Teamtheater Tankstelle  Kein Honigschlecken  von Greg Freeman


 

Vorsicht vor Clowns!

Die Clowns haben die Macht an sich gerissen. Man hatte sie unterschätzt, denn sie sehen nicht so dämlich aus, weil sie es sind, sondern weil sie vorgeben, dämlich zu sein, damit man über sie lacht. Indes sind sie kühl kalkulierend, sophistisch und unterschwellig aggressiv. So sind Tyrannen nun mal, insbesondere wenn sie sich bedroht fühlen und eine wesentliche Eigenschaft von Tyrannen ist nun mal ein ausgewachsener Verfolgungswahn. Die beiden Teddybären Julius und Ludovic lassen sich allerdings ihr Dasein von einer clownesken Diktatur nicht verdrießen und folgen gelassen einer Einladung des Clowns BoBo zu einem Workshop über autoerotische Praktiken, verbunden mit einem recht mäßigen Picknick. Als sich BoBo versehentlich bei einer Übung zu sexueller Grenzerfahrung erhängt, ist der Schlamassel für die Bären groß. Ehrlich und aufrichtig wie sie nun einmal sind, es ist ihnen sogar in die Unterhosen gestickt, stellen sie sich die Frage, ob sie das Unglück hätten verhindern können? Und war ihre unterlassene Hilfeleistung nicht vielleicht sogar ein Mord? Sie suchen Hilfe bei einer sonderbaren Puppe, die Anwältin zu sein vorgibt, dies aber selbst in Zweifel zieht. Schnell nimmt alles konspirative Formen an, doch im Gegensatz zu den Clowns, haben die Teddybären Skrupel. Die Clowns indes nutzen den Unfall und deklarieren ihn als einen Anschlag auf die gesellschaftliche Grundordnung. Schließlich hat es harsche Konsequenzen für die vermeintlichen Täter. Jetzt ist Widerstand angebracht.

„Kein Honigschlecken“ ist in der Tat eine sehr schwarze Komödie, die bereits 2012 unter dem Titel „No Picnic“ am Londoner Tabard Theatre uraufgeführt wurde. Damit bewies der Autor Greg Freeman große Weitsicht und politische Sensibilität, denn die Zeiten von „Fake News“ brachen so richtig erst mit der Amtseinführung von Donald Trump an. Und während breite Massen der Bevölkerung um Orientierung im politischen und gesellschaftlichen Sprachdschungel ringen, wird deutlich, dass Wahrheiten längst keine mehr sind, da es scheinbar zu jeder Wahrheit eine Alternativwahrheit gibt. Zu lange hat die Bevölkerung der politischen Rhetorik der etablierten Parteien geglaubt; zu lange hat sie den Eliten ihr Vertrauen geschenkt. Plötzlich werden Stimmen laut, die „Wahrheiten“ verkünden, die zwar hässlich, aber scheinbar so unwahr und von der Hand zu weisen nicht sind. Selbstredend werden diese Stimmen sofort als radikal, verleumderisch und die gesellschaftliche Grundordnung gefährdend diskreditiert. Doch viele Menschen im Land können und wollen das nicht glauben. Vermeintliche Wahrheiten, über Jahrzehnte mantraartig verbreitet, erscheinen plötzlich wie Unwahrheiten und ist das Vertrauen in die Protagonisten, die den Menschen die Welt bislang so routiniert erklärten, erschüttert, setzt ein Dominoeffekt ein.

  Kein Honigschlecken  
 

Martin Schülke, Daniela Voß, Mario Linder

© Ludo Vici

 

Regisseur Philipp Jescheck, er bescherte den Besuchern des Teamtheaters mit „Paarungen“ oder „Tante und Ich“ grandiose Komödienabende, inszenierte „Kein Honigschlecken“ als putziges Guckkastentheater. Die Bären Julius und Ludovic, knuffig und emotional facettenreich gespielt von Mario Linder und Martin Schülke, hätte selbst den höchsten Ansprüchen eines guten Kindertheaters genügt, wenn nicht die komplizierten Denkweisen und die philosophienahe Sprache den komödiantischen Spaß in Grenzen gehalten hätte. Dieser Vergleich scheint insofern angebracht, da wir definitiv zu wenig gutes und aufklärerisches Kindertheater haben. Es geht schließlich um unsere gesellschaftliche Zukunft!

Die phantasievolle Ausstattung des Guckkastens (Bühne/Kostüm Michele Lorenzini ) und die manierierte und marionettenhafte Spielweise von Daniela Voß als sonderbare Puppe entführten den Zuschauer effektvoll in die Welt kindlicher (oder teddybärenhafter oder puppenartiger) Geschöpfe. Allein, der visuelle Unterschied zum aufklärerischen Anspruch, er konnte krasser nicht sein, tat der ganzen Sache absolut keinen Abbruch, denn dank der präzisen Spielweise und der sehr guten Sprechkultur der Darsteller wurde der Zuschauer von der Aktualität des Themas geradezu überrollt. Immerhin kam sogar ein blutiger Schrumpfkopf vor. Als Armin Hägele als Clown seine rhetorische Tyrannis entfesselte, wurde deutlich, wie nah wir uns bereits am Abgrund zum Verfall der Demokratie befinden. Das Ende mutete dann schließlich gar nicht märchenhaft an, denn die Lüge oder die alternative Wahrheit wurde zur nützlichen Waffe.

Das Spektrum der behandelten Themen war auf sehr unaufdringliche und keineswegs zeigefingerhaft abgearbeitete Weise gewaltig groß. Die Subjektivität von Alter und Schönheit war ein Thema. Man begriff, dass viele erbrachte Leistungen unseren Mitmenschen gegenüber durchaus auch in die Kategorie Korruption und Filz passt, dass eine Lüge nur eine falsch interpretierte Wahrheit sein kann; dass Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in Anbetracht der möglichen Ergebnisse auch nur Dummheit sein können. Und man wurde sensibilisiert zu erkennen, was ein Clown seinem Wesen nach auch sein kann und dass man nicht unbedingt wie ein Clown aussehen muss, um ein solcher zu sein. Und plötzlich musste man erkennen, wie viele Clowns es um uns herum gibt und dass wir uns vor ihnen in acht nehmen sollten. Und es zeigte sich, dass Angst unser ärgster Feind ist.

Es war eine kluge und darstellerisch wunderbar umgesetzte Inszenierung, die, was Aktualität betrifft, Ihresgleichen momentan auf den Bühnen Münchens sucht. Es war kein „Schenkelklatschtheater“ und es war auch nicht zum Brüllen komisch, denn es steckten zu viele bittere Wahrheiten darin. So kafkaesk das Spiel auch anmutete, es steckte blanke Realität darin, was im Umkehrschluss bedeutet, dass unsere Realität momentan ziemlich kafkaesk ist. Unterhaltsam und lehrreich war es allemal, und so kann man nur hoffen, dass die verbleibenden Vorstellungen gut besucht werden.

 

Wolf Banitzki


Kein Honigschlecken
von Greg Freeman

Deutsche Erstaufführung

Daniela Voß, Mario Linder, Martin Schülke und Armin Hägele

Regie: Philipp Jescheck