Teamtheater Tankstelle Doig. Kein Musical! von Greg Freeman
Kein Entrinnen vor dem Kraken Markt
Doig hat sich vor der Welt verkrochen. Seine Schwester Daisy hat ihn aufgenommen, nachdem ruchbar geworden ist, dass er in seinem Job einen folgenreichen Fehler gemacht hat und er auf die Abschussliste gesetzt wurde. Die Medien bliesen ihrerseits das Halili. Die Jagd war zu Ende und Doig restlos ruiniert. Aber Scheitern kann auch ein Erfolg sein, erklärt ihm der Psychiater Smith. Ein simpler Perspektivwechsel lässt die Welt in einem völlig neuen Licht erscheinen. Was paralysiert einen Menschen eigentlich, der eine solche Niederlage wie Doig hinnehmen musste? Es ist die Scham. Und wenn man alles verloren hat, wozu braucht es da noch Scham? Also hinaus in die Welt und schamlos sein.
Gesagt, getan. Nachdem Doigs Arbeitskollege Ralph ihm seine in der Firma verbliebenen Sachen brachte, lag auf der Hand, dass man ihn loswerden wollte. Doch Doig weigerte sich standhaft und plötzlich wurde deutlich, dass hier nur noch der Preis für seine „freiwillige“ Kündigung verhandelt wurde. Doig dämmerte, das alles nur eine Frage des Preises ist. Enttäuscht davon, dass ihm alle Wege zurück versperrt sind, tritt er die Flucht nach vorn an. Er wird zum Totalverweigerer, lehnt alle zivilisatorischen Errungenschaften ab, bekleidet sich mit einer Plastiktüte und geht in den Wald. Dort wird er nach einiger Zeit von Ralph aufgespürt, der ihm einen geschäftlichen Vorschlag unterbreitet. Er hat Doigs Ausstieg zu einem Markenlabel gemacht: Doigismus™. „Nichts kaufen!“ außer einem Doig™-Label. Konsumverzicht als Kaufanreiz. Doigismus™ - ist keine Marke. Es ist eine Lebensart. Einen Doigismus™ - Wochenendworkshop kann man schon ab £ 729 bekommen.
Mit Entsetzen muss Doig erkennen, dass er mit seiner Idee von der Konsumverweigerung dem Markt einen Steilpass geliefert hat. Die Geschäfte laufen bestens und alle Beteiligten verdienen gut. In Doig zerbricht etwas, denn er spürt plötzlich, dass die für die Menschen überlebensnotwendigen Feen und Trolle an Atemnot zu sterben drohen. So stellt er seine eigene Atmung ein, um den Wesen, die ihm seinen Weg gewiesen hatten, das Überleben zu sichern. Und so wird Doig zum Märtyrer, was wiederum die Aktien von Doigismus™ in die Höhe treibt. Doig hatte keine Chance dem Kraken Markt zu entkommen. Und darum ist das Stück des Briten Greg Freeman auch kein Musical. Es ist eine trefflich Satire über den Schwachsinn und den Schwachsinn erzeugenden Konsumismus. Es ist der letzte Ismus, der geblieben ist aus einer facettenreichen und vielfältigen Menschheitsgeschichte. So ist der Kapitalismus die siegreichste aller Religionen geworden.
Für die Inszenierung im Teamtheater Tankstelle, entwarf Michele Lorenzini einige funktionale, jeweils an zwei Seiten offene weiße Kuben, die nach Bedarf arrangiert werden konnte. Er war auch für die Kostüme verantwortlich. Sarah Silbermann und Mailis Menne von der Modeschule ESMOD hatten eigens für dieses Theaterereignis die Kollektion DOIG entworfen. Diese Kollektion würde, wenn sie von der Inszenierung abgekoppelt präsentiert werden würde, mit ziemlicher Sicherheit begeisterte Nachahmer finden. Mit einer solchen Aktion könnte man die bissige Inszenierung von Regisseur Oliver Zimmer sicherlich noch toppen, denn keine Idee ist zu blödsinnig, um nicht realisiert zu werden.
Oliver Zimmers Name steht inzwischen für solides Handwerk und runde, intelligente und ausgewogene Inszenierungen. Alle diese Prädikate treffen ohne Einschränkungen auch für „Doig. Kein Musical!“ zu. Zimmer arbeitete in dieser Inszenierung mit zwei Darstellern, mit denen er schon andere, ebenso erfolgreiche Inszenierungen auf die Bühne des Teamtheaters gebracht hatte. Philipp Weiche gehört dazu, ein Darsteller, der bereits in „Freak Dinner“ mit seinem komischen Talent begeistert hatte. Er gab in „Doig“ den Psychiater Smith mit Verve, eine Person, die ebenso aalglatt wie eloquent daherkam. Er entlarvte die Figur als eine dem Markt angepasste Person, deren Weltbild ebenso schwammig wie ideentriefend war. Daniel Pietzuch spielte die Rolle des Arbeitskollegen Ralph als einen aufgeblasenen Macher, als neoliberalen Champagnerboy, der sich, wenn es denn einmal eng wird, schnell an seine offenen Kredite erinnerte und heulend und Zähne klappernd seine ganze Erbärmlichkeit offenbarte.
Deborah Müller gab die Daisy, die Schwester von Doig. Auch diese Figur drängte zum Golde und verkaufte dabei auch schon mal frei von Skrupeln den eigenen Bruder. Sie machte es allerdings nur, um die Welt zu retten, um ihr Ökodeo auf den Markt zu bringen. Sie erfüllte konsequent alle notwendigen Quoten in Fragen Ökologie. Als der Bruder allerdings zum radikalen Überöko mutierte, zeigt sie eine ganz andere Flagge und als sie hört, er habe sein Geld an Bedürftige verschenkt, war Schluss mit dem Gutmenschen. Als schließlich auch noch herauskam, dass sie in vermeintlicher Not ihren Körper verkauft hatte, brach das blanke Entsetzen vor der allseits drohenden Gefahr der Entdeckung aus. Der Peitschenknall ihrer eigenen Schamhaftigkeit ließ sie wieder auf menschliche Maße schrumpfen. Auch sie spielte ihren Part sehr überzeugend. Der Doig wurde von Anno Köehler gestaltet. Er war die tragische Figur in dieser wunderbar spitzfindigen und hintersinnigen Satire. Und obgleich alle Welt mit den Fingern auf ihn wies, war schnell klar, dass er den Menchen verkörperte, dem an Wahrheit, Aufrichtigkeit und Menschlichkeit gelegen war. Koehler gestaltete mit starkem emotionalem Ausdruck. Das schien angesichts der komödiantischen Parts, insbesondere dem von Philipp Weiche, nicht zusammen zu gehen. Doch gerade durch Koehlers schwerblütigen Spiel wurde erkennbar, dass Figuren wie Smith im Grunde ebenso tragisch sind, nur sind sie zudem auch noch lächerlich. Es war Koehlers Gestaltung der tragischen Dimension, die verhinderte, dass vom Stück nur eine gut geschriebene Boulevard-Komödie übrig blieb.
Das Stück und die Inszenierung von Oliver Zimmer waren mehr als ein unterhaltsamer Theaterabend. Es war zugleich ein Plädoyer gegen eine Welt, die im bedingungslosen Materialismus versinkt und zugleich eine Warnung, dass unsere Widerstandskräfte im Schwinden begriffen sind. Also war es durchaus auch gutes politisches Theater. Diese Inszenierung sei vor allem denen empfohlen, die sehnsüchtig verkünden, es gäbe kein ästhetisch verträgliches Theater mehr, das auch dem Anspruch genüge, eine moralische Anstalt zu sein. „Doig. Kein Musical!“ ist der Gegenbeweis.
Wolf Banitzki
Doig. Kein Musical!
von Greg Freeman
Anno Koehler, Deborah Müller, Philipp Weiche, und Daniel Pietzuch
Regie: Oliver Zimmer