erschütternden Realität, das keinesfalls realitätsfremd ist. Einst dem bürgerlichen Renaissanceideal verpflichtet - der Mensch als Mittelpunkt des Universums - offenbart sich die heutige bürgerliche Wirtschaftsrealität als eine verkappte Form von psychischer Sklaverei. Regelwerke knechten nicht nur den Menschen an sich, sondern auch seine Gefühle und sein Denken. Die Unterschrift des Arbeitnehmers unter den Vertrag entpuppt sich als Pakt mit dem Teufel. Die Diktatur des Kapitals schreitet voran und hinterlässt mehr als nur Kolalateralschäden. Sie verbannt Menschlichkeit in gesellschaftliche Nischen oder gar ins Private. Menschlichkeit muss man sich inzwischen leisten können.

Thomas Flach schuf im Stadttheater Oblomow ein minimalistisches Bühnenbild. Eine kleine Drehbühne inmitten des Raumes, beleuchtet von harten Spots, reichten aus, um in siebzig Minuten eine menschliche Seelenschau wie in einem anatomischen Theater aufzuführen. Regisseur Jochen Schölch wählte die Drehbühne, um den Vorgängen einen Ausstellungscharakter zu verleihen. Er besetzte die Rollen mit Ina Meling (Emma) und Elisabeth Wasserscheid (Managerin) kongenial. Beide agierten auf gleichem, sehr hohem Niveau darstellerischen Ausdrucks. Ina Meling war jede innere Regung Emmas vom Antlitz und an ihrer Körperhaltung abzulesen. Gekonnt steigerte sie ihre anfängliche Irritation über den Ausdruck der Verzweifelung bis hin zum blanken Entsetzen. Obgleich der Fortgang der Geschichte wegen der, an Absurdität grenzenden „Menschlichkeit“, stark komische Züge trug, verblieb das letzte Lachen in den Köpfen der Betrachter.

Elisabeth Wasserscheids Managerin wirkte kontrolliert unterkühlt, bei antrainierter Freundlichkeit. Sehr zielgerichtet demontierte sie die Persönlichkeit Emmas. Ihre Argumente wirkten, bei aller Perfidie, souverän, denn beide Frauen waren der Firmenideologie auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Dennoch huschten in Momenten der schlimmsten inneren Zerrüttung Emmas Anflüge von Menschlichkeit über das Gesicht von Elisabeth Wasserscheid. Diese Augenblicke signalisierten, dass beide Frauen im System gefangen waren. Doch das „allmächtige System“ duldete keine Schwächen und so wurde der Vernichtungsfeldzug bis zum bitteren Ende geführt. Die Darstellerinnen erzeugten mit ihrem sensiblen und facettenreichen Spiel ein großes Maß an Betroffenheit beim Betrachter.

Jochen Schölch brachte eine kleine, sehr intime Geschichte auf die Bühne, die alles andere als kleinlich war. Diese sehr geschlossene, zwingende Inszenierung war nicht nur eine Analyse unserer heutigen Wirtschaftswelt und deren Menschen, sondern hatte durchaus das Potential, Empörung zu erzeugen. Die theatralische Umsetzung gelang auf hohem künstlerischem Niveau. Darum: Unbedingt anschauen und, wenn möglich, die aufkommende Empörung in die reale Welt hinaustragen. Widerstand gegen Gleichgültigkeit und Entmenschlichung muss wieder zu einer Tugend werden. Es kann und darf nicht sein, dass der Mensch als der gravierendste Störfaktor in der Ökonomie angesehen wird.


Wolf Banitzki


 

 


Emma in Love

von Mike Bartlett

Ina Meling, Elisabeth Wasserscheid

Regie: Jochen Schölch

Oblomow Stadttheater Ganze Tage, ganze Nächte von Xavier Durringer


 

 

 
Zurück ins …

Schlafmützen oder Unausgeschlüpfte sind es die „Ganze Tage und Ganze Nächte“ damit verbringen, ihren Gedanken zu folgen, sich selbst zu suchen und Verbindung mit dem anderen Geschlecht zu versuchen. Völlig auf sich und auf simple Rituale zurückgeworfen, proben sie das, was man heute das Leben nennt. Regisseurin Ulrike Arnold steckte die jungen Schauspieler in Schlafsäcke, ließ sie wie Würmer über die Bühne kriechen, wie Schmetterlinge in Kokons schlüpfen und abhängen, und wie Küken aus dem angebrochenen Ei herauslugen. Hilflos und verloren treiben sie durch die Zeit, durch ein Werk ohne Handlung, auf der Suche nach der Antwort: Liebe, Leben … was und wie beginnen … Die persönliche Befindlichkeit ist Dreh- und Angelpunkt ihres Daseins, Gesprächsthema und Gedankensalat. Schon bei einer einfachen Annäherung an ein Gegenüber scheitern sie, und letztlich ebenso in der Gemeinsamkeit auf Zeit. Sie wissen genau, was ihre Klamotten gekostet haben, doch darüber hinaus haben sie keine Inhalte. Sie laufen dem als Lösung angepriesenen Geld hinterher, um damit enttäuscht und einsam am Bordstein zu sitzen. „Es ist alles egal …“ und eine endlos anmutende Aufzählung der Menschheitsprobleme von Klimawandel bis Simbabwe folgt. Die Ohnmacht scheint grenzenlos und spricht für sich.

