Traumbürgerhochzeit

TamS Traumbürgerhochzeitl von Maria Peschek


 

Traumbürger statt Kleinbürger

1919 verfasste der Bürgerschreck Bertolt Brecht, angeregt von Karl Valentin, den vielleicht schönsten seiner fünf Einakter. Das Drama kam 1926 im Frankfurter Schauspielhaus unter dem Titel „Die Hochzeit“ zur Uraufführung. Die Prinzipien des epischen Theaters waren in diesem Schauspiel, geschrieben von dem 21jährigen Studenten Brecht, noch sehr unausgegoren. Späterhin, als Brecht seine Kunst „klassenspezifisch“ verstand, änderte er den Titel in „Kleinbürgerhochzeit“. Immerhin zeugte dieses Werk von einem recht liebevollen Umgang mit seinen Zeitgenossen. Das Damoklesschwert des Klassenkampfes pendelte noch nicht. Erzählt wird von einer Hochzeit „kleiner Leute“, die als Desaster endet.

Im Verlauf der Geschichte versucht der Brautvater unentwegt eine Geschichte zu erzählen, was ihm nicht gelingt; die Braut gibt vor, stolz auf den Zukünftigen zu sein, der sämtliche Möbel des neuen Hausstandes selbst gezimmert hat, die allerdings nach und nach das Zeitliche segnen. Der Bräutigam seinerseits ist eifersüchtig auf seinen Freund, einen „Gitarren-Casanova“. Schließlich erfährt auch noch alle Welt, dass die Braut schwanger ist. Und obgleich alles im Chaos unterzugehen droht, gelingt es dem Paar über die ganze Geschichte zu lachen, bis sie gemeinsam am Ende des gescheiterten Festes ins Bett sinken. Aber auch das hält der Wucht des Fatums nicht Stand und verabschiedet sich.

Unter Hinweis auf das Baal-Desaster am Münchner Residenztheater verfasste Maria Peschek vorab eine Selbstanzeige, denn auch ihr wurde es nicht gestattet, das von ihr verfasste und von Brecht inspirierte Stück „Kleinbürgerhochzeit“ zu nennen. Nach der Uraufführung kann man sagen, dass ihr damit ein Bärendienst erwiesen wurde, denn das von Frau Peschek verfasste Schauspiel gefällt mit dem Titel „Die Traumbürgerhochzeit“ ohnehin besser. Spätestens seit der Werbung eines Geldinstitutes: „Wenn ich einmal groß bin, möchte ich Spießer werden.“ ist das Wort Kleinbürger kein Schimpfwort mehr, sondern eine anerkannte Massenbewegung.

Unter Beibehaltung der Personage und auch der Grundkonflikte transponierte Maria Peschek die Geschichte in die heutige Welt der medialen Öffentlichkeit. Natalie Wurster, selbstbewusst-dümmlich und aggressiv wie ein Pitbull von Catalina Navarro Kirner gespielt, sehnte sich nach ihrem Tag des Ruhms. (Mit den 15 Minuten Ruhm – Andy Warhol – gibt sich heute niemand mehr zufrieden.) Der könnte ihr Hochzeitstag sein, denn die Familie Wurster (Blut ist in jedem Fall dicker als Wasser!) beteiligte sich an einem Fernsehwettbewerb zum Thema „Traumhochzeit“. Sie hatten es bis in die Endrunde geschafft und genossen die mediale Anerkennung (A star is born!). Und da es an Professionalität im Umgang mit den Medien mangelte, tappten sie in jede Falle, in jedes Fettnäpfchen und ihre Performance war einfach nur peinlich und blamabel – man nennt es auch „Unterschichtenfernsehen“. Mutti Elvira entblätterte dabei auch schon mal ihre unrühmliche Vergangenheit. Sophie Wendt, stets eine Kippe im Mundwinkel, überspielte die Vulgarität ihrer Figur ausgesprochen dilettantisch. Ihre wichtigste Strategie: Einfach nicht ignorieren! Helmut Dauner als Lebensgefährte Jacko zeichnete sich vornehmlich dadurch aus, dass er Denkvorgänge, die zu keinem Ergebnis führten, auf erschütternde Weise sichtbar machte. Er widerlegte die These, dass Gedanken etwas immaterielles sein. Komplettiert wurde die Quadriga deutscher Fernsehhochkultur durch die ideenreiche, pubertierende Schwester Polli. Ante Brekalo war, bei unübersehbarer Ähnlichkeit, der fabelhafte Gegenentwurf zu Conchita Wurst, ein echter Wurster eben.

