TamS VOM SCHLIMMSTEN DAS BESTE von Thomas Bernhard
Hommage an einen ...
Thomas Bernhard lobte die Skandalpresse. Ob Kronen- oder Bild-Zeitung, hier findest sich das pure Leben, ungeschönt und erbarmungslos, wie er meinte. Und tatsächlich lesen sich seine Texte aus „Der Stimmenimitator“ wie die knappe Zusammenfassung menschlicher Tragödienfähigkeit. Da werden Ehefrauen, nebst Kindern gemeuchelt; da verlieren biedere Mitmenschen an der Realität den Verstand; da brennt ein Expostbote die psychiatrische Anstalt nieder, wobei alle Insassen, einschließlich er selbst, ums Leben kommen; da stürzen sich Menschen, des Lebens überdrüssig, von berückenden Hochalpenaussichtsplattformen herunter; da verschwinden Höhlenforscher auf Nimmerwiedersehen, ebenso die nachgesandten Rettungstrupps, und ein Bürgermeister beschließt letztlich, die Eingänge der Höhlen vermauern zu lassen. Wenn die Realitäten unerträglich werden, ist vermauern ein altbewährtes Mittel. Kaum ein Dichter saß jemals so schonungslos mit der Spezies Mensch zu Gericht wie Thomas Bernhard. Wenn der sperrige Österreicher, er wäre heuer 80 Jahre alt geworden, seine Geschichten erzählt, dann klingen Katastrophen nach Alltäglichkeit, dann erscheint die menschliche Existenz plötzlich ziemlich lächerlich. Darum ist „vom Schlimmsten das Beste“ auch so unterhaltsam und anschaulich. Man muss sich nur darauf einlassen können.
Es lag wohl kaum in den Intentionen von Lorenz Seib, eine große humanistische Botschaft zu befördern. Vielmehr verwies die szenische Lesung auf die Abgründe menschlicher Alltagsexistenz, in der heiter drauflos gemordet wird. Die Gründe dafür entlarven die „Krönung der Schöpfung“ als das dümmstes und banalste aller Tiere. Und um den Menschen noch deutlicher zu karikieren, stellte Regisseur Seib den beiden Darstellern ein Regal zu Seite (oder besser in den Rücken), das auf mystische Weise das gesprochene Wort in Taten verwandelte. Da lässt das Regal Blätter regnen, auf denen noch sonderbarere Geschichten geschrieben stehen; da stürzen plötzlich wohlgehütete Zimmerpflanzen krachend zu Boden und zerschellen; da beginnt unvermittelt eine Rechenmaschine einen endlosen Belegstreifen auszuspucken; da entwickelt ein Rucksack ein Eigenleben, usw. So unfassbar wie die Beweggründe für das in den Geschichten beschriebene menschliche Handeln, so unfassbar sind die Vorgänge im Korpus des Regals, das auch vor Selbstzerstörung nicht zurückschreckt.
So kommunizieren Sophie Wendt und Lorenz Claussen nicht nur (scheinbar widerwillig) miteinander, sondern auch mit dem Regal, welches ihnen immer wieder Reaktionen abfordert. Diese bleiben „naturgemäß“ (ein von Bernhard besonders geliebtes Wort) verhalten in ihren Reaktionen. Schlimm genug, dass man sich den Geschichten aus eigenem Mund ratlos gegenüber sieht, wie soll man erst auf das Eigenleben eines Regals reagieren? Man reagiert mit spießigen, alltäglichen Ritualen, nimmt ein Fußbad, knabbert konzentriert Süßigkeiten, gießt sich ein Stamperl ein oder verbannt die beunruhigenden Texte in Leitzordner, gut gefaltet und gelocht.