Xavier Durringer, bekannter französischer Theaterautor, befasst sich vornehmlich mit aktuellen gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Problemen unserer Zeit. Er entwirft in der ihm eignen Art kompakte Szenarien aus der Welt der französischen und wohl mittlerweile global vernetzten Welt der Vorstädte. Er bedient sich ihrer Sprache, die er in einem Maß komprimiert, dass Lachen oder Traurigkeit im Zuschauer entstehen kann.

Regisseurin Ulrike Arnold ließ die Darsteller in die Rollen schlüpfen, denen Charaktereigenschaften, die Verbindung von Gefühl und Verstand, weitgehend fehlen und die als Hauptmerkmale das Schweben in gefühlsmäßiger Befindlichkeit auszeichnet. Als fänden Denken und Fühlen in getrennten Räumen statt. So kam Liebe, Sehnsucht, Angst und Aggression auf die Bühne. Dennoch erspielten die jungen Schauspieler deutlich erkennbare Figuren. Einerseits unterschieden sie sich wesentlich von einander, andererseits hingen sie alle in einem vereinenden Dilemma. Die Absolventen der August-Everding-Theaterakademie zeichneten sich allesamt durch starke Bühnenpräsenz und intensives, die Realität gekonnt überzeichnendes Spiel aus. Peri Baumeister, Rudi Hindenburg, Josephine Köhler, Philipp Lind, Matthias Renger, Sophie Rogall sinnierten, jammerten, stritten, schrieen und resignierten, waren hilflos, komisch, verletzt, ausgeliefert und sie brillierten alle gleichermaßen.

Der Zuschauer hatte ein lachendes und ein weinendes Auge, erlebte er doch, wunderbar überspitzt, die Möglichkeiten der jungen kraftlosen Generationen in einer scheinbar perfekt eingerichteten Welt. 
 
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Rudi Hindenburg, Josephine Köhler, Philipp Lind, Peri Baumeister

© Hilda Lobinger

 
Es ist die kulturelle Entwicklung, die den Menschen ausmacht und eine Kultur fordert Bekenntnis, Zugehörigkeitsgefühl und gelebten Gemeinschaftssinn. Die Gesellschaft vergibt, wie der Dramatiker auf der Bühne, Rollen, die angenommen und erfüllt werden wollen. Hierin liegt der Anfang von menschlicher Charakterbildung begründet. „Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes erkennen; denn er mißt nach eigenem Maß sich bald zu klein und leider oft zu groß. Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur das Leben lehret jedem, was er sei.“, so Goethe über den Wert der Begegnung.
Kulturelle Verarmung durch mangelnde Inhalte, mangelnden Raum zur eigenen Erfahrung und doktrinäre Beeinflussung durch die Medien werfen die Menschen zwangsläufig auf sich selbst und in sich selbst zurück. Die Sprache, früher besonders in der Umgangssprache eine stark bildhafte, mit zahllosen Metaphern angereicherte, ist einer abstrakten, in Begriffen lautenden gewichen. Die in der Seele beheimatete Fantasie wurde dadurch ausgehungert, musste sogenannten psychologischen Plausibilitäten weichen. Hier sterben die Illusionen, die Visionen gebären, die die Menschen über die Schwächen, die eigenen und die der anderen, hinwegtragen und ein lebbares Miteinander erst möglich machen. Die Menge des angehäuften Wissens ist nicht mehr verarbeitbar und damit nutzbringend umzusetzen für den Einzelnen. Dieser kann bestenfalls den Benutzer der Errungenschaften von der Glühbirne bis zum Auto geben. Arme neue Welt.

Ulrike Arnold gelang mit der feinfühligen Inszenierung von Xavier Durringers Werk eine kaum zu übertreffende Veranschaulichung. Hingehen! Ansehen!


