TamS Schwanenflug. Eine Begegnung. von Cornelie Müller
Ein Abend zwischen Weihrauch und Nonsens
Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass dieser Abend ein echter Frauenabend war. Das heißt nicht, dass der Mann nicht auf seine Kosten kam. Allein die Selbstironie, die Frau an den Abend legte, war ein Hochgenuss, insbesondere in Zeiten in denen Sexismusdiskussionen auch schon mal auf emotionale Kastration des männlichen Geschlechts hinauslaufen. Sie waren einfach schön anzuschauen, die drei Damen aus dem Feenreich, das es im TamS offensichtlich zu geben scheint.
Die Idee zu diesem Abend kam Projektleiterin Cornelia Müller beim Betrachten kleiner Figurinen von Rudolf Bodmeier im Anschluss an die „Grenzgänger Theatertage“ im TamS im Jahr 2011. Als das Publikum eben diese Figurinen am Premierenaben nun in Lebensgröße zu sehen bekam, wurde für jedermann das Zwingende, das Initialzündende klar und deutlich. Bodmeiers Figuren schienen unmittelbar einer dramatischen Inszenierung entsprungen zu sein und eine oberflächliche Betrachtung verbot sich geradezu. Die Darstellungen zeigten Frauengestalten, die tierische Physiognomien aufweisen wie die einer Kuh, einer Ziege oder einer Füchsin. Gewandet waren die Figuren im Stil der Belle Epoque. Sie boten unbestritten einen faszinierenden Anblick.
Die Bandbreite des Schaffens von Cornelie Müller ist so breit, dass man eigentlich kaum Grenzen benennen kann. So wurde denn an diesem Abend musiziert, getanzt, gespielt, gesprochen, geflogen, inne gehalten, mit Licht und Dunkelheit gerungen, installiert und, und, und ... Die Inszenierung ist betitelt mit „Schwanenflug. Eine Begegnung.“ Begegnungen gab es mehr als eine, denn es begegneten sich drei Frauen und sieben Figurinen. Das Gespinst der feinen Vernetzung war nicht selten unentschlüsselbar, absurd und geheimnisvoll. Die Bilder jedoch, die in rascher Abfolge entstanden, rührten an, machten neugierig oder erheiterten. Die zentrale Szene war schließlich der „Schwanenflug“. Das Schnattern der Schwäne war bis zu diesem Zeitpunkt schon vernehmlich geworden, und dann hielt es Alexandra Riechert nicht mehr am Boden. Fliegerbrille auf und los ging es flügelschlagend. Prompt kamen von Rose Bihler Shah, und Ines Honsel die erstaunten und auch entsetzten Fragen: „Ja, darf die denn das?“ und „Kann die denn das?“ Sie konnte und fragte nicht danach, ob sie durfte.
Und darum ging es an diesem Abend auch. Wer ist Frau? Was ist Frau? Ist Frau ein eigenständig handelndes Wesen? Die Antworten waren (manchmal auf Umwegen): Ja! Allzufrauliches wurde nicht ausgespart, wie Eitelkeiten, Missgunst, auch Standesdünkel war, wie mir schien, zu vernehmen. Wenn Frau spann, und zwar nicht alleine, wurde ein Faden wie eine Nabelschnur, über die die Energien flossen, hin- und hergewickelt. Im Hintergrund wurde musiziert, oder besser, geprobt. Als schließlich der Satz fiel, Geduld bringt Rosen, griffen Rose Bihler Shah und Ines Honsel zum Klammerbeutel, spannten eine Leine und hängten Rosen auf, wie man Wäsche zum Trocknen aufhängt. Dieses Element rundete das atmosphärische Bühnenbild von Claudia Karpfinger und Cornelie Müller schließlich ab. Der Bühnenboden war mit Schnittmusterbögen beklebt, links ein Stuhl und ein Tischchen und mit Weihrauchkerze, dahinter ein Cembalo. Einige kleine Hocker waren Sitzgelegenheiten aus einer anderen Zeit und wohl auch aus einer vergangenen Welt. Rechts hingen die sieben lebensgroßen Figurinen und davor ein Plattenspieler zum Erzeugen von Geräuschkulissen, Gespräche in undefinierbarer, aber sehr lebendiger Sprache oder, wie bereits erwähnt, das Schnattern von Schwänen.
Alexandra Riechert, Ines Honsel, Figurinen Rudolf Bodmeier © Hilda Lobinger |
Die gesprochenen Texte waren von Cornelie Müller aus dem Fundus der Weltliteratur zusammengeklaubt, nicht unbedingt mit Zusammenhang, aber in der Singularität durchaus erstaunlich, verblüffend und komisch. Der Versuch, eine schlüssige Handlung zu entdecken, wurde bereits durch die schwebende Spielart vermieden. Hinzu kamen wunderschöne Fantasiekostüme, die zwar stilistische Elemente erkennen ließen, in ihrem Eklektizismus allerdings völlig zeitlos waren und keinem konkreten kulturellen Raum zugewiesen werden konnten. Claudia Karpfingers kostümbildnerische Arbeit hatte großen Anteil am Gelingen des Abends. Am Ende hieß es über die Dichterinnen: „Allein ihre Namen sind reine Poesie:“ Es folgte, während das Licht schwand, eine Aufzählung aus dem Off.
Es war ein zauberhafter Abend, angesiedelt zwischen Weihrauch und Nonsens, zwischen Romantik und Kitsch, zwischen Tragik und Komik, der in jeder Minute wundervolle und wundervoll anzuschauende Darstellerinnen vorhielt, und der zudem von einer ausgefeilten Bildästhetik lebte, deren Zentrum die Figurinen von Rudolf Bodmeier bildeten. Dieser Abend war rundum ein Gewinn für jeden, dessen Fantasie noch lebendig ist. Er verlieh Flügel und erschuf einen erstaunlichen Schwan.
Wolf Banitzki
Schwanenflug. Eine Begegnung.
von Cornelie Müller
Rose Bihler Shah, Ines Honsel, Alexandra Riechert Figurinen Rudolf Bodmeier Regie: Cornelie Müller |