Teamtheater Tankstelle Die Marquise von O. nach Heinrich v. Kleist
Die Provokation - ein fader Kompromiss
Könnte es sein, dass Heinrich von Kleist Probleme mit seiner und mit der Sexualität an sich hatte? Denken wir an "Penthesilea" und der dem Stück innewohnenden kannibalistischen Variante von Liebe und Sexualität, die Goethe gemäßigt "Verwirrung der Gefühle" nannte. Selbigem wollte Kleist übrigens den Lorbeer vom Haupt reißen. In "Amphitryon", man bedenke den psychoanalytischen Aspekt, findet Stellvertretersex statt. Und schließlich die "Marquise von O…", Vergewaltigung oder unbefleckte Empfängnis? Ein bemühtes Werk, dass heute wie damals vom hintergründigen Effekt lebt, welchen das Opfer auslöst. Einer tugendhafte Frau widerfuhr ein Schwängerung ohne eigenes Bewusstsein. Und dann auch noch von dem Mann, der sie beschützte und der ihr engelsgleich erschienen war. Wenn diese Hinweise noch nicht reichen, sei die Biografie des Dichters zitiert. Der machte 1800 eine Reise, deren Ziel darin bestand, sich in Wien oder Straßburg entmannen zu lassen, um "eheunfähig" zu sein. Nicht Genuss, sondern Tugend war seiner Meinung nach die Basis jedes Glückzustandes. Aus pekuniären Gründen endete die Reise gottlob schon in Würzburg. Also blieb ihm nur, unter seiner "tierischen Natur" zu leiden und das Leiden war sein Pläsier ganz im Schillerschen Sinn, der seinen Don Karlos sagen lässt: "Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen".
Also Kleists Werke auf die Halde der Literaturgeschichte? O nein, davor ist seine Sprache, die ihresgleichen auf der Bühne sucht und höchstens von Hölderlin in seinen Antikeübersetzungen erreicht wurde. Diese Sprache ist in seiner Dramatik ebenso gewaltig wie in seiner Prosa und um solche handelt es sich bei der "Marquise von O…".
Könnte es sein, dass Heinrich von Kleist Probleme mit seiner und mit der Sexualität an sich hatte? Denken wir an "Penthesilea" und der dem Stück innewohnenden kannibalistischen Variante von Liebe und Sexualität, die Goethe gemäßigt "Verwirrung der Gefühle" nannte. Selbigem wollte Kleist übrigens den Lorbeer vom Haupt reißen. In "Amphitryon", man bedenke den psychoanalytischen Aspekt, findet Stellvertretersex statt. Und schließlich die "Marquise von O…", Vergewaltigung oder unbefleckte Empfängnis? Ein bemühtes Werk, dass heute wie damals vom hintergründigen Effekt lebt, welchen das Opfer auslöst. Einer tugendhafte Frau widerfuhr ein Schwängerung ohne eigenes Bewusstsein. Und dann auch noch von dem Mann, der sie beschützte und der ihr engelsgleich erschienen war. Wenn diese Hinweise noch nicht reichen, sei die Biografie des Dichters zitiert. Der machte 1800 eine Reise, deren Ziel darin bestand, sich in Wien oder Straßburg entmannen zu lassen, um "eheunfähig" zu sein. Nicht Genuss, sondern Tugend war seiner Meinung nach die Basis jedes Glückzustandes. Aus pekuniären Gründen endete die Reise gottlob schon in Würzburg. Also blieb ihm nur, unter seiner "tierischen Natur" zu leiden und das Leiden war sein Pläsier ganz im Schillerschen Sinn, der seinen Don Karlos sagen lässt: "Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen".
Also Kleists Werke auf die Halde der Literaturgeschichte? O nein, davor ist seine Sprache, die ihresgleichen auf der Bühne sucht und höchstens von Hölderlin in seinen Antikeübersetzungen erreicht wurde. Diese Sprache ist in seiner Dramatik ebenso gewaltig wie in seiner Prosa und um solche handelt es sich bei der "Marquise von O…".
Nanette Bauer, Martin Maecker © Stephan Rumpf |
Die Macher der gleichnamigen Aufführung am Teamtheater ließen sich denn auch nicht vorbehaltlos auf die Kleistsche Geschichte ein, sondern stellten Fragen. Das klingt nach Experiment und ein solches sollte es unbedingt sein. Antworten bezüglich des Wahrheits- oder doch wenigstens des Wahrscheinlichkeitsgehaltes der Geschichte konnten sie nicht geben. Das "Happy End" fand statt und der Vergewaltiger wurde Ehemann des Opfers und ihm wurde verziehen.
Die von Kleist aufgestellte These, und mehr ist die Geschichte nicht, kann keinen Beweis finden. Also suchte man die ästhetische Auflösung, die vielleicht Hintergründe bloßlegen könnte. Theoretisch ist das möglich, doch geschehen ist dies nicht. Mich erinnerte die Inszenierung überdeutlich an Frank Castorfs "Kokain", ein wunderbarer Skandal und nicht mehr. In einem Bühnenbild von Michele Lorenzini, bestehend aus einem kahlen Bühnenraum, möbliert wie ein Gastarbeiterwohnheim der 50er Jahre, fand sich alles, was Castorfsches Theater ausmacht. Da war der private Spielplatz. Hier spielte man unbeeindruckt von der Anwesenheit des Publikums Karten. Unverzichtbar auch das Sprachtrommelfeuer a la Pollesch, die Big Brother Kamera, die Videoleinwand (70er Jahre Filmschund flimmerte über selbige), der Fernseher und das Massaker an Nahrungsmitteln. Hier entfesselten Zwiebeln den Tränenfluss, der sich nicht einstellen wollte, weil die Geschichte nicht überzeugte. Das ist ohne Zweifel Kleists Schuld. Dass die Geschichte schließlich völlig auseinanderbrach, hingegen die der Regie.