C.M.Meier
 
 

 


Ganze Tage, ganze Nächte

von Xavier Durringer

Deutsch von Alain Jadot und Andreas Jandl

Peri Baumeister, Rudi Hindenburg, Josephine Köhler, Philipp Lind, Matthias Renger, Sophie Rogall

Regie: Ulrike Arnold

Stadttheater Oblomow Marieluise oder Die Rückseite der Rechnungen von Kerstin Specht


 

 

Ein großes Anliegen

Traditionen weiterzuführen ist eines der löblichen Anliegen in der Gesellschaft und der oberfränkische Bühnenautorin Kerstin Specht ist dies mit ihrem Werk über Marieluise Fleißer gelungen. Immerhin gilt die Aufmerksamkeit einer herausragenden Schriftstellerin. Die Rolle und die Möglichkeiten einer Frau in einem doch weitgehend von Männern beherrschten Metier, in einer Zeit, in der „Frauenquote“ noch ein unbekanntes Wort war, ist das Thema des Monologes. Schon der Titel „Die Rückseite der Rechnungen“ verweist auf die Schwierigkeiten, sowohl die äußeren als auch die inneren, denen sich eine Frau seinerzeit gegenüber sah und wohl heute teilweise immer noch sieht. Marieluise, eine starke und doch zerbrechliche Frau, erzählt aus ihrem Leben: die wichtigsten Stationen, die prägenden Begegnungen mit Männern, die Einschränkungen nicht nur durch Nationalsozialismus und Krieg.

„Kerstin Spechts Monolog ist eine Reise in Fleißers Erinnerungen.“, so das Programm. Diese Reise inszenierte Regisseur Alois-Michael Heigl klassisch unaufwendig, wohltemperiert  und damit sehr sinnfällig. Dascha Poisel gab der Protagonistin feinfühlig Gestalt und brillierte auf höchst unspektakuläre Weise. Sie zauberte aus den wenigen Kartons auf der Bühne Erinnerungsstücke, Kleider, eine Gitarre und verwandelte damit Zeit und Ort. Sie rückte den Stuhl und damit die äußeren oder inneren Gegebenheiten zurecht.
"Ich schreibe / mit buttergelben Handschuhen / Ich schreibe / über ein Schneegestöber / und schon schneit es draußen / Ich schreibe über Zahnweh / und schon schmerzt es / Ob es mit allem so geht / dass man sich was herschreiben kann / Gutes und Böses.", kam es von der Bühne und Marieluise alias Dascha oder Dascha alias Marieluise verkörperte die junge, in Wünschen und Träumen von der Welt und dem Schreiben befangene Studentin in den Münchner Tagen. Das war bevor sie Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht begegnete. Enthusiastisch und glücklich posierte sie für das Publikum und die Zeitungen, als ihr Stück „Fegefeuer in Ingolstadt“ in Berlin uraufgeführt wurde. Nachdenklich und zweifelnd überdachte sie ihre Beziehungen zu Brecht, zu Bep und zu Drawes und zu ihren Eltern. Dascha Poisel hinterlegte alle Texte mit dem passenden Gefühl, veranschaulichte durch entsprechende Gesten und schuf damit eine lebendige Erinnerung, an eine große Künstlerin.

Weiblich emotional, berührend erzählt.

 
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Dascha Poisel

© Hilda Lobinger

 

 

Über das Verhältnis der Schriftstellerin Marieluise Fleißer zur Gesellschaft und den Zeitgeist erfährt man aus ihren Werken. Es sind Volksstücke, die der genauen Beobachtung entspringen. „Wenn man sucht, findet man immer was.“, stellt sie in dem Werk „Pioniere in Ingolstadt“ fest. Dieser Satz Marieluise Fleißers kann stellvertretend für ihr gesamtes schriftstellerisches Schaffen stehen. Stets schaute sie genau hin auf die sie umgebenden Menschen, vornehmlich in Ingolstadt, ihrer Heimat, in der Marieluise den Großteil ihres Lebens verbrachte und deren kleinstädtisches Milieu durchaus stellvertretend für die vielen anderen Städte im Land stand und sicher noch stehen kann. Ihre Werke sind realistisch zeitlos, greifen sie doch die menschlichen Stärken und Schwächen auf. Ein wenig zu genau hat Marieluise Fleißer wohl hingesehen, denn ihre Stücke stehen leider viel zu selten auf den Spielplänen.

