Teamtheater Tankstelle Gefährliche Liebschaften nach Choderlos de Laclos




Adel im Untergang oder
Die letzten Schlachten werden in den Betten geschlagen


Am Ende geht doch alles den Weg des Irdischen. Mensch sein heißt darum, den Tag zuvor zu nutzen. Was aber, wenn alle Inhalte verloren gegangen sind und Überdruss regiert? Dann neigt sich zumeist eine Epoche ihrem Ende entgegen. Die Kulturgeschichte nennt diesen Zustand Dekadenz. Kaum ein künstlerisches Werk hat den Niedergang einer Klasse so prickelnd, so emotionsgeladen, so farbenfroh und sensibel geschildert wie der Roman "Gefährliche Liebschaften" (1782). Den Autor Chodelos de Laclos mag die Wirkung seines Werkes gerade in der nieder gehenden Klasse noch verwundert haben. Der heutige Bildungsbürger weiß, dass diese Klasse sieben Jahre später vom Sturm der revolutionären Masse hinweg gefegt wurde. Was kann erregender für dekadentes Denken sein, als dem eigenen Untergang ins Antlitz zu schauen.

Das Zeitalter des Barocks war eine Epoche der Form. So tut es nicht Wunder, dass die gähnende Leere unter der Form nicht wahrgenommen wurde, bis dieses Gebilde schließlich implodierte. Der Vicomte de Valmont ist ein Meister der Form. Diese Meisterschaft versetzt ihn in den Stand, Menschen, und insbesondere die Damen der Gesellschaft, nach Gutdünken zu manipulieren, zu verführen und sie schließlich vor dem Spiegel der Gesellschaft zu ruinieren. Gemeinsam mit der Marquise de Merteuil hat er diesen Vernichtungsfeldzug zu einem Gesellschaftsspiel kultiviert. Die Bosheit regiert. Der Vicomte hat inzwischen einen (wirklich schlechten) Ruf zu verlieren und so kann ihn die Marquise, übrigens die einzige Frau, die dem Vicomte etwas bedeutet, zu jeder nur erdenklichen Missetat überreden. So defloriert er beiläufig eine junge Dame der Gesellschaft, damit die Marquise ihre späte Rache an einen Mann nehmen kann, der sie einstmals verschmähte. Der Ehrgeiz des Vicomte wurde allerdings durch eine andere Dame der Gesellschaft angestachelt, die als tugendhaft, wahrhaft gläubig und uneinnehmbar gilt, die Präsidentin. Seine Strategien sind derart ausgeklügelt, dass niemand mehr zu unterscheiden vermag, wann es sich um Lügen und wann um Wahrheiten handelt. Und genau in diesem Punkt wird das Drama hochaktuell. Wenn jedes Mittel zur Erlangung eines Zieles erlaubt ist, dann ist das gänzliche Fehlen von Moral erwiesen. Diese Feststellung soll allerdings nicht Glauben machen, es handele sich um ein moralisierendes Werk. Vielmehr ist es gelungene und über die Zeiten gültige Bestandsaufnahme des menschlichen Wesens in Endzeitsituationen.

 


Marie-Therese Futterknecht, Claus-Peter Damitz, Claudia Schmidt

© Stefan Rumpf


Und so behandelt Regisseurin Iris Spaeing das Werk denn auch. Sie nimmt es komödiantisch und verkauft eine bittere Pille mit einem süßen Beigeschmack. Die Kostüme von Kati Kolb versetzen den Zuschauer nur scheinbar in die Zeit des späten Barocks. Wichtigstes Merkmal der derzeit modischen Versatzstücke ist letztlich ihr Zustand der Verwahrlosung. So kommt Valmont recht abgerissen daher. Die Marquise spreizt sich im fadenscheinigen Stützgestell. Die innere Verkommenheit der Protagonisten spiegelt sich auch auf den Gesichtern wieder, die einen morbiden Anstrich haben. (Maske: Anne-Charlotte Viriot). Das Bühnenbild, verschiebbare Wände, eine Lagerstatt, einