Teamtheater Tankstelle Michael Kohlhaas nach Heinrich v. Kleist
Kohlhaas - der erste Terrorist in der deutschen Literaturgeschichte
Der Ausgangspunkt des im 16. Jahrhunderts spielenden novellistischen Geschehens ist die schikanöse Behandlung des Pferdehändlers Kohlhaas auf der Tronkenburg, die Wegnahme und der Missbrauch seiner Rappen und die Misshandlung seines Knechts. Kohlhaas Rechtshandel mit dem Junker Tronka wird zum Testfall dafür, ob die Welt gerecht eingerichtet ist. Als er weder beim zuständigen Gericht in Dresden noch bei dem Kurfürsten von Brandenburg Rechtshilfe erhält, sieht er sich selbst moralisch in der Pflicht (!), durch gewaltsame Selbsthilfe das Recht wieder herzustellen. Aus einem der "rechtschaffensten" Männer seiner Zeit wird einer der "entsetzlichsten". Das Rechtsgefühl macht aus Kohlhaas einen "Räuber und Mörder". Interessant in der Geschichte ist das Auftauchen Luthers, den Kohlhaas um Hilfe angeht. Luther artikuliert in der Kleistschen Arbeit das immer noch gültige Credo eines bürgerlichen Rechtsstaates: Das Individuum ist erst dann aus der Rechtsgemeinschaft entlassen, wenn ihm die höchste Instanz (hier der Landesherr) sein Recht verweigert hat. Was aber, wenn dieser Fall eintritt und was, wenn der Kläger eine andere Rechtsauffassung vertritt?
Kleist hinterfragt mit seiner Novelle die Anforderungen an das Individuum, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet ist (und sie wird es nie sein, da es sich um einen Idealfall handelt, der allzu oft mit der Realität kollidiert). Der Preis des Aufbegehrens des Individuums ist der Untergang desselben. Das ist die Realität seit Anbeginn menschlichen Handelns.
Der Ausgangspunkt des im 16. Jahrhunderts spielenden novellistischen Geschehens ist die schikanöse Behandlung des Pferdehändlers Kohlhaas auf der Tronkenburg, die Wegnahme und der Missbrauch seiner Rappen und die Misshandlung seines Knechts. Kohlhaas Rechtshandel mit dem Junker Tronka wird zum Testfall dafür, ob die Welt gerecht eingerichtet ist. Als er weder beim zuständigen Gericht in Dresden noch bei dem Kurfürsten von Brandenburg Rechtshilfe erhält, sieht er sich selbst moralisch in der Pflicht (!), durch gewaltsame Selbsthilfe das Recht wieder herzustellen. Aus einem der "rechtschaffensten" Männer seiner Zeit wird einer der "entsetzlichsten". Das Rechtsgefühl macht aus Kohlhaas einen "Räuber und Mörder". Interessant in der Geschichte ist das Auftauchen Luthers, den Kohlhaas um Hilfe angeht. Luther artikuliert in der Kleistschen Arbeit das immer noch gültige Credo eines bürgerlichen Rechtsstaates: Das Individuum ist erst dann aus der Rechtsgemeinschaft entlassen, wenn ihm die höchste Instanz (hier der Landesherr) sein Recht verweigert hat. Was aber, wenn dieser Fall eintritt und was, wenn der Kläger eine andere Rechtsauffassung vertritt?
Kleist hinterfragt mit seiner Novelle die Anforderungen an das Individuum, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet ist (und sie wird es nie sein, da es sich um einen Idealfall handelt, der allzu oft mit der Realität kollidiert). Der Preis des Aufbegehrens des Individuums ist der Untergang desselben. Das ist die Realität seit Anbeginn menschlichen Handelns.
Gabriele Graf, Hardy Hoosmann © Stephan Rumpf |
Wie schwer das Thema auf Kleist (der in juristischen Fragen kein Laie war) lastete, beweist die Entstehungsgeschichte des Werkes, die sehr langwierig und kompliziert war. Wir verfügen heute noch immer nicht über die entscheidenden Antworten, lediglich über Gesetze, die uns diese Fragen vom Halse halten sollen. Wenn im Presseblatt des Teamtheaters formuliert wird: "Erst auf den zweiten Blick wird das eigentliche Thema sichtbar: der Zusammenbruch der bürgerlichen Identität angesichts der Erkenntnis der eigenen gesellschaftlich Bedeutungslosigkeit", so ist der Nagel damit auf den Kopf getroffen. Kohlhaas wird zum ersten Terroristen in der deutschsprachigen Literatur. Die nennt es fachbegrifflich "Selbsthelferproblematik" und umschreibt damit ein überaus brisantes Problem.