 
C.M.Meier

 

 


Marieluise oder Die Rückseite der Rechnungen

von Kerstin Specht

Dascha Poisel

Regie: Alois-Michael Heigl

Stadttheater Oblomow Der Alptraum vom Glück von Justine del Corte


 

 

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Uraufgeführt wurde „Der Alptraum vom Glück“ 2007 bei den Ruhrfestspielen. An erster Adresse sozusagen. Und die Inszenierung im Stadttheater Oblomow in München kündigt ihn an mit den Worten: „Findet man das Glück im Unglück, im Banalen, im Neuen, im Erreichten, im Zufall, im Zerstören, im Handeln … im Triumph oder im Scheitern, im Wissen oder im Nichtwissen? Die Figuren Justine del Cortes wissen es nicht. …“ und die Autorin … sie lässt sie einfach mehrfach als Mantra wiederholen: „Gottes Existenz ist dadurch erwiesen, dass er uns verlassen hat. Es gibt ihn nur deshalb, weil wir uns nach ihm sehnen.“ Doch damit nicht genug, stellt sie noch an den Beginn und an das Ende des Werks ein Zitat des Theologen Dietrich Bonhoeffer, welches da lautet: "Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen! In der Tat liegt die Freiheit." Das klingt doch alles wirklich großartig.

Es sind die einzigen Sätze, die durch Wiederholung hervorstachen und mit denen zweifellos Aussage demonstriert werden sollte. (Wobei das Zitat nicht als solches benannt wurde.) Der Rest: Eine Frau wacht alle sieben Jahre neben einem anderen Mann auf, eine andere erfährt das Einkaufen als traumatischen Vorgang und eine dritte erlebt mit ihrem Vater ein Road-Movie, während ein Regisseur lautstark Szenen probt und Bühnenarbeiter Männersprüche klopfen. Der Alp, ist ein zerrissenes kreatives Konstrukt aus vielen kleinen und kleinsten Szenen, u.a. gefüllt mit: „Scheiße … tu diese Monster da weg … hat die überhaupt ein Gehirn … spalte ihr den Schädel, ob überhaupt was drin ist (hahaha) … Kind einer armen gescheiterten lebensunfähigen Sau … der Dalai Lama fickt nicht … scheiß auf die Erleuchtung, ich ficke, ich glaube an das Ficken … ficken entspannt von sich selbst, ich ficke … Scheiße …ich habe mich selbst entjungfert, ich gönnte es dem Mann nicht … wenn Krieg wäre, hätte der Einkauf Sinn und die Familie würde darauf warten … Scheiße … ficken …“

Hört sich so das Scheitern am Glück an? Oder ist es nicht vielmehr Effekthascherei mit der die Autorin del Corte die Aufmerksamkeit des nicht an Unterschichtenfernsehen gewöhnten Theaterpublikums zu gewinnen suchte, und sei es durch Ablehnung. Weder der Inhalt der Szenen, noch eine besondere sprachliche Gestaltung band das Interesse wirklich an das Bühnengeschehen. Der Alptraum, also die Kehrseite des Glücks, das ist bei del Corte eine Sammlung von Befindlichkeiten und destruktiven Handlungen, von den Darstellern erzählend in Ich-Form vorgebracht. Es Monologe zu nennen wäre Übertreibung. Vieles wurde vorgetragen, auch ohne nur entfernt eine Auseinandersetzung mit den Begriffen und Vorstellungen von Glück und Unglück zu wagen oder diese gar näher zu betrachten. „Mit poetischer Kraft wirft Justine del Corte in Alptraum vom Glück einen Blick hinter den Schein und entblößt dabei berührend und mit humorvollem Feingefühl die Hilflosigkeit ihrer Figuren im Dasein", so die Ankündigung. Dabei entbehrt gerade der Text dieser poetischen Kraft und nur die Inszenierung und Gestaltung der Figuren durch Regie und Schauspieler brachte diese auf die Bühne. Das Ensemble bot durchgängig gute darstellerische Leistungen in verschiedenen Facetten. Die Palette reichte von lebendig bemüht bis hilflos verloren, im Tütü und cholerisch aus dem Hintergrund brüllend. Am Ende ließ Regisseur Jochen Schölch die, wie Puppen agierenden Tänzerinnen an Kleiderbügeln auf die Stange hängen (Bühne Thomas Flach).

Bloßstellung, in diesem Fall von Aspekten des Weiblichen und/oder des Männlichen, als Vorstellung von Kunst ist keineswegs neu und doch reicht sie nicht aus, um tatsächlich Kunst zu schaffen. Wenn man keine anregenden Gedanken erwartete, ein Glas guten Weins trank, mit Abstand den Schauspielern visuell folgte und die verbalen Ausführungen als eine Geräuschkulisse laufen ließ, konnte man die Aufführung als kurzweiligen Zeitvertreib betrachten.


C.M.Meier

 

 


Der Alptraum vom Glück

von Justine del Corte

Christiane Blumhoff, Matthias Grundig, Marius Borghoff, Claudia Carus, Nahuel Häflinger, Lea Woitak

Regie: Jochen Schölch

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