Fremdkörper

Teamtheater Tankstelle DEA Fremdkörper von Aiat Fayez


 

Der Wahnsinn zieht seine Kreise – Teil 2

Am Vortag noch „Juri“ eine skurrile bis absurde Geschichte einer höchst seltsamen Adoption. Auch hier spielte ein Ausländer eine Schlüsselrolle. Die Geschichte offenbarte etliche Anzeichen von Verschrobenheit. Mit „Fremdkörper“, gleichsam von Andreas Wiedermann in Szene gesetzt, ging der „Wahnsinn“ weiter. Friedrich Custodio Spieser, Theresa Hanich, beide am Vortag noch als Juri und Anja zu bewundern, und Robert Kühn und Christina Matschoss verkörperten in vier Szenen gut ein Dutzend Rollen, die von einer Angestellten der Ausländerbehörde bis hin zur Verkörperung des leibhaftigen Moses reichte. Ganz recht: der Moses. Er arbeitet immerhin bereits seit gut 4000 Jahren hier und hat noch immer keine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis. (Ob er wohl noch immer jüdischen Glaubens ist, oder ob er dem Messias folgte?)

Der Autor der vier grotesken Szenen, der Exil-Iraner Aiat Fayez, Jahrgang 1979, verließ Frankreich 2010 aus Protest gegen die rassistische Ausländerpolitik. Er lebt heute in Wien. „Fremdkörper“ war sein Debut als Dramatiker. Die vier Dramolette berichteten von Fremdheit, nämlich die der Immigranten, denen in der Festung Europa ein kalter Wind entgegen weht. Es war aber auch von der Fremdheit die Rede, die sich bei Paaren einstellt, die einen dümmlichen, triebgesteuerten Rassismus leben. Der Rassismus und die sich daraus ergebenen Nöte sind aber auch eine Marktlücke mit hohen Gewinnmargen, in die bereits in den Herkunftsländern skrupellose Mitmenschen stoßen. Diese vielleicht bitterste Szene machte deutlich, dass es in der gegebenen Weltordnung kein Entrinnen gibt. Es ist, als herrsche eine gnadenlose Prädestination, eine „Vorherbestimmung“. Einmal die A…karte immer die A…karte, selbst wenn man sich die Flucht in der A-Klasse erkauft. Am Ende landet man wieder in der Gosse.

Die vierte Szene erzählte schließlich von einer Dame in Männerkleidern, sie nennt sich Kommissar B.B., die jenen Emigranten, die es, auf welche Weise auch immer, geschafft haben, den Garaus macht. Am Ende schließt sich in Andreas Wiedermanns Inszenierung der Kreis: Die Dame in der Ausländerbehörde, ihr Akzent verrät, dass auch sie eine Ausländerin ist, scheint ein Doppelleben zu führen. „Fremdkörper“ allenthalben.

Die Themen Zuwanderung, Migration und die damit verbundenen Feindlichkeiten sind ein gewaltiges Problem. Europa steht, was die Bewältigung anbelangt, noch vor dem eigentlichen Beginn. Das zumindest zeigten die vier Szenen auf. Das Problem wird vorerst nur verwaltet. Momentan regieren diffuse Ängste und die versucht man nicht zuzulassen. Doch sie werden sich Bahn brechen und was dann? Auch der Theaterabend im Teamtheater vermochte keine Antwort darauf zu geben. Doch in seiner fast „zynisch erscheinenden“ Weise des Umgangs mit dem Thema ist er eines ganz gewiss: aufrichtig. Das Gegenteil von Aufrichtigkeit scheint heutigentags politische Korrektheit zu sein. In diese Korrektheit wird sich zurückgezogen; dahinter kann man sein Gesicht der politischen Wohlerzogenheit präsentieren. Klar, die Fremdenfeinde sind naturgemäß immer die anderen. Wir haben nichts gegen Ausländer, aber… Unsere Heuchelei wird spätestens dann offenbar, wenn wir in unsrer Sprache beginnen auszumerzen, was „nicht sein darf“: Neger zum Beispiel.

Aiat Fayez scheint nicht zu diesen Politikverstehern zu gehören, die lieber den Mund halten, weil sie nicht wissen, ob dieses oder jenes Wort heute noch opportun ist. Regisseur Wiedermann gehört ganz gewiss nicht dazu und so entfesselte er auch in dieser Inszenierung eine Flut von Unkorrektheiten, die allemal wahr sind und realistisch. Verrückt sind nur die Menschen, welche die Realität leugnen und sich aus ihr zurückziehen. Wahnsinnig sind die Zustände, in denen sich große Teile der Welt befinden, weil Unrecht ungehemmt wuchert. Theaterwahnsinn ist darum vermutlich die einzig brauchbare Methode, sich der Wahrheit dieser Themen zu nähern.

Tatsächlich gelang es den Darstellern, eine Vielzahl von Figuren mit deutlichen Eigenarten, nicht nur sprachlicher Natur, zu entwickeln und zu präsentieren. Sie spielten engagiert und lustvoll und der Spaß war ihnen bisweilen anzusehen. Dabei wurde Virtuosität bisweilen durch Emphase und Spielwut ersetzt. Aber was ist schon Vollkommenheit? Sie ist kein Tugend, sondern nur die Abwesenheit von Fehlern. (Borges)

Theater ist Verwandlung, ist Illusion, ist (auch Vor-) aber vor allem Spiegelung.  Über zwei Stunden wurde das Zwerchfell gereizt und dabei wurde nicht verlacht oder auf Kosten von … gelacht. Die Komik lag im Erkennen, dass die Situationen, so grotesk und überzeichnet sie auch sein mögen, tatsächlich stattfinden. Großes Lob den Darstellern und großes Lob der Regie.

 

Wolf Banitzki

 


Fremdkörper

von Aiat Fayez
(deutsche Erstaufführung in deutscher Sprache)

Friedrich Custodio Spieser, Theresa Hanich, Robert Kühn und Christina Matschoss

Regie: Andreas Wiedermann

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