Teamtheater Tankstelle Das Produkt von Mark Ravenhill


 

Lachen gegen Schnappatmung

Ein Schreibtisch, ein Flatscreen und ein Stuhl, mehr gab es nicht auf der Bühne des Teamtheaters Tankstelle. Es war also viel Platz für Spiel. Und das fand neunzig Minuten lang sehr aufwendig statt in der Farce des britischen Enfant terribles des Theaters Mark Ravenhill.

Der Produzent James hatte die Starschauspielerin Olivia zu einem Casting geladen. Ihm war ein Drehbuch in die Hände gefallen, das ihn unter Hochspannung gesetzt hat. Er sah am Horizont seines geistigen Auges schon den Oscar blinken. Während er auf die begehrte Diva wartete,  prüfte er eine andere junge Darstellerin, die sich in atemlosem Spiel für die Rolle einer „Bombenfrau“ (Selbstmordattentäterin) mit gewaltigen und epochalen Argumenten zu qualifizieren suchte. Anna Dietmann feuerte ihre Anklage in die Welt hinaus, war zerbrechlich und kraftvoll zugleich und wirkte dabei eigentlich sehr überzeugend. Doch sie ist ein Noname im Showbusiness und das Interesse des schmierigen Produzenten war vielmehr auf die Unterwäsche, resp. auf das, was sich darunter befand, gerichtet. Sein Urteil: gleichermaßen unqualifiziert und niederschmetternd; sein Umgangston: rüde und erniedrigend. Der massige und stimmgewaltige Clemens Nicol walzte die junge, verängstigte Frau geradezu platt. Als sie nicht willens war, Einblicke in ihre Wäsche zu erlauben, erlosch das Interesse prompt und schnaufend drängt Nicol sie gnadenlos von der Bühne, um sie sogleich zu vergessen wie ein Pittbull sein Spielzeug, nachdem er es in alle Einzelteile zerlegt hat. Soweit der eher ernste Teil der Inszenierung. Dann begann die Farce.

Olivia kam. Christina Matschoss lächelte und lachte viel, zierte und spreizte sich künstlich und sprach wenig. Sie tat gut daran, denn vielfach wurde sichtbar, dass sie eher selten verstand, worum es ging. Doch der elektrisierte Produzent konnte jede Regung, jede Haltung abrufen, die prompt und dressiert kam, sichtlich überzeugend im Verständnis von James. Friedrich Custodio, der verhuschte Assistent, wurde in jede mögliche und unmögliche Rolle gedrängt. Er holte den Kaffe und verbrannte als dschihadistischer Attentäter. Sein Repertoire war, auch wenn es nur im Hintergrund abgespult wurde, das aller Marx-Brothers zusammengenommen. Eigentlich hätte Olivia das Drehbuch gelesen haben müssen. Aber so etwas kann man von einem vielbeschäftigten Star unmöglich erwarten. Ein hilfloses Achselzucken wurde von James dankbar registriert. Es gab ihm die Gelegenheit, die Geschichte zu erzählen und gleich einmal durchzuspielen.

  Das Produkt  
 

Friedrich Custodio, Clemens Nicol, Christina Matschoss

© Lisa Hinder

 

Das Drehbuch war ein Konglomerat aus allen möglichen Klischees. Erfolgreiche Geschäftsfrau namens Amy Strongheart hatte ihren Mann 9/11 in einem der Tower verloren. Jahre später trifft sie im  Flugzeug auf Mohammed. Sie verliebt sich in den „dunklen Mann“, nimmt ihn mit in ihren luxuriösen Loft, „der einmal ein  Schlachthof war“, hat ihren ultimativen Orgasmus und ist glücklich. Dazu einen dicken, fetten Sound von Hollywoodfilmkomponisten Hans Zimmer. Doch bald schon muss Amy erkennen, dass Mohammed Al-Qaida-Kämpfer und in eine Serie von Attentaten in ganz Europa verstrickt ist, die in Planung sind. Es tritt der IS Chef Abu Bakr al-Baghdadi im Loft von Amy, „der einmal ein Schlachthof war“, ein running gag, auf.  Der gibt der Frau, die inzwischen selbst radikalisiert ist, seinen Segen, sich in Disneyland Paris gemeinsam mit ihrem geliebten Mann Mohammed  in die Luft zu sprengen. Doch dann erfährt sie von Mohammed, dass sie nicht ins Paradies kommen wird, also nach der Tat nicht mit ihrem Mann auf immer vereint ist, denn sie ist „nur“ eine Frau. Dumm gelaufen, könnte man sagen und Amy entschließt sich, ihn und die ganze Aktion zu verraten.

Als sie später Bilder von seiner Folter sieht, wird sie zur unüberwindbaren Rächerin, à la mode de Lara Croft, stürmt das Gefängnis, gänzlich allein, mäht alle und alles nieder und befreit den Geliebten… Es ist einer der schwachsinnigen Actionfilme, die letztlich zu einem völlig verzerrten Verständnis von der Sache führen und die mit der Realität nichts, aber auch gar nicht gemein haben, die letztlich in ihrer Gewaltästhetisierung zur Verharmlosung führen und skurrile Feindbilder gebären.

Eben das zeigt das Stück von Marc Ravenhill, der völlig respektlos und vor allem politisch inkorrekt verfährt. Es ist nicht selten die politische Correctness, die uns den Blick auf die Realität verstellt und die uns zu hypnotisierten Karnickel macht, die vor der Schlange IS und dem fundamentalistischen Terror erstarrt sind. Es sei daran erinnert, dass es beinahe in jedem Land Phasen von übelstem Terrorismus gab, die mindestens ähnlich blutig abliefen. Erinnert sei an die ETA, an die RAF, an die Roten Brigaden oder an die IRA. Aber der Mensch neigt häufig dazu, seine eigene Lebenszeit zum apokalyptischen Zeitalter zu erklären.

Der Abend im Teamtheater hatte in seiner Unterhaltsamkeit etwas wohltuend Erlösendes in Zeiten von „Hab Acht!“ vor dem Feind. Wieder einmal hat Andreas Wiedermann ins Schwarze getroffen und Theater zu einem Instrument der lustvollen Aufklärung und Erkenntnis gemacht. Es ist ein großes Verdienst, IS, Dschihad und islamischen Fundamentalismus mit Lachen zu überwinden, zumindest für diesen Abend. Der Zuschauer ging geerdet aus der Vorstellung und auch ein stückweit befreit von den täglichen Ängsten, die sich seit Jahren, Monaten und Wochen hochschaukeln und verfestigen. Die intellektuelle Schnappatmung fand in den neunzig Minuten ein abruptes Ende. Und wenn es zudem behilflich war, zu begreifen, dass Medien auch von Angst und Verunsicherung leben, ist ein Reagieren und Verhalten möglich. Es war eine Mediensatire, die uns signalisierte, dass wir als erstes unser Rezeptionsverhalten hinterfragen müssen, um uns aus dem Bann der Angst und Sorge befreien zu können.

Wiedermanns Arbeit befreite, denn nichts ist befreiender als Lachen. Und es gibt momentan auf Münchens Bühnen kaum eine Komödie oder Farce, bei der man mehr und herzlicher lachen könnte. Unbedingt sehenswert! Dafür Dank.

Wolf Banitzki

 


Das Produkt

von Mark Ravenhill

Clemens Nicol, Christina Matschoss, Friedrich Custodio und Anna Dietmann​

Regie: Andreas Wiedermann