Teamtheater Salon Tante und Ich von Morris Panych


 

Wenn es ans Sterben geht …

Ein junger Mann namens Kemp, Bankangestellter und Neffe, erscheint nach einem höchst dringlichen Brief seiner Tante Grace an ihrem vermeintlichen Sterbebett. Sie hatten höchst selten Kontakt, sich dreißig Jahre nicht gesehen, und darum verwundert es Kemp, dass sie ausgerechnet ihn um den letzten Dienst bittet. Kemp ist ein geborener Verlierer. Dank seiner überstürzten Abreise, verlor er auch noch seinen Job. „Schlechtes timing!“ hatte ihm sein Chef versichert. Freunde hat er nicht, eine Freundin oder Geliebte schon gleich gar nicht. Dennoch beklagt er schon bei seiner Ankunft die Verluste, die er wegen seiner Gutmütigkeit erleiden wird. Möge das Erbe die Verluste aufwiegen! Doch es ist nur Wichtigtuerei. Kemp richtet sich auf ein paar Tage ein, denn die Tante ist in einem erbarmungswürdigen Zustand und schon auf den ersten Blick drängt sich der Gedanke auf, dass es nicht mehr lange dauern kann bis zu ihrem Ableben. Und so lässt Kemp, schließlich ist Frühling, seinen Tatendrang freien Lauf: „Lassen wir die traurigen Dinge beiseite, abgemacht? Möchtest du eingeäschert werden?“ Doch es wird Sommer und die Tante ist zusehends aufgeblüht. Sie hat begonnen, einen Pullover zu stricken. Kemp: „Ist das ein Langzeitprojekt?“ Es ist eins, das den ganzen Herbst anhält. Zu Weihnachten ist der Pullover fertig. Es ist das erste Geschenk, das Kemp jemals zu Weihnachten bekommen hat und es macht ihn überglücklich.

Das ungleiche Paar hatte sich bald miteinander arrangiert und Kemp bekam hinlänglich Gelegenheit, sein bisheriges Leben vor der Tante (und vor dem Publikum) auszubreiten. Es war desaströs und erklärt, warum Kemp so unglaublich düster und makaber mit dem Thema Sterben umgeht. Mehr zu verraten, wäre unfair denen gegenüber, die sich (vielleicht auch angeregt durch diese Besprechung) verleiten lassen, sich die preisgekrönte Komödie des in Calgary geborenen und in Edmonton (Alberta) aufgewachsenen Autors Morris Stephen Panych im Teamtheater Salon anzuschauen. Das schwarzhumorige Kammerspiel „Tante und Ich“ ist an sich schon zum Brüllen komisch und Regisseur Philipp Jescheck gelang eine kongeniale Inszenierung. Seine Wahl der Darsteller hätte besser nicht sein können. Evelyn Plank, ein fernsehbekanntes und -beliebtes Gesicht, war der Part der Sterbenden zugefallen. Sie hatte kaum mehr als eine Handvoll Sätze, die auch erst gegen Ende des Stücks anfielen. Bis dahin hatte die ans Sterbesofa gefesselte und unter einer dicken Strickdecke verbannte Tante kaum mehr als ihre Gesichtsmimik, um am Spiel teilzunehmen. Evelyn Plank war dieser Herausforderung durchaus gewachsen und ihr Minenspiel war ausgesprochen beredt und nicht minder komisch.

Arno Friedrich, er war zuletzt im Teamtheater Tankstelle in „Die Freizeitgesellschaft“ zu sehen, fiel der aktive Part der dramatischen Erzählung zu. Mit äußerester Lebendigkeit und grandiosem Gestus, spielte er einen Loser, der nach und nach sein ganzes Leben aufblätterte, angefangen von seiner peinlich anmutenden kindlichen Verliebtheit in die Tante Grace, die einmal mit einem Taxi zu Besuch angereist war („Noch nie war jemand mit dem Taxi gekommen!“) und von der er noch jahrelang, vermutlich feucht, träumte. Er offenbarte sein heimliches Entzücken, wenn er gezwungen wurde, Mädchenkleidung zu tragen; Panych ist bekennender Homosexueller und vermag mit wunderbarem Humor und selbstverständlicher Leichtigkeit über das Thema zu sprechen. Kemp bewies zudem einiges technisches Talent, als er einen Roboter schuf, der, schließlich ist er kein Mensch sondern eine Maschine und kann wegen Sterbehilfe nicht belangt werden, die Tante von ihren Leiden erlösen könnte, wenn sie sich der Fernbedienung bedienen würde. Natürlich funktioniert die Maschine im entscheidenden Augenblick nicht, im ungeeigneten Augenblick dann aber doch, und zwar mit fatalen Folgen. Arno Friedrich liefert ein schauspielerisches Feuerwerk ab, das einem Woody Allen zur Ehre gereichen könnte.

Einziger Wermutstropfen war der Spielort. Der Salon mag sich für Kabarett u.ä. gut eigenen, bei dieser Komödie indes zeigte sich bald, dass die Sicht der Zuschauer ab der zweiten Reihe deutlich eingeschränkt war. Auf Michele Lorenzinis Bühne fand sich, wie bereits erwähnt, ein Liegesofa als Bettstatt für die Kranke, zudem ein Nachtschränkchen mit Lampe und ein einzelner Sessel. Das war völlig ausreichend, um das muffige Zimmer einer sterbenden alten Frau zu suggerieren. Allerdings haben Sterbende die Eigenschaft, ihre letzten Stunden, Tage, Wochen, manchmal Monate und Jahre im Liegen zu verbringen. Evelyn Planks Grace lag durchgängig und man musste sich schon anständig recken, um ihrem kommentierenden Minenspiel zu folgen. Schade, kann man nur sagen, denn es war durchgängig ein Hochgenuss.

Wenn es ans Sterben geht, treten nicht selten die Lebenslügen in den Hintergrund zurück und machen Platz für die uneingestandenen Wahrheiten. Genau das ist das Prinzip der Komödie von Morris Panych, der alles gnadenlos aussprechen lässt. Und dabei stellt sich heraus, wie erfrischend das sein kann. Unbestritten ist, dass dieses Thema bestens geeignet ist für eine Komödie, wobei, und darüber wurde an dieser Stelle nicht geschrieben, dieser Theaterabend noch einige atemberaubende Wendungen parat hielt. Morris Panychs Widmung an die Zuschauer lautet: „Ich widme dieses Stück all denen, die gestorben sind, und allen, die es noch nicht geschafft haben.“ Für die, die es noch nicht geschafft haben. Gehen Sie ins Teamtheater und nutzen Sie die Chance, sich vorzubereiten!

Wolf Banitzki

 


Tante und Ich

eine schwarze Komödie von Morris Panych

Evelyn Plank und Arno Friedrich

Regie: Philipp Jescheck