Täglich werden Skandale ruchbar, in denen sich Menschen in gehobenen Positionen unrechtmäßig ihrer Macht bedienen. Und wo sich einer einen Vorteil verschafft, zahlen einer oder viele drauf. Warum also wundert es uns, wenn immer wieder Menschen auf den Plan treten, die ihr Recht oder das, was sie als ihr Recht verstehen, gewaltsam einfordern. Folglich muss uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn es in der Ankündigung heißt: "Gerade in der Radikalität, in der der Text diese Identitätskrise vor Augen führt, liegt seine zeitlose Modernität begründet."
Petra Maria Grün erarbeitete eine Bühnenfassung, die, Abweichungen von der Kleistschen Geschichte eingeschlossen, einen exemplarischen Fall stringent und mit überzeugender innerer Logik erzählt. Alle Personen sind glaubhaft und die Darstellung von Filz, Ignoranz und Dummheit von Macht kann heutiger kaum sein.
Das Bühnenbild von Michele Lorenzini verwirrte auf den ersten Blick. Eine Vielzahl von Teppichen waren ausgebreitet. Eine spießige kleine Sitzgruppe in der hinteren rechten Ecke und eine Furnierwand mit Reichs- oder Bundesadler, davor ein Tisch, rundum geschlossen, komplettierten den hinteren Bühnenbereich. Die Bühne wurde schließlich durch eine Gardine halbiert, wahlweise geöffnet oder geschlossen. Sie diente gleichsam als Projektionsfläche für einen Overheadprojektor. Alles machte einen etwas muffigen Eindruck. Wenn man sich aber einmal die Mühe machte und die Geschichte hinzu zog, machten die Teppiche einen metaphorischen Sinn. Deutschland war im 16. Jahrhundert ein "Flickenteppich aus etwa 300 Kleinstaaten" und beginnt es nach den Beschlüssen Föderalismusreform wieder zu werden. Dieser Einfall, wenn er denn so gemeint war, überzeugte. Ansonsten hielten sich die Ideen für das Bühnenbild eher in Grenzen.
Nicht viel anders verhielt es sich mit der Leistung der Regisseurin Alexia Hermann. Zwar berührte der eine oder andere szenische Einfall wie beispielsweise der Akt der Zerstörung von Kohlhaas Hand, der die Wand und den darauf befindlichen Reichs- oder Bundesadler - sie erinnerte doch sehr an die Täfelung des Verfassungsgerichts in Karlsruhe - mit Torferde bis zur Unkenntlichkeit verschmierte. Doch was die Führung der Darsteller anbelangte, hielt sich die Regisseurin vielleicht zu sehr zurück. So wirkten die Schauspieler, einschließlich Hardy Hoosmann als Kohlhaas, nicht selten unbeholfen und linkisch. Hatte man die Künstler etwa aus "ihren künstlerischen Zwängen befreit" oder hatte die Regie sie einfach nur hängen lassen? Wenn ja, dann geschah es zu Ungunsten der theatralischen Wirkung. Einzig Bernhard Ulrich gelang eine durchgängig deutliche Figurengestaltung, egal, ob er Luther, den Zöllner oder den Kurfürsten spielte. Ihm verdankte der Abend, dass es allemal eine spannende und hochaktuelle Geschichte wurde. Schade um den verschenkten (nicht unbedeutenden) Rest, denn die Textvorlage, sehr dicht an Kleist, war prächtig und das Publikum offen. Es fehlte der Hauch, der den Geist spürbar macht.
Immerhin hat der Text und die Inszenierung an einen Mann, einen Säulenheiligen erinnert, dem man sich auch nach fünfhundert Jahren durchaus einmal kritisch nähern sollte. Gemeint ist der Antisemit, Befürworter von Hexenverbrennungen und Verächter des Schwachen Martin Luther.
