Teamtheater Tankstelle A Story of Wallstreet nach Herman Melville
Und tüchtig klingeln die Kassen
Was ist eine Ratingagentur? Und wer arbeitet in einer solchen? Ratingagenturen sind Unternehmen im Bereich der Ökonomie, die Analysen und Bewertungen erstellen und Empfehlungen aussprechen. An sich ist das ja keine schlechte Sache, denn eine Empfehlung ist eine Empfehlung und kann gegebenenfalls auch ignoriert werden. Stutzig macht dann allerdings, wenn man erfährt, dass diese Agenturen Milliardengewinne machen, ihre Mitarbeiter Gehälter einfahren, die man getrost als Vermögen bezeichnen könnte. Da kommt der Verdacht auf, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, denn eigentlich sind diese Agenturen so überflüssig wie ein Kropf. Die ganze Sache erscheint plötzlich in einem ganz anderen Licht, wenn man begreift, dass diese Agenturen immer Gewinner sind. Kommt es zu einer Konjunktur, kassieren sie ab. Gibt es eine Rezession, kassieren sie ab. Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass sie Konjunkturen oder Rezessionen gezielt herbeiführen können.
Schaut man einmal drauf, wer die Drahtzieher dieser Untenehmen sind, stellt sich erstaunlicherweise heraus, dass sie stets mit den Leuten verbandelt sind, die auch ihre Finger in den Großbanken dieser Welt haben. Das klingt nach Verschwörungstheorie, ist es aber nicht, sondern nachprüfbare Praxis. Jeder könnte es wissen, wenn er einmal genau hinschauen würde. Und wer zahlt diesen I-Padgangstern ihre traumhaften Gewinne? Die Bürger, die mit ihrer Hände Arbeit oder mit ihres Verstandes Leistung noch wirkliche, fassbare Werte schaffen. Aber gerade diese werden uns ganz unverhohlen von den selbsternannten „Masters of the Universe“ gestohlen. Das Faszinierende daran ist, dass sie sich für ihr verbrecherisches Treiben mit den Verfassungen der 1.Weltstaaten rechtfertigen können, die die freie Meinungsäußerung schützen. Nichts anderes als freie Meinungsäußerungen sind die Analysen, Prognosen und Empfehlungen der Ratingagenturen.
In dieses geheimnisumwitterte Milieu entführt die Inszenierung „A Story of Wallstreet“ von Andreas Wiedermann im Teamtheater Tankstelle. Die Geschichte basiert auf einer Textfassung vor Urs Klebe, die inspiriert ist von Herman Melevilles Novelle „Bartleby“, zuzüglich einiger Textanleihen bei Franz Kafka und Fernando Pessoa.
Die Geschichte des Schreibers Bartleby könnte fraglos auch aus der Feder Kafkas stammen, so kafkaesk mutet sie an. „I would prefer not to.” Dieser Satz ist Auslöser einer Krise, die allerdings keinen Sand ins Getriebe der Wallstreet, Nabel der Weltökonomie, bringt, denn jedes Rädchen ist austauschbar. Bartleby steigt aus aus der Arbeitswelt und schließlich auch aus dem Leben, denn er hat die Sinnlosigkeit seines Tuns begriffen. Der Run auf Reichtum, nach einem komfortablen Leben (Jeder will es!), hat ihn weit weggebracht von dem, was Glück bedeuten könnte. Anstelle von rasender Gier setzt Bartleby Kontemplation und plötzlich entdeckt er die Schönheit der beobachtenden Reglosigkeit. Er fühlt sich wieder selbst, genießt es und es ist ihm genug.
