Die Babysitterin

Teamtheater  Die Babysitterin von Catherine Léger


 

Alles, alles Story

Brauch, Gewohnheit, Charakter, Sittenlehre und das Wort Moral sind es, um die sich die Storys in der Menschheit drehen. Vor Jahrtausenden beispielsweise in der Bibel festgeschrieben und doch immer wieder die gleichen treiben sie das gesellschaftliche Geschehen voran. Allein die Ausdrucksformen ändern sich ein wenig, die Wortwahl, der Habitus, die Verbreitung. Vom Tratsch im Dorf bis zum weltweiten Shitstorm in den digitalen Medien war es ein weiter Weg, und doch, die Inhalte unterscheiden sich nur geringfügig. Es ist die moralische Verwirrung, der heute viele Menschen unterliegen in einer vieldimensionalen Gegenwart im Kulturgemisch auf der Suche nach der höchsteigenen Story, dem eigenen Leben. Da vermischen sich schon mal Realität und Fiktion, Wohlverhalten und Aufbegehren, Sinn und Unsinn.

Und das Abstreifen von festgefahrenen Rollenklischees sollte zu mehr Freiheit führen, so legen sich immer wieder Generationen mit der landläufigen Moral an. Sich von dieser zu lösen und sogenannte Freiheit (die der tierischen Natur) unmittelbar erfahren, ist eines der Hauptziele in der jungen Gesellschaft. Dazu gehört auch ein Held zu sein, eine Vorstellung junger Männer auf dem Weg zu Ruhm und Anerkennung, gilt es doch die Kleinheit der Person aufzuwerten und bewussten Umgang mit den Urtrieben zu lernen. Der Weg ins Leben, die Story.

Cédric, ein junger Mann, befand sich mit Freunden in einem Stadion. Ihre Stimmung war vom Wettkampffieber getragen und so getuned warf Cédric vor laufender Kamera einen sexistischen Satz gegen die bekannte Journalistin in die Runde. Der Mitschnitt landete bei youtube und wurde in kurzer Zeit über zweihundertfünfzigtausend Mal aufgerufen. Der junge Mann verlor seinen Job, sitzt nun zu Hause und sucht Antworten, Auswege. Verkörpert wurde er von Adrian Spielbauer, der einen sportlichen sowie geselligen Cédric darstellte, eine moderne Identifikationsfigur zu deren Alltag keineswegs grober Sexismus gehörte. Vielmehr war er ein spontaner unterhaltsamer Typ, sicherlich auch Grenzen auslotend, ein kleiner Maulheld seiner Gemeinschaft.

Jean-Michel, Cédrics Bruder und gesellschaftliches Pendant erschien in Anzug, weißem Hemd und mit Fliege dekoriert auf der Bühne. Er war Journalist, kannte sich aus in der Szene und wusste sogleich einen Ausweg aus dem Dilemma. Timo Wenzel brauchte nur wenige Worte um seinen Bruder zu überzeugen und die Story in die richtigen Bahnen zu lenken. Klare Ansage und traditionelle Grundwerte vermittelte der Schauspieler ausgezeichnet präsent. Eine Entschuldigung, ein Buch und damit die bereits vorhandene mediale Aufmerksamkeit des aktuellen Themas nutzen …

Für Nadine, Cédrics Partnerin, gehörte es wie für die meisten jungen Frauen zum Urprogramm ein Kind zu gebären. Sie war in Mutterzeit, einer kurzen Pause vom Geschäftsalltag und dem Anspruch den von Männern geschaffenen beruflichen Spuren zu folgen. Als das mediale Geschehen sie einholt, unterliegt sie den Wirren der Hormone im Körper nach der Geburt. Diffus und verloren spielte Daniela Voß die junge Frau. Doch auch sie bekommt eine Chance.

Die Babysitterin Emy kommt ins Spiel. Cédric braucht Ruhe und Zeit für das Vorhaben, engagiert sie. Emy betreut das Baby, hilft der irritierten Nadine wieder Selbstwertgefühl aufzubauen und dies geht wohl nur über die Imitation männlichen Verhaltens, wie die Szenen erfahrbar machen. Die Benutzung einer Handglocke, der bürgerlich freundliche Umgangston sollen zum Aufbau der Persönlichkeit beitragen, was letztlich auch gelingt. Elisabeth Grünebach gab eine unkonventionell lebendige, bisweilen wie ein unbedarft wirkendes Kind, junge Frau, ohne familiären Hintergrund. Pragmatisch und hilfsbereit ließ sie sich ein ins Geschehen.

Die Autorin Catherine Léger nutzt in dem Stück „Die Babysitterin“ eine Fülle von gängigen Klischees und so gibt das Werk zeitgenössische Realität wieder. Ob die Figuren fiktiv sind bleibt ohne Belang, da deren Äußerungen und Handlungsweisen durch viele Aktionen anderer belegt sind. Was offen bleibt, ist wohl die Frage inwieweit sich viele Menschen mit den Modellen identifizieren und die Spiegelfunktion deren Dasein steuert. Die bürgerliche Maske wurde abgelegt, was bleibt ist das beliebige und gleichzeitig traditionelle Moral verbreitende Gefühlswesen, wie es die Protagonistin vorstellt. Letztlich offenbart sie ihr körperliches Geschlecht und das damit verbundene feine empfindsame Sein. Eine Frau.

Philipp Jeschek gelang ein berührendes Zusammenspiel der unterschiedlichen Kräfte und so demonstrierte er auf feine Weise seine Macht als Regisseur. Macht (die Kraft, das Können zu machen), sie war das erfahrbare Anliegen, das überzeugte und u.a. zu einer hervorragenden Ensembleleistung führte. Jean-Michel kommt Emy nahe, lockert dabei sein Outfit und damit sichtbar die emotionale Haltung. Ein entscheidender Schritt im Miteinander der bewegte. Die Brüder übernehmen Verantwortung, suchen nach Darstellung und Erklärungen, versuchen sich als Moralisten in Briefen, so wie das Sich-Versuchen bei allem Handeln im Mittelpunkt steht. Erst wer sich gefunden hat, hört mit der Suche auf. Ob das Buch, die Briefe jemals gedruckt wurden? Unerheblich, die Worte sind in der Welt.

Und die Moral von dieser Story: Kann es sein, dass sich durch diverse krude Verhaltensweisen die Gesellschaft per se selbst „… in den Arsch fickt“, damit den verbalen Exkrementen übermäßige Bedeutung zukommen lässt, sich ja geradezu darin suhlt? Ein Geschäftsmodell für alle Pubertären, bei dem einer des anderen Worten zu gespeicherter Ewigkeit verhilft. Immerhin ist mit und in den digitalen Socialmedias, und den traditionellen Medien eine Menge Geld zu machen, und dazu braucht es schon Kultur oder sittlich humanes Verhalten (wie langweilig es auch sein mag), um den Zeigefinger gegen den Mittelfinger und umgekehrt aufzustellen.

Die Inszenierung führte auf wundervoll humorig subtile Weise die ursprünglichen Geschlechterrollen vor, karikierte den Versuch das Gegenüber nachzuspielen und letztlich das Scheitern darin. Mit dem Lachen und der Erkenntnis - niemand kann aus seiner Haut - setzte abschließend eine wahre Befreiung ein. Und diese Komödie, sollte Mann/Frau sich auf keinen Fall entgehen lassen.

C.M.Meier

 


Die Babysitterin

von Catherine Léger

Adrian Spielbauer, Daniela Voß, Timo Wenzel, Elisabeth Grünebach

Inszenierung/Textfassung: Philipp Jeschek