Wolf Banitzki
Täglich werden Skandale ruchbar, in denen sich Menschen in gehobenen Positionen unrechtmäßig ihrer Macht bedienen. Und wo sich einer einen Vorteil verschafft, zahlen einer oder viele drauf. Warum also wundert es uns, wenn immer wieder Menschen auf den Plan treten, die ihr Recht oder das, was sie als ihr Recht verstehen, gewaltsam einfordern. Folglich muss uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn es in der Ankündigung heißt: "Gerade in der Radikalität, in der der Text diese Identitätskrise vor Augen führt, liegt seine zeitlose Modernität begründet."
Petra Maria Grün erarbeitete eine Bühnenfassung, die, Abweichungen von der Kleistschen Geschichte eingeschlossen, einen exemplarischen Fall stringent und mit überzeugender innerer Logik erzählt. Alle Personen sind glaubhaft und die Darstellung von Filz, Ignoranz und Dummheit von Macht kann heutiger kaum sein.
Das Bühnenbild von Michele Lorenzini verwirrte auf den ersten Blick. Eine Vielzahl von Teppichen waren ausgebreitet. Eine spießige kleine Sitzgruppe in der hinteren rechten Ecke und eine Furnierwand mit Reichs- oder Bundesadler, davor ein Tisch, rundum geschlossen, komplettierten den hinteren Bühnenbereich. Die Bühne wurde schließlich durch eine Gardine halbiert, wahlweise geöffnet oder geschlossen. Sie diente gleichsam als Projektionsfläche für einen Overheadprojektor. Alles machte einen etwas muffigen Eindruck. Wenn man sich aber einmal die Mühe machte und die Geschichte hinzu zog, machten die Teppiche einen metaphorischen Sinn. Deutschland war im 16. Jahrhundert ein "Flickenteppich aus etwa 300 Kleinstaaten" und beginnt es nach den Beschlüssen Föderalismusreform wieder zu werden. Dieser Einfall, wenn er denn so gemeint war, überzeugte. Ansonsten hielten sich die Ideen für das Bühnenbild eher in Grenzen.
Nicht viel anders verhielt es sich mit der Leistung der Regisseurin Alexia Hermann. Zwar berührte der eine oder andere szenische Einfall wie beispielsweise der Akt der Zerstörung von Kohlhaas Hand, der die Wand und den darauf befindlichen Reichs- oder Bundesadler - sie erinnerte doch sehr an die Täfelung des Verfassungsgerichts in Karlsruhe - mit Torferde bis zur Unkenntlichkeit verschmierte. Doch was die Führung der Darsteller anbelangte, hielt sich die Regisseurin vielleicht zu sehr zurück. So wirkten die Schauspieler, einschließlich Hardy Hoosmann als Kohlhaas, nicht selten unbeholfen und linkisch. Hatte man die Künstler etwa aus "ihren künstlerischen Zwängen befreit" oder hatte die Regie sie einfach nur hängen lassen? Wenn ja, dann geschah es zu Ungunsten der theatralischen Wirkung. Einzig Bernhard Ulrich gelang eine durchgängig deutliche Figurengestaltung, egal, ob er Luther, den Zöllner oder den Kurfürsten spielte. Ihm verdankte der Abend, dass es allemal eine spannende und hochaktuelle Geschichte wurde. Schade um den verschenkten (nicht unbedeutenden) Rest, denn die Textvorlage, sehr dicht an Kleist, war prächtig und das Publikum offen. Es fehlte der Hauch, der den Geist spürbar macht.
Immerhin hat der Text und die Inszenierung an einen Mann, einen Säulenheiligen erinnert, dem man sich auch nach fünfhundert Jahren durchaus einmal kritisch nähern sollte. Gemeint ist der Antisemit, Befürworter von Hexenverbrennungen und Verächter des Schwachen Martin Luther.
Wolf Banitzki
Michael Kohlhaas
nach Heinrich v. Kleist
Bühnenfassung von Petra Maria Grün Hardy Hoosmann, Gabriele Graf, Kai Reinke, Bernd Dechamps, Bernhard Ulrich, Michael Schaller Regie: Alexia Hermann |