Da fuchtelte der Vater der Marquise plötzlich mit der Pistole herum, um der "gefallenen" Tochter nachdrücklich die Tür zu weisen. Man stieg aus dem Spiel aus und dachte in Alltagssprache darüber nach, ob das wohl angemessen sei? Und da man keine Antwort hatte, verschob man das Nachdenken auf die Zeit nach der Vorstellung in die Kantine. Der Effekt war ebenso billig wie berechenbar: Heiterkeit im Publikum.
Immerhin ist der Regisseurin Alexia Hermann etwas nicht gelungen, nämlich "die Schauspieler (gänzlich - W.B.) aus ihren künstlerischen Zwängen" zu befreien. So definiert Castorf seine Ästhetik und meint nichts geringeres als die Vermeidung von tradierten künstlerischen Mitteln im Spiel. Roland Peek (Graf von F…) und Martin Maecker als Bruder ließen sich nicht von einem innerlich intensiven Spiel auf hohem gestischen Niveau abhalten. Nanette Bauer als Marquise fiel da schon eher der Regieauffassung zum Opfer. Ihr Spiel büßte die Homogenität der Figur im Rein und Raus in und aus der Figur ein. Franz Westner und Beatrice Murmann als Vater und Mutter wurden hingegen gänzlich vor den Karren der Regieobsession gespannt.
Es gab Lacher und Heiterkeit in einer Geschichte, die doch eher auf Katharsis zielen sollte, denn es geht um Humanismus. Damit liegt die Inszenierung im Trend der verblassenden Postmodernen, in der Humanismus zum Schimpfwort geworden ist. Kleist und seinem Text wird diese Inszenierung nicht gerecht.
Eine Revolte ist es ebenso wenig, weder ästhetisch noch inhaltlich. Da hätte man Castorfs Auffassungen konsequenter folgen müssen. Aber vielleicht war das das Maximum dessen, was im behäbigen München möglich ist, ein fader Kompromiss.
Die von Kleist aufgestellte These, und mehr ist die Geschichte nicht, kann keinen Beweis finden. Also suchte man die ästhetische Auflösung, die vielleicht Hintergründe bloßlegen könnte. Theoretisch ist das möglich, doch geschehen ist dies nicht. Mich erinnerte die Inszenierung überdeutlich an Frank Castorfs "Kokain", ein wunderbarer Skandal und nicht mehr. In einem Bühnenbild von Michele Lorenzini, bestehend aus einem kahlen Bühnenraum, möbliert wie ein Gastarbeiterwohnheim der 50er Jahre, fand sich alles, was Castorfsches Theater ausmacht. Da war der private Spielplatz. Hier spielte man unbeeindruckt von der Anwesenheit des Publikums Karten. Unverzichtbar auch das Sprachtrommelfeuer a la Pollesch, die Big Brother Kamera, die Videoleinwand (70er Jahre Filmschund flimmerte über selbige), der Fernseher und das Massaker an Nahrungsmitteln. Hier entfesselten Zwiebeln den Tränenfluss, der sich nicht einstellen wollte, weil die Geschichte nicht überzeugte. Das ist ohne Zweifel Kleists Schuld. Dass die Geschichte schließlich völlig auseinanderbrach, hingegen die der Regie.
Da fuchtelte der Vater der Marquise plötzlich mit der Pistole herum, um der "gefallenen" Tochter nachdrücklich die Tür zu weisen. Man stieg aus dem Spiel aus und dachte in Alltagssprache darüber nach, ob das wohl angemessen sei? Und da man keine Antwort hatte, verschob man das Nachdenken auf die Zeit nach der Vorstellung in die Kantine. Der Effekt war ebenso billig wie berechenbar: Heiterkeit im Publikum.
Immerhin ist der Regisseurin Alexia Hermann etwas nicht gelungen, nämlich "die Schauspieler (gänzlich - W.B.) aus ihren künstlerischen Zwängen" zu befreien. So definiert Castorf seine Ästhetik und meint nichts geringeres als die Vermeidung von tradierten künstlerischen Mitteln im Spiel. Roland Peek (Graf von F…) und Martin Maecker als Bruder ließen sich nicht von einem innerlich intensiven Spiel auf hohem gestischen Niveau abhalten. Nanette Bauer als Marquise fiel da schon eher der Regieauffassung zum Opfer. Ihr Spiel büßte die Homogenität der Figur im Rein und Raus in und aus der Figur ein. Franz Westner und Beatrice Murmann als Vater und Mutter wurden hingegen gänzlich vor den Karren der Regieobsession gespannt.
Es gab Lacher und Heiterkeit in einer Geschichte, die doch eher auf Katharsis zielen sollte, denn es geht um Humanismus. Damit liegt die Inszenierung im Trend der verblassenden Postmodernen, in der Humanismus zum Schimpfwort geworden ist. Kleist und seinem Text wird diese Inszenierung nicht gerecht.
Eine Revolte ist es ebenso wenig, weder ästhetisch noch inhaltlich. Da hätte man Castorfs Auffassungen konsequenter folgen müssen. Aber vielleicht war das das Maximum dessen, was im behäbigen München möglich ist, ein fader Kompromiss.
Wolf Banitzki
Die Marquise von O.
nach Heinrich v. Kleist
Nanette Bauer, Roland Peek, Franz Westner, Beatrice Murmann, Martin Maecker Regie: Alexia Hermann |