TamS Kellner Lear von Urs Widmer


 

 

 

Sketche mit und ohne Bart

Vier Schauspieler mit Namen Alexandra (Riechert), Burchard (Dabinnus), Helmut (Dauner) und Achim (Hall) erschienen nach und nach zur Vorstellung. „Bin ich zu früh?“ „Komm ich zu spät?“ ... „Was spielen wir eigentlich?“ „Es ist ausverkauft!“ „Was haben wir gestern gespielt?“ „Faust II“ „Zuviel Text.“ „Das Gedächtnis ist katastrophal. Faust geht gar nicht mehr. Vielleicht der Pudel noch...“ Dann Burchard: „Ich würde gern den Lear spielen. Jetzt wäre die Zeit für den Lear, genau heute. Ich spüre es ...“ Alexandra: „Ich habe einen Text, bin eben Urs (Widmer) begegnet an der Münchner Freiheit. Hier, Urs’ Skizzenbuch.“ (Gänzlich aus dem Gedächtnis zitiert. W.B.)

Und dann begann der szenische Reigen. Burchard war Kellner, Helmut auch. Es folgte ein Reihe Sketche, scheinbar zusammenhanglos. Irgendwann gab es Stichworte, die einen Zusammenhang herstellten. Unvermittelt geriet einiges in den Focus der Psychoanalyse. Sitzungen wurden gespielt. Heraus kam, dass alle Musik ihren Anfang nahm, als Kinder die Eltern beim Akt belauschten. So oder so ähnlich oder auch ganz gewiss entstand auch der Kellner. Der Kellner als Urform der menschlichen Existenz?
In jedem Gast steckt eben auch ein Kellner, weil ... und umgekehrt. Auch der Ex-Stasi- Ossi tauchte auf und die Mauer, die Ossis wie Wessis herbeisehnen. Am Ende, alle waren nun auf wundersame Weise zu Kellnern mutiert, gingen die Darsteller nach und nach ab, Unverbindlichkeit hinterlassend. Zurück blieb Ratlosigkeit, die beklatscht wurde.

Es war schwer zu glauben, dass es sich um eine Komödie handeln sollte. Zugegeben, gelacht wurde bei dem einen oder anderen Bonmot. Mancher Gag hatte allerdings einen ellenlangen Bart und verreckte jämmerlich, trotz sichtlichen Bemühens der Darsteller. Der Sinn des Abends, Worin mag er wohl bestanden haben?, blieb in jedem Fall auf der Strecke. Ein Handlungsfaden war nicht wirklich zu erkennen. Theater des Absurden war es nicht, vielmehr absurdes Theater. Ging es um das beklagenswerte Dasein des Schauspielers, oder um das ebenso beklagenswerte Dasein des Kellners? Oder ist jeder Schauspieler eigentlich ein Kellner, der auf Bestellung bedient - und umgekehrt? Fragen, Fragen, Fragen und keine wirklich schlüssigen Antworten. Das Werbeblatt konsultiert, erfährt der Zuschauer, dass es sich um ein „komisches, melancholisches Stück handelt vom Kellnern, aber auch vom Theater. Es geht um nichts und um alles: (Zugegeben, so fühlte es sich an! W.B.) Um das Leben, das Theater, um die Liebe und ums alt werden. Um vergessene Vergangenheit geht es und um verpasste Chancen, verblasste Erinnerungen.“

Claudia Karpfingers Bühne bestand aus zwei Tresen, die auch als Laufstege, Konsultationszimmer des Analytikers fungierten. Viele Gänge wurden gegangen, manche offensichtlich nur, damit überhaupt Bewegung auf der Bühne herrschte. Das Bühnenbild schuf jedenfalls keine Einheit, keinen Gesamteindruck.

Regisseurin Anette Spola gelang dies ebenso wenig. Es blieb eine Aneinanderreihung von Sketchen, von eigenständigen Szenen, die nur selten ihre Fortsetzung in anderen Szenen fanden. Das Bild, welches Anliegen verfolgt wurde, blieb so diffus wie die meisten Charaktere der dargestellten Rollen. Ein Ansatz wiederholte sich allerdings konstant, das Motiv der Vergesslichkeit. So lag über allem ein Hauch von komischer Demenz, die in eine ebenso komische Unfähigkeit, anstehende Probleme einer Lösung zuzuführen, mündete. Dabei war allerdings nie oder höchst selten schlüssig, um welche Probleme es sich handelte.

Es ist kaum anzunehmen, dass Demenz ein Problem von Urs Widmer ist. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass Widmer tatsächlich so etwas wie ein Skizzenbuch, eine Sammlung komischer oder vermeintlich komischer Spielszenen vorlegte, die er im Laufe seiner grandiosen Dichterkarriere gesammelt hatte. Manches verblüffte, mehr noch verwirrte. So verwundert es auch nicht, dass es Frau Spola letztlich nicht gelang, sie zu einem Gesamtkunstwerk zu verschmelzen.

Es war ein Abend der Unverbindlichkeiten, der Andeutungen. Ein Rätsel blieb gänzlich unaufgeklärt. Im Programmzettel wurde Lorenz Seib als Dresseur aufgeführt. Wer oder was wurde hier dressiert? Der Pudel aus dem Faust trat nicht auf. Gut so, er hätte das ohnehin brüchige dramatische Konstrukt wahrscheinlich gänzlich gesprengt.

 

Wolf Banitzki

 

 


DEA Kellner Lear

von Urs Widmer

Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Achim Hall, Alexandra Riechert,

Regie: Anette Spola
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