  Traumbuergerhochzeit-TamS  
  Catalina Navarro Kirner, Helmut Dauner, Sophie Wendt, Ante Brekalo
© Hilda Lobinger
 

Burchard Dabinnus, ein Ableger der Leningrad-Cowboy von Kaurismäki, moderierte agil und skurril die Show, ein echter Medien-Hanswurst. Andreas Mayers Bräutigam war alles, nur nicht mündig, und seine Emanzipationsbemühungen wurde brutal weggebügelt. Last but not least kommentierte Lorenz Claussen als Onkel Hubsi das Geschehen von der Toilette aus, die er eifrig besuchte und deren Spülgeräusche fester Bestandteil der Klangkulisse waren. Er war es auch, der Brechtsches Gedankengut in homöopathischen Dosen eintröpfeln lies: „Der Mensch ist gar nicht gut / drum hau ihn auf den Hut…“ (Aus: Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens) An Unzulänglichkeiten mangelte es nicht und das berührte das TV-Publikum wohl am meisten, denn gute Kunst ist die Kunst, in der man sich wiederfindet. Schließlich wurde Familie Wurster zum Sieger gekürt. Das Glück war vollkommen. Doch damit nicht genug. Zeitgleich mit der Nachricht ihres Sieges ereilte sie die Mitteilung, dass ein chinesischer Oligarch die Sendung gekauft hatte. Fortan würden die Wursters also ihr Leben im chinesischen Fernsehen fristen. Sie hatten endlich ihre Bestimmung gefunden, oder sollte man sage: errungen? Ein Schelm, wem der Vergleich mit einem Zoo in den Sinn kommt.

Anette Spola hatte diese Groteske schrill in Szene gesetzt. Bühne und vor allem die Kostüme von Claudia Karpfinger erinnerten ein wenig an die Aufgedrehtheit der „Lollipop“-Kultur, bunt, schrill, sinnfrei und anspruchslos. Peter Mentzel leuchtete das Ganze kongenial aus. Es ging so schrill zu, dass man hätte meinen können, die maßlose darstellerische Übertreibung unterlaufe die Ideen der Autorin. Doch weit gefehlt. Man schaue sich einmal eine dieser Shows an, die für so simple Geschöpfe gemacht werden, die nicht einmal wissen, dass es so etwas wie Würde gibt. Tatsächlich (re-)produzieren diese Shows dank ihrer unglaublichen Effizienz Herrscharen ihres geist- und geschmacklosen Kanonenfutters. The show must go on! Und so kann man getrost konstatieren, dass sich seit Brecht nichts wirklich geändert hat. Es bleibt bei der „Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“.

Auch wenn es Maria Peschek und ihrer Regisseurin Anette Spola nicht unbedingt gelang, die Geschichte stringent und zwingend zu erzählen, so hatte der Abend unbedingt wahnsinnig komische Momente. Die Darsteller barsten schier vor Spiellust und es gab eine Vielzahl von Momenten, in denen philosophischer Hintersinn aufblitzte, womit man unbedingt die schwer überbietbare, abgebildete Realität überwand. Es fiel dem Publikum nicht schwer, sich zu positionieren. Das ist eine Qualität, die nicht jeder Theaterabend bietet.

 

Wolf Banitzki

 


Die Traumbürgerhochzeit
von Maria Peschek
nach einer Idee von Bert Brecht

Ante Brekalo, Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Catalina Navarro Kirner, Andreas Mayer, Sophie Wendt

Regie: Anette Spola