Autor Urs Klebe ist zugleich auch der Darsteller des Bartlebys. „Ich sehe seine Gestalt noch heute vor mir – ausdruckslos sauber, erbarmungswürdig achtbar, hoffnungslos einsam. Es war Bartleby.“ Dieses Zitat aus Melvilles „Bartleby“ ist durchaus zutreffen für die Figur, wie Klebe sie auf der Bühne präsentierte. Im Reigen der überambitionierten Finanzzauberer wirkte er zunehmend somnambuler, abwesender. Urs Klebe spielte den Bartleby unaufhaltsam hinaus aus der betriebsamen Realität und hinüber ins Jenseits. Als er einer Aufforderung Steves, seines Chefs, eine Arbeit zu übernehmen mit den Worten begegnet: „Ich möchte lieber nicht.“ ist dieser fassungslos. Das war immerhin ein Kündigungsgrund. Doch Steve, wuchtig, propper und pragmatisch von Franz Brandhuber gespielt, geriet nicht einmal in Wut. Warum? „Bartleby aber hatte etwas an sich, was mich nicht allein seltsam entwaffnete, sondern auch, aufs wunderlichste, rührte und aus dem Konzept brachte.“ (Melville)
In Wiedermanns Inszenierung war Bartleby nur bedingt die Hauptfigur. Er war vielmehr so etwas wie der Katalysator für die Handlung, die ihn am Ende doch ignorierte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Autor und Regisseur ging es vielmehr darum, die Welt des Finanzkapitals zu beleuchten, zu durchdringen und auch zu erläutern. Schon Brecht bedauerte seinerzeit, die Börse nicht verstehen zu können. Dabei ist die Ökonomie an sich ein äußerst primitives Handwerk. Kompliziert ist die Psychologie, die sich entwickelt hat, um eben diese Primitivität zu verschleiern und die Gesetze des Marktes auszuhebeln und zu missbrauchen. Es entstand eine kryptische Sprache, mit der sich die Priester dieser allmächtigen Weltreligion von den Gläubigen auf die denkbar arroganteste Weise absetzen. In den vierzig szenischen Miniaturen wurde dies überdeutlich. Inhaltslosigkeit herrschte allenthalben. Ad absurdum führten Wiedermann/Klebe die Geschichte, als die Ratingagentur dem Mars das Prädikat Triple A verliehen und selbst hinreisten. Dort, in einer eiskalten Wüste, mussten sie sich endlich eingestehen, dass weder die Analysen stimmten, noch ihr Voting. Dumm gelaufen, möchte man schmunzelnd kommentieren, wenn das Krebsgeschwür Finanzkapital nicht so existenzgefährdend wäre. Eine Entsorgung dieser Gierlinge auf den Mars ist technisch leider noch nicht möglich.
Der zweistündige Theaterabend war lehrreich, unterhaltsam und ästhetisch anspruchsvoll. Die Bühne von Udo Ebenbeck bestand aus einem großen Screen, auf den die Bühnenbilder von Lisa Erdmann projiziert wurden. Das funktionierte wunderbar, erwies sich als praktisch und entsprach ästhetisch dem Charakter der Geschichte. Den hochdramatischen Rhythmus, hier ging es immerhin um Turbokapitalismus, erhielt das Spiel durch die Percussionistin Agnieszka Engelsdorf. Sämtlichen Darstellern gelang die Gestaltung klarer und deutlicher Charakterfiguren. Einzelne zu nennen hieße, andere zu Unrecht vernachlässigen. Es war unbedingt bestes Ensemblespiel.
Ob es nun von Vorteil war, große Teile des Stückes, insbesondere die Passagen mit Meetings, die angefüllt waren mit fachspezifischen Begriffen, in englischer Sprache mit deutschen Obertiteln zu spielen, mag jeder Zuschauer für sich entscheiden. Gelegentlich war es zwingend notwendig mitzulesen, wobei das Spiel der Darsteller bedauerlicherweise aus dem Blickwinkel geriet. Es ging den Machern aber wohl darum, Inhalte mit Klang und Bedeutungen mit zum Teil pervertierter Sprache zu versehen. Und das wohl nicht zu Unrecht, denn in den Aufsichtsetagen der deutschen Finanzwirtschaft wird in einigen Unternehmen bereits durchgängig Englisch gesprochen. (Siehe Deutsche Bank!)
Es ist unbedingt eine sehenswerte Inszenierung und Geschichte mit dem Prädikat: „Wertvoll“, weil aufklärend. „Ja, Bartleby! Ja, Menschentum!“ so die letzten Sätze der Novelle. Es ist eine große Geschichte von Hermann Melville, die keinesfalls kleiner wurde, nachdem das Theater ImPuls Hand angelegt hatte.
Wolf Banitzki
A Story of Wallstreet
nach "Bartleby" von Herman Melville
Franz Brandhuber, Simon Brüker, Urs Klebe, Christina Matschoss, Clemens Nicol, Micky La Rosee, Gudrun Skupin, David Thun. Percussion: Agnieszka Engelsdorf Konzeption: Andreas Wiedermann |