Teamtheater Tankstelle Requiem für Lucas von Elinor Haftel und Martin Waller


 

Nicht überzeugend

Lucas war ein Junge, der sein zehntes Lebensjahr nicht überlebt hat. Er wurde Opfer eines Verkehrsunfalls, in dem er sich ebenso fahrlässig verhalten hat wie Lena, die Fahrerin des Unfallautos. Lena wird im Gerichtsprozess freigesprochen, doch frei ist sie dennoch nicht. Ihr Gewissen plagt sie derart, dass sie keine Normalität in ihr Leben bekommt. Die Bilder des toten Jungens verfolgen sie bis in die Träume, und sie kann ihren Alltag nicht mehr ohne Medikamente bewältigen. Schließlich lässt sie sich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Dort teilt sie das Krankenzimmer mir Clara, einer gewalttätigen jungen Frau, die, nachdem sie auf dem Oktoberfest einen Mann zusammengeschlagen hatte, wegen ihres übergroßen Aggressionspotentials in die Psychiatrie überstellt wurde und somit einer Gefängnisstrafe entging. Die beiden sind ein sehr ungleiches Paar. Die Ungleichheit resultiert auch aus ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft. Lena hat in ihrem Leben kaum auf etwas verzichten müssen und ist vermutlich behütet und geliebt aufgewachsen. Clara, vaterlos aufgewachsen, musste sich um die Mutter kümmern, eine Alkoholikerin, die ihren Alkoholismus mit Medikamenten bekämpft und nun von diesen abhängig ist. Versorgt wird die Mutter von Beppi, einem Kleinkriminellen, der bei ihr eingezogen ist. Auch er ist gewalttätig und skrupellos. Schließlich taucht er sogar in der Klinik auf, wo er versucht, Clara erneut vor seinen kriminellen Karren zu spannen.

Die Idee, sie erinnert auf den ersten Blick in der Konstellation an „Einer flog übers Kuckucksnest“, verspricht viel, der Theatertext von Elinor Haftel und Martin Waller indes hält davon wenig. Anders als in „Erdbeeren im Januar“, mit dem das Autorenduo 2012 eine vielschichtige und zauberhafte Liebeskomödie am Teamtheater vorstellte, bot „Requiem für Lucas“ kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Klischees und Vorhersehbarkeiten. So war eine Entwicklung oder Gesundung der beiden jungen Frauen Behauptung und nicht zwingend aus der Geschichte abzuleiten. Gruppentherapien waren mehr Panoptikum von „Beknackten und Bescheuerten“, als szenisch gelungene Vermittlung von angewandter Psychologie. Theatralische Analyse und Wahrheitsfindung fanden nicht statt.

Figuren wie Aaaron (Johannes Meister) oder Walter (Nikolai Hoffmann) stellten nicht mehr als skurrile Krankheitsbilder vor, die zwei, drei Lacher erzeugten. Regisseurin Renate Haen inszenierte sich selbst als Charlotte in den Therapiekreis hinein und gab eine Frau (ohne Inhalte) die letztlich Rettung in der Kunst gefunden hatte, was immerhin von der Fähigkeit zur Selbstironie zeugt. Auch Samuel Richter, der die Inszenierung hörenswert livemusikalisch begleitete, fand als skurriler, blödsinnig lächelnder Philanthrop Tom, seines Zeichens Musiker, seinen Platz in der Runde. Gemanagt wurde die Klinik von Julius Dattenberger, der mit dem unsicheren und zumeist überforderten Bufdi und dem ruhigen und überlegten Arzt Dr. Wenz alle Ebenen der betrieblichen Hierarchie abdeckte. Zudem gab er noch eine, vermutlich von einem anderen Stern stammende Putzfrau. Auch sie hatte einen handfesten Verfolgungswahn. Früher nannte man psychiatrische Kliniken auch Irrenhäuser. Daran erinnerte zumindest die Personage deutlich.

Renate Haens Regiebemühungen, den Theatertext szenisch zu einem magischen Ereignis umzuformen, scheiterten an mehreren Faktoren. Der erste und wohl auch wichtigste Grund war die Unausgegorenheit des Textes, dem es an ernstzunehmender Substanz mangelte und der nicht wirklich zu einem greifbaren Ziel führte. Wenn am Ende das Prinzip Hoffnung postuliert wird, ist das nur ein schwacher Ersatz für einen echten Plot. Das Bühnenbild, bestehend aus weißen Quadern, die zur Vorspiegelung unterschiedlicher Spielsituationen arrangiert wurden, war auf Praktikabilität konzipiert. Allein, die Arrangements, von sämtlichen verfügbaren Darstellern realisiert, nahmen viel, zu viel Zeit in Anspruch. So wurde der ohnehin dünnblütige zweistündige Abend sehr lang. Zu der Zähigkeit des Fortgangs der Geschichte gesellte sich auch noch der Mangel an überzeugenden schauspielerischen Leistungen.

Julius Dattenberger, der bereits auf der Bühne der Münchner Kammerspiele und des Residenztheaters stand, gelang immerhin drei Figuren, die sich im Spielgestus deutlich voneinander unterschieden. Ebenso konnte Martin Waller mit einer enorm wuchtigen physischen und stimmlichen Präsenz als böser Beppi überzeugen. Elinor Haftel indes blieb als Lena geradezu farblos. Ihre Genesung oder zumindest die ersten Etappen auf dem Weg dorthin, war wenig glaubhaft. Und Lisa Seeger (Clara) fehlte es bei aller lautstarken und physischen Aggressivität an Differenzierungen. Das hässliche oder garstige Entlein wurde nicht zum Schwan. Möglich wäre es gewesen. Die Figuren Aaron, Walter, Charlotte und Tom waren in ihrer Plakativität dramaturgisch absolut überflüssig und unterm Strich eine Belastung für das Stück. Schade, kann man nur sagen, denn nach „Erdbeeren im Januar“ waren die Erwartungen nicht gering.

Wolf Banitzki

 


Requiem für Lucas   

von Elinor Haftel und Martin Waller

Elinor Haftel, Lisa Seeger, Julius Dattenberger, Martin Waller, Samuel Richter, Johannes Meister, Nikolai Hoffmann

Regie: Renate Haen