In Stahlgewittern

Teamtheater Tankstelle  In Stahlgewittern von Ernst Jünger


 

 

Beklemmende Parallelen

Fast ohne mediales Aufsehen und vor einem nicht einmal zur Hälfte ausverkauftem Haus fand am 29. Januar im Teamtheater Tankstelle eine Premiere statt, die unbedingt mehr Beachtung verdient hätte. Mit „In Stahlgewittern“ eröffnete Andreas Wiedermann und sein Theater ImPuls eine „Europa-Trilogie“. „Europe – The Past“ beschreibt vermittels des gleichnamigen Prosatextes von Ernst Jünger den ersten Krieg industrieller Prägung in der Menschheitsgeschichte. Jünger erlebte ihn als Stoßtruppführer. Er zog sich an die zwanzig Verwundungen zu und genoss das große Schlachten mit Schaudern, aber auch als Rauschzustand. Für seinen Wagemut und seinen Kampfeswillen wurde der Hauptmann Jünger am 18. September 1918 mit dem Pour le Mérite, eine der höchsten militärischen Ehrungen, von Friedrich den Großen 1740 gestiftete, dekoriert.

Als Freiwilliger suchte er, wie viele seiner vornehmlich intellektuellen Zeitgenossen, der zunehmend materialisierten Welt zu entfliehen. Den Untergang der Ideen zugunsten eines banalen Pragmatismus konnte und wollte der Schwärmer nicht hinnehmen. Wenngleich dieser Krieg ihm auch keine Erlösung brachte, so hielt er doch in aller Konsequenz an seinen Ideen fest: „Was zählt ist das Beispiel, der Tod bedeutet nichts.“ Selbst als der Krieg, der nach klassischem Vorbild die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bedeutete, gescheitert war und in bloße Zerstörung ausartete, wurde Jünger nicht müde, den Krieg an sich zu preisen. So ließ er einen Kameraden festhalten: Einem Soldaten sollte es verboten sein, das Wort Frieden in den Mund zu nehmen!

Ernst Jünger war einer der umstrittensten Autoren des 20. Jahrhunderts, das er mit seinen 102 Lebensjahren (1895-1998)  beinahe gänzlich durchmaß. Er war ein Unangepasster, ein Solitär, der alles erlebte, alles probierte, viel Kritik übte und viel Kritik und auch Häme einstecken musste. Die Linken sahen in ihm ein Verklärer und Propagandisten des Krieges, die Rechten einen idealistischen Heroen, der sich auch heute noch leicht vor den Nationalismuskarren spannen lässt. PEGIDA-nahe Medien tun dies jedenfalls. Tatsächlich war er wohl einer der letzten großen Tragöden in der Kunst, von Heiner Müller bewundert und Frank Castorf zitiert. Eben diesen Anspruch befeuerte er mit aller Extravaganz, die einem Intellektuellen im Jahrhundert der Katastrophen zur Verfügung stand. So kann man den „preußischen Anarchisten“ durchaus als einen „aristokratischen Dandy“ sehen, der aber vor allem eins war, ein „heroischer Nihilist“.

Regisseur Andreas Wiedermann brachte den Text als „szenisches Konzert“, als musikalische Prosa, als Endzeitrequiem furios auf die kleine Bühne des Teamtheater. Neun Darsteller rezitierten Ernst Jünger und setzten dabei eindrucksvoll in Szene, was sie sprachen. Wiedermann forderte ihnen dabei viel  ab. Es begann artig wie eine Lesung, bis im Text der erste Tote zu beklagen war. Unvermittelt streckte es einen der Darsteller zu Boden. Nach einer guten Stunde „Krieg“ in Wort und Spiel stiegen die Darsteller in Uniformen, wurden Masse, Kanonenfutter, und beschmierten sich mit dem Schlamm des Schützengrabens, aus dem sie sich wegen der Unerbittlichkeit des Krieges nur noch um den Preis der Selbstvernichtung erheben konnten.

Die starke und bildhafte Sprache Jüngers schuf „Sprachkulissen“, die ein opulentes Bühnenbild (Udo Ebenbeck) weitestgehend überflüssig machte. Die raumgreifende Darstellung zwischen melodischen Wortkaskaden, bellenden Mutmachparolen, brüllenden Kameradschaftsakkorden und ausgefeiltem Totentanztheater konterkarierte die heroischen und kitschigen Kriegerposen, die Jünger in Körper und Geist immer wieder einnahm. Die suggestive rhythmische Untermalung der Percussionistin Agnieszka Engelsdorf machte den Krieg zudem akustisch erfahrbar. Es gab Momente, die Gänsehaut erzeugten und die die Herzfrequenz anschwellen ließen.

Wiedermann und seinen Darstellern gelang eine eindeutige und unmissverständliche Haltung, ohne irgendwelche Interpretationsansätze mitzuliefern oder einzufordern. Die künstlerische Brechung des Berichtes von Ernst Jünger ließ nur ein Gefühl zu, das des Abscheus und des Entsetzens über diese Kriegsbegeisterung. Jünger hat sein Buch „In Stahlgewittern“ bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts immer wieder umgeschrieben, wohl auch, um dem Vorwurf zu entgehen, Kriegsbegeisterung schüren zu wollen. In der vorliegenden künstlerischen Aufarbeitung ist ein echtes Antikriegsstück entstanden, das beim Zuschauer durchaus kathartische Wirkung erzeugte.

Und noch etwas hämmerte das gut zweistündige Werk in das Bewusstsein der Zuschauer - eine brandgefährliche Aktualität. Nicht nur, dass sich die ideenarmen (ideologiereichen) Zeiten heute und vor dem I. Weltkrieg durchaus ähneln, der alte Kriegertypus à la Jünger ist wieder auferstanden. Noch einmal zur Erinnerung: „Was zählt ist das Beispiel, der Tod bedeutet nichts.“ Das klingt wie ein Bekennerschreiben des „Islamischen Staates“. Dieser Satz ist tauglich, als Definition für „Selbstmordattentat“ zu bestehen. Und noch eine Parallele drängt sich auf, die Ratlosigkeit in Gesellschaft und Politik. Möge der Inszenierung noch viele Zuschauer beschieden sein. Es lohnt sich. Großes Lob den Darstellern und Herrn Wiedermann!

 

Wolf Banitzki

 


In Stahlgewittern

von Ernst Jünger

Requiem für zehn Spieler und ein Grammophon

Simon Brüker, Friedrich Custodio, Agnieszka Engelsdorf, Urs Klebe, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Clemens Nicol, David Thun, Matthias Wagner, Johanna Weiske

Regie: Andreas Wiedermann