Thomas Bernhard lobte die Skandalpresse. Ob Kronen- oder Bild-Zeitung, hier findest sich das pure Leben, ungeschönt und erbarmungslos, wie er meinte. Und tatsächlich lesen sich seine Texte aus „Der Stimmenimitator“ wie die knappe Zusammenfassung menschlicher Tragödienfähigkeit. Da werden Ehefrauen, nebst Kindern gemeuchelt; da verlieren biedere Mitmenschen an der Realität den Verstand; da brennt ein Expostbote die psychiatrische Anstalt nieder, wobei alle Insassen, einschließlich er selbst, ums Leben kommen; da stürzen sich Menschen, des Lebens überdrüssig, von berückenden Hochalpenaussichtsplattformen herunter; da verschwinden Höhlenforscher auf Nimmerwiedersehen, ebenso die nachgesandten Rettungstrupps, und ein Bürgermeister beschließt letztlich, die Eingänge der Höhlen vermauern zu lassen. Wenn die Realitäten unerträglich werden, ist vermauern ein altbewährtes Mittel. Kaum ein Dichter saß jemals so schonungslos mit der Spezies Mensch zu Gericht wie Thomas Bernhard. Wenn der sperrige Österreicher, er wäre heuer 80 Jahre alt geworden, seine Geschichten erzählt, dann klingen Katastrophen nach Alltäglichkeit, dann erscheint die menschliche Existenz plötzlich ziemlich lächerlich. Darum ist „vom Schlimmsten das Beste“ auch so unterhaltsam und anschaulich. Man muss sich nur darauf einlassen können.
Es lag wohl kaum in den Intentionen von Lorenz Seib, eine große humanistische Botschaft zu befördern. Vielmehr verwies die szenische Lesung auf die Abgründe menschlicher Alltagsexistenz, in der heiter drauflos gemordet wird. Die Gründe dafür entlarven die „Krönung der Schöpfung“ als das dümmstes und banalste aller Tiere. Und um den Menschen noch deutlicher zu karikieren, stellte Regisseur Seib den beiden Darstellern ein Regal zu Seite (oder besser in den Rücken), das auf mystische Weise das gesprochene Wort in Taten verwandelte. Da lässt das Regal Blätter regnen, auf denen noch sonderbarere Geschichten geschrieben stehen; da stürzen plötzlich wohlgehütete Zimmerpflanzen krachend zu Boden und zerschellen; da beginnt unvermittelt eine Rechenmaschine einen endlosen Belegstreifen auszuspucken; da entwickelt ein Rucksack ein Eigenleben, usw. So unfassbar wie die Beweggründe für das in den Geschichten beschriebene menschliche Handeln, so unfassbar sind die Vorgänge im Korpus des Regals, das auch vor Selbstzerstörung nicht zurückschreckt.
So kommunizieren Sophie Wendt und Lorenz Claussen nicht nur (scheinbar widerwillig) miteinander, sondern auch mit dem Regal, welches ihnen immer wieder Reaktionen abfordert. Diese bleiben „naturgemäß“ (ein von Bernhard besonders geliebtes Wort) verhalten in ihren Reaktionen. Schlimm genug, dass man sich den Geschichten aus eigenem Mund ratlos gegenüber sieht, wie soll man erst auf das Eigenleben eines Regals reagieren? Man reagiert mit spießigen, alltäglichen Ritualen, nimmt ein Fußbad, knabbert konzentriert Süßigkeiten, gießt sich ein Stamperl ein oder verbannt die beunruhigenden Texte in Leitzordner, gut gefaltet und gelocht.
Lorenz Claussen, Sophie Wendt © Hilda Lobinger |
Die Qualität des Abends resultierte weniger aus der sprachlichen Interpretation der Texte, sondern vielmehr aus der obskuren Stimmung, die sich im Spannungsfeld menschlicher Tragödien und dem Eigenleben der „unbelebten“ Natur, die in dem vorliegenden Fall nicht abgenabelt existierte, herstellte. Das menschlich Unfassbare wurde zum (sichtbaren) Unfassbaren an sich. In dieser sonderbaren Stimmung entfalteten die Bernhardschen Texte über eine Stunde hinweg ein kafkaeskes Eigenleben. Dabei ging es nicht um Verstehen, sondern, bestenfalls, um eine Katharsis, die wiederum einen besonderen, nämlich einen Bernhardschen Charakter hatte. Bei Bernhard stehen Katharsis und Resignation auf einer Stufe, was es allerdings auch leichter machte, beides zu ertragen.
Dieser verhalten heitere Abend war auch als Hommage an den österreichischen Schriftsteller gedacht. Einen Dichter kann man kaum besser ehren, als durch den Versuch, seine Texte so zu entschlüsseln und zu interpretieren, dass breite Schichten der Bevölkerung oder wenigstens die Theatergänger ihren Reiz und ihren Wert erkennen. Das ist dem TamS Theater allemal gelungen. Die Inszenierung war „naturgemäß“, da es sich vornehmlich um eine Lesung handelte, kein theatrales Großereignis. Aber es ist eine sinnvolle, weil unterhaltsame und lehrreiche, Ergänzung zur Rezeption des Bernhardschen Werkes, dem im gesellschaftlichen Bewusstsein leider noch nicht der gebührende Stellenwert zuerkannt wurde. Bernhard ist noch kein Klassiker. Über Klassiker kann man getrost wohlwollend reden, auch ohne sie gelesen zu haben. Mit „Nestbeschmutzern“ ist das so eine Sache. Die sind erst dann anerkannt (und werden hemmungslos geliebt), wenn die Nester neue sind. Dann werden sie allerdings nicht selten zu Säulenheiligen, mit artigsten Attributen und Begrifflichkeiten ausgestattet und auf ihnen festgenagelt, hochstilisiert. Und eben das ist das eigentliche Weltdrama, wie Bernhard meint: „Schriftsteller sind ja genau so (wie jeder andere Mensch auch - Anmerkung W.B.), überall Nägel und Begriffe: Tod, Leben, Liebe, Keuschheit, Ruhmsucht, alles das. Das ist das eigentliche Drama.“ Wie wahr!
Dieser verhalten heitere Abend war auch als Hommage an den österreichischen Schriftsteller gedacht. Einen Dichter kann man kaum besser ehren, als durch den Versuch, seine Texte so zu entschlüsseln und zu interpretieren, dass breite Schichten der Bevölkerung oder wenigstens die Theatergänger ihren Reiz und ihren Wert erkennen. Das ist dem TamS Theater allemal gelungen. Die Inszenierung war „naturgemäß“, da es sich vornehmlich um eine Lesung handelte, kein theatrales Großereignis. Aber es ist eine sinnvolle, weil unterhaltsame und lehrreiche, Ergänzung zur Rezeption des Bernhardschen Werkes, dem im gesellschaftlichen Bewusstsein leider noch nicht der gebührende Stellenwert zuerkannt wurde. Bernhard ist noch kein Klassiker. Über Klassiker kann man getrost wohlwollend reden, auch ohne sie gelesen zu haben. Mit „Nestbeschmutzern“ ist das so eine Sache. Die sind erst dann anerkannt (und werden hemmungslos geliebt), wenn die Nester neue sind. Dann werden sie allerdings nicht selten zu Säulenheiligen, mit artigsten Attributen und Begrifflichkeiten ausgestattet und auf ihnen festgenagelt, hochstilisiert. Und eben das ist das eigentliche Weltdrama, wie Bernhard meint: „Schriftsteller sind ja genau so (wie jeder andere Mensch auch - Anmerkung W.B.), überall Nägel und Begriffe: Tod, Leben, Liebe, Keuschheit, Ruhmsucht, alles das. Das ist das eigentliche Drama.“ Wie wahr!
Wolf Banitzki
VOM SCHLIMMSTEN DAS BESTE
von Thomas Bernhard
Texte aus "Der Stimmenimitator"
verschlimmert von 2 Schauspielern und einem Regal
Sophie Wendt und Lorenz Claussen Regie: Lorenz Seib |