Baskerville

Teamtheater Tankstelle Baskerville. The Lost Cases of Sherlock Holmes. von Arthur Conan Doyle


 

 

Sherlock Holmes Diskurs

Wer kennt ihn nicht, den englischen Romanschriftsteller Sir Arthur Conan Doyle (1859 - 1930), Vater des Meisterdetektivs Sherlock Holmes und seines Freundes Dr. Watson? Holmes ist der Ahnherr aller Romandetektive. A.C. Doyle selbst veröffentlichte in  knapp vierzig Jahren mehr als fünfzig seiner abenteuerlichen Geschichten. Er war nicht nur ein genialischer Schriftsteller, er war auch ein Weiser in Fragen Moral und Psychologie. Seine akribisch ausgefeilten Ideen verweisen immer wieder darauf, dass Wahrnehmung die unbedingte Fähigkeit eines Detektives sein sollte: „Es gibt nichts Trügerischeres, als eine offensichtliche Tatsache.“ Seine kriminalistischen Methoden sind dabei durchaus alltagstauglich. Doyles Rat: „Es ist ein kapitaler Fehler, eine Theorie aufzustellen, bevor man entsprechende Anhaltspunkte hat. Unbewusst beginnt man Fakten zu verdrehen, damit sie zu den Theorien passen, statt dass die Theorien zu den Fakten passen.“

Nicht von ungefähr wurde der Autor und Schöpfer der Figur des Sherlock Holmes mit derselben identifiziert. Das lag wohl daran, dass dieses kapriziöse und höchst eitle Wesen in hohem Grade glaubhaft war. Zudem nimmt eine Figur, wird sie vom Autor durch vier Jahrzehnte ausgeführt, unweigerlich einige seiner Eigenschaften und Züge an.

Das Projekt „Baskerville“ vom Theater ImPuls stützte sich auf die späten Werke, da für den abgeklärten A.C. Doyle Moral darin zu einer fragwürdigen Angelegenheit geworden war. Die fragmentarisch, wie ein Puzzlespiel zusammengesetzten Fallszenen zeigten auf, dass „am Ende aus juristischen Tätern moralische Opfer und umgekehrt werden“.

Im Programm werden die beiden Detektive wie folgt charakterisiert: „Als obsessive Beobachter menschlichen Handelns werden Sherlock Holmes und John Watson zu Figuren unserer Zeit, wissenschaftsgläubig, blasiert, autistisch, asozial, überinformiert und gleichgültig – Chirurgen der Gesellschaft, Nerds, die wie Voyeure menschliche Leidenschaften im Monitor des Lebens betrachten, bis sich der Londoner Nebel verdichtet…“ Letzteres stimmt nicht ganz, denn der letzte Nebel waberte über das Moor von Baskerville, wo Holmes seinen letzten Fall löste. Das Vorhaben, die beiden Figuren über ihr kriminalistisches Handeln zu sezieren, klingt erst einmal interessant. Die aufgezeigten sieben Fälle boten genug Anlässe für den Meisterdetektiv, seinen Intellekt, seine Wahrnehmungsgabe, seine inspiratorischen Fähigkeiten und seine Rhetorik blitzen und funkeln zu lassen. Allein, diesen Glanz konnte das Vorhaben nicht in gewünschtem Maße entfalten.

Udo Ebenbecks Bühne bestand aus zwei Sesseln, links und rechts auf der vorderen Bühne platziert, die die Bakerstreet 221b vorstellten. Hier wurden Besucher empfangen und hier fabulierten der Meister und sein Gefährte vor sich hin. Im Hintergrund befand sich ein breiter, schaufensterartigen Glaskasten, in dem man Vorgänge und Taten wie in einem Terrarium beobachten konnte. Nicht selten basierte der Erfolg der beiden Detektive, scheinbar unlösbare Fälle zu entwirren und aufzuklären, auf der Dummheit und der Ignoranz der Polizei. Dieser Aspekt blieb in Andreas Wiedermann Inszenierung weitestgehend unbeachtet. Dabei brachte eben diese Konstellation eine gehörige Portion Humor in die Geschichten Doyles, auf die der Zuschauer im Teamtheater allerdings verzichten musste, von einigen, eher kläglichen Versuchen abgesehen, Zeitgenossen zu persiflieren. Urs Klebe war bemüht, der Figur eine ignorante Arroganz zu verleihen, was ihm allerdings körperlich nicht gelang. Da überzeugte David Thun als Dr. Watson schon eher. Das Spektrum seiner Haltungen war nicht nur größer, sondern auch präziser. Urs Klebe verharrte zumeist tief im Sessel versunken und zog so allzu selten die Konzentration auf sich, die nötig gewesen wäre, seinen brillanten Gedankengängen die nötige Leuchtkraft zu verleihen.

Präzision und Konzentration waren die Eigenschaften, die der Inszenierung mangelten. Vielleicht hätte man sich auf weniger Fälle beschränken sollen, diesen aber mehr Raum zum atmen gelassen. Dann wären die Darsteller, deren Bemühungen durchaus anerkennenswert waren, nicht so unter Druck gewesen, die unvermeidlich hohe Zahl der Rollen gestalten zu müssen. Man kam als Zuschauer zugegebenermaßen auch schon mal durcheinander, wenngleich sich die Irritationen im Verlauf der Geschichten wieder verflüchtigten. Weniger Geschichten wären einprägsamer gewesen und darüber hinaus wäre der Subtext, die philosophischen und ethischen Bonmots, eingängiger und lustvoller gewesen. Und um diesen Subtext, liest man das Programm aufmerksam, ging es den Machern doch vornehmlich.   

Schade, etwas weniger wäre mehr gewesen. Abgesehen davon haben derartige Vorlagen immer auch den Nachteil, dass der Zuschauer seine Erinnerungen bemüht, denn, ist er ein wenig betagter, kennt er die Geschichten aus Büchern und vor allem aus Filmen, denn die Geschichten sind z.T. mehr als einmal auf Zelluloid gebannt worden. So kann sich, geht die theatralische Performance nicht deutlich über die Erinnerung hinaus, allzu schnell Überdruss einstellen.

Dabei hatte Arthur Conan Doyle das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion ziemlich eindeutig definiert. Es fällt nicht unbedingt zugunsten der Fiktion aus: „Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.“ Die Herausforderung war nun, den Zuschauern diese Wirklichkeit unterhaltsam und vor allem spannend zu vermitteln. Das gelang nicht in dem erhofften Maße. So blieb es eher ein Sherlock Holmes Diskurs.

Wolf Banitzki

 


Baskerville. The Lost Cases of Sherlock Holmes.

von Arthur Conan Doyle

Franz Brandhuber, Simon Brüker, Urs Klebe, Christina Matschoss, Clemens Nicol, Andreas Niedermeier, Friedrich C. Spieser, Micky La Rosée, David Thun, Matthias Wagner und Stefan Fischer/Jakob Rudi.

Regie: Andreas Wiedermann