Teamtheater Tankstelle  Der Fall Patricia Highsmith von Joanna Murray-Smith


 

Die Geschichte fortschreiben

Sterbensangst liegt über der Gesellschaft, verbreitet sich in ihr wie eine emotionale Seuche, ist sie doch immer das Letzte, das vom Leben bleibt. Getrieben vom täglich mehrfachen Morden in den Medien bis zur massiven Überalterung drängt sich das Thema immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Was für die Opfer im Augenblick des Zufalls geschieht, beschäftigt Täter weitaus intensiver, denn das aktiv wahrgenommene Sterben, das Zugehen auf den Tod, ist eine mörderische Erfahrung. Besonders, wenn es sich um ein starkes, ausgeprägtes und millionenfach bestätigtes Ego handelt, das doch in seiner engen Welt, der eigenen Natur gefangen und alleine ist. Das letzte Geheimnis lösen ... oder ein lukratives Thema am Markt bedienen ...

Die Einsamkeit einer persönlichen und doch bekanntermaßen wiederholten Welt füllte die Bühne, lag vor den Augen der Zuschauer. Ein großer Raum, Schreibtisch mit Schreibmaschine und zwei angefangenen Flaschen Whiskey, ein Stuhl davor und eine kleine Bank, abseits, bildeten das Mobiliar. Vorhänge suggerierten eine geschlossene Fensterfront, gaben partiell den Blick auf Schweizer Berge und die mächtige dominierende Natur im Hintergrund frei. Freiraum, Weite mit deutlichen Grenzen vermittelte das von der Münchnerin Manuela Müller gestaltete Bühnenbild. Und tatsächlich verbrachte die gebürtige Texanerin Patricia Highsmith ihre letzten Tage in Locarno, der Schweiz, welche sich als unabhängige Nation gibt und bereits zahlreiche Schriftsteller, Künstler aus der ganzen Welt aufgenommen hat.

„Ich werde nicht ruhig dahinscheiden.“ … „Ich habe es mir verdient meinen eigenen Tod zu schreiben.“ … „Wenn ich gehe, dann mit einem Knall.“ Einmal noch an sich erinnern, einmal noch die Aufmerksamkeit der vielen Anhänger genießen, wollte wohl die völlig zurückgezogen lebende, menschenverabscheuende Schriftstellerin, denn für ein letztes Buch fehlten längst die Kraft und die Inspirationen. Am Ende gerät auch die mit Sinnesleistung verbundene Fantasie an ihre Grenzen. Was bleibt sind die Erinnerungen, die sich mit Träumen mischen. Astrid Jacob verkörperte eine übelgelaunte, zornig einsame Patricia Highsmith auf fabelhaft überzeugende Weise. Als Herrin in ihrer Welt erschien sie im Kontakt zu den Vertretern des Verlages, welche sie heimsuchten und zu einem weiteren Abenteuer ihres Helden Tom Ripley überreden wollten. Klar konsequent, bisweilen altersgemäß stur, verteidigte die Schauspielerin die Position und verweigerte die Unterschrift zum vorgelegten Vertrag. Kaufmännische Argumente wischte sie mit einer leichten Handbewegung beiseite. „Sie brauchen dieses Buch … genauso wie …“

„Wieviel Zeit haben Sie noch?“, fragte der junge Verlagsvertreter Edward Ridgeway. Er war extra aus New York angereist, um den nächsten Bucherfolg auf den Weg zu bringen. Ein junger Mann, für den Erfolg auf der Prioritätenliste ganz oben steht, will er doch überleben im Wettkampf des Business und eben von dem Erfolg der Vertragsunterzeichnung hängt sein Überleben ab. Immer wieder rutschte eine Locke in seine Stirn, und die Nervosität mit der er sie zurückschob war fühlbar bis in die hinteren Reihen des Zuschauerraums. David Tobias Schneider überzeugte in dieser zeitgemäßen Rolle ebenso wie in der des scheinbaren, oder doch echt erfundenen, Tom Ripley. Literatur als sein Leben zu vermitteln, gelang ihm spielerisch und eben auf dieser Ebene knüpfte er die Verbindung zu dem gealterten Gegenüber. Eine Blutspur an seinem Hals setzte der Verhandlung ein Ende, das jedoch den Anfang für eine neue Geschichte bildete. Als wäre er Tom Ripley, war er am darauffolgenden Tag auferstanden, swingte durch den Arbeitsraum und ließ die Tastatur der Schreibmaschine erklingen, ebenso herrlich leicht wie unbekümmert und inspiriert.

„Ich wäre eine begnadete Mörderin.“ Um Geschichten glaubhaft zu Papier zu bringen, muss eine Kriminalschriftstellerin das sein, zumindest in der wirklichen Fantasie. Die Grenze zur Realität einhalten können, ist eine weitere geforderte menschliche Fähigkeit. Und schließlich verfügt der Mensch über eine Fülle von Fähigkeiten, welche er ausspielt. Regisseur Dieter Nelle verstand es, die feinen Facetten der Schauspieler ins Gleichgewicht zu setzen und dadurch ein wundervolles Spannungsfeld zu schaffen, in dem Text und Darstellung sichtbar strahlten. Das Spiel mit Realität, Rolle, Einbildungskraft eröffnete neue Horizonte im Dickicht der menschlichen Psyche und dem Ursprung der Instinkte. Der Traum vom wirklich ungebundenen Leben, der über allen Köpfen kreist, wurde schon immer mit dem Tod verbunden. Allein, er ist das aus der Rolle scheiden und nur der Humor, welcher in der Aufführung keinesfalls zu kurz kam, lässt damit umgehen.

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David Tobias Schneider, Astrid Jacob

Foto: Dieter Nelle

 

Die Verbindung der Schriftstellerinnen durch die Namensbrücke – Smith – könnte wie eine Erbfolge erscheinen und ist doch nur Zufall des Lebens per se. Doch auch der Zufall folgt einfach nur seinen Möglichkeiten. Zudem enthält das Theaterstück von Joanna Murray-Smith (Sie ist ebenso weltweit bekannt wie die Protagonistin.) weitaus mehr, als die letzten Stunden einer realen Schriftstellerin, die letzten Stunden von Patricia Highsmith. Als folgte sie ihr auf den Spuren der Gedanken und hatte sich längst anhänglich in deren Welt eingenistet, bzw. diese für sich geklont, um sie in die Gegenwart der nachfolgenden Generationen weiterzuführen und, der wohl wichtigste Aspekt, die Spuren in weitere Dimensionen zu verfolgen. In der Form des Dialogs, pointiert präzise, setzt sich die Dramatikerin Joanna Murray-Smith mit der Erzählung und der männlichen Hauptfigur in Patricia Highsmith Dasein auseinander – Der talentierte Mr. Ripley. Highsmith bekannte sich in ihren Tagebüchern zu diesem Alter Ego und ihr Talent zur erzählerischen Darstellung und Entwicklung von außergewöhnlichen Charakteren ist unbestritten. Was eine gerne leben würde, was gerne erleben … davon schreibt sie. Kann man mit Worten zur Mörderin werden? Realität, Wirklichkeit und Fiktion tanzen einen Reigen und die dabei entstehenden Bilder öffnen den Blick für Lebens- wie für Todeserkenntnis. Am Ende ist der Mensch was er denkt, von sich, von der Welt.

Am Ende kann man Edward Ridgeway als Tom Ripley (als David Tobias Schneider) oder umgekehrt ausnehmen. Der Geist, der die Welt der Patricia Highsmith ausmachte, hat sich längst in unzählbar vielen Leben dupliziert, ist er doch über die von ihr zusammengefügten Buchstaben, die Worte aufgenommen worden und zu Bildern, Leitbildern in deren Köpfen geworden. Diese Bilder, diese Welt fortzuspinnen als eine Aufgabe, wählen die gegenwärtig Befähigten und sie folgen ihr. Das Gedankengut geistert weiter. Wer es betrachten und aufnehmen möchte, der kann dies facettenreich, lebendig, sehenswert erfahren, in der Inszenierung von Dieter Nelle, die das bunte Spektrum zwischen Leben, Lebensende und Tod ausbreitet. Das pure Vergnügen für alle mörderisch Süchtigen.

C.M.Meier

 

 


Der Fall Patricia Highsmith

von Joanna Murray-Smith

 Astrid Jacob, David Tobias Schneider

Regie: Dieter Nelle