TamS  Tür auf, Tür zu von Ingrid Lausund


 

 

„Ausgeschlossen!!!

... dass es tatsächlich so ist.“ So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, trat deutlich hervor. „Es hat alles seine Ordnung, und Ordnung muss sein!“ „Um jeden Preis?“, würde ich den Mann fragen. „Auch um den Preis des Lebens, der Lebendigkeit ...

Ingrid Lausund, die Autorin des Stückes, richtete ihren Blick auf die Realität bevor sie, sicherlich mit Fantasie und künstlerischem Geschick, einen gesellschaftlichen Vorgang herauskristallisierte und in theatrale Form brachte. Dies ist ihr nun wahrlich gelungen und Ernsthaftigkeit und Humor halten in dem Stück „Tür auf, Tür zu“ einander die Waage. In einer Fülle von kurzen Dialogen, die auf die immer gleichen, doch wesentlichen Worte beschränkt, eine Flut von Bildern vor dem Zuschauer auftun. Die Ouvertüre: Ein Sprachspiel mit dem Titel, vorgetragen vom Chor.

Burchard Dabinnus und Lorenz Seib, die Schauspieler, empfingen mit kleinen großen Gesten und mit Augenzwinkern, Stolpern und Tanzschritten umgarnten sie das Publikum. Burchard Dabinnus verkörperte den unnahbaren Türsteher, der stets unbeeindruckbar das Geschehen kommentierte. „Tür auf, Tür zu. ... Tür auf, Tür zu.“ Bekleidet mit Frack höchst formell, lugten doch ein paar Federn aus seinem Ärmel. Die Federn seiner Natur, die den freien Flug hier wohl vergeblich suchen. Die geschlossene Gesellschaft beschäftigte ihn als Wächter, Warnrufer. Lorenz Seib hingegen kamen die 47 Nebenrollen, welche Man_ heute zu spielen hat, zu. Brillant schlüpfte er bisweilen in Sekundenschnelle von einer in die nächste. Der Partygast, der Kollege, der Bekannte, der Praktikant, der Kellner, der Coach. Flexibilität hatte seine umfassende Profession zu sein, herausgestellt durch die Regie von Judith von Radetzky.

Katja Amberger, die Protagonistin, ist zu Beginn noch ein Star in der Szene. Ihr pinkfarbenes Kleid ein gewollter Blickfang, ihr Selbstverständnis in dem ihrer (unsichtbaren, doch wunderbar angespielten) Umgebung reflektiert. Ihr Entschluss einen Schritt in die freie Natur zu tun, wurde ihr zum Verhängnis. Ausschluss und die Fülle der gesellschaftlich ausweglosen Wege brach über sie herein. Nun, und plötzlich 50 Jahre alt und damit „alt“ und ins Unbenannte abgeschoben, kämpfte sie, glaubhaft dargestellt, mit sich. Die anderen hatten sie längst in die buchhalterische (der Natur  und Gebärfähigkeit nachfolgenden) Kategorie „abgeschrieben“ eingestuft. Noch schnell ein letztes Geschäft: Ein Coach verkaufte ihr ein paar Tipps, Psycho-Tipps um ihre Träume zu unterstützen, am Laufen zu halten. Doch wie lange hält so ein unreflektiertes Spiel? Die Vorstellungen einer Ausgeschlossenen.  Und dann der 5. Akt, oder Showdown wie man heute sagen würde: Die Protagonistin hielt ihre Türe geschlossen. Unbewegt, ausgebrannt blieb Katja Amberger auf der Bühne zurück ... desillusioniert.

 
  Tuer auf 67  
 

Lorenz Seib, Burchard Dabinnus, Katja Amberger

© Hilda Lobinger

 

Es war in der Inszenierung angelegt, der allgemein herrschenden Hysterie veranschaulichend Rechnung zu tragen. Die Hauptdarstellerin gab wieder, wie Frau das Gefühl für sich selbst längst verloren hat und in Mechanismen agiert, zum Reaktionskörper wurde. Die Generationen, welche noch Lebendigkeit erfahren haben und in dieser aufgewachsen sind, werden zunehmend ausgeschlossen. Die umfassend durchgesetzte Funktionalität hat keinen Platz mehr für menschliche Emotionen und vielfältige Vorstellungen vorgesehen. Lästig wirken diese und jeder unabhängig denkende, und sei es auch nur der Natur verbundene, Mensch „ist unbedingt als Störfaktor zu erfassen und zu eliminieren“. Tür zu! Tür auf: Ein Vorgang der in der Gesellschaft mit einer enormen Konsequenz umgesetzt wird. Innerhalb der „Glaspaläste“  dürfen nur noch leere Mitmacher und Selbstausbeuter (ohne adäquate Entlohnung für ihre Leistungen) eingesetzt werden. Die betriebswirtschaftlichen Vorgaben sind „ausnahmslos umzusetzen“. Der Sprachduktus der sogenannten Machthaber läßt weder Widerspruch noch Alternative zu. Es ist Zeit aufzuwachen im „Vierten Reich“, der Wirtschaftsdiktatur.
Hier werden Frauen als willkommene und willfährige Mitmacherinnen aufgenommen, ist ihre Anpassungsfähigkeit naturgemäß größer als die der Männer. Unter der Fahne „Gleichberechtigung“, von der, betrachtet man die Realität und die Gehälter nur maximal viel geredet wird, werden diese rekrutiert. Das dem Militarismus entliehene Wort gehört zur Alltagssprache und ist Selbstverständnis im „Vierten Reich“.

„Es ist legitim, sich an einem Theaterabend über die menschliche Seite von Verlierern hähä VerliererInnen zu amüsieren. Noch dazu wenn die Inszenierung wirklich umfassend artifiziell war, worauf sicherlich heute größten Wert zu legen ist!“  So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, sein Lachen trat deutlich hervor. Geschmunzelt und gelächelt habe ich auch immer wieder, denn es war ein besonderes Stück, eine ausgezeichnete Inszenierung und das Schauspiel wahre Kunst.

 

C.M.Meier


 

 


Tür auf, Tür zu

 von Ingrid Lausund

Katja Amberger, Burchard Dabinnus, Lorenz Seib

Regie: Judith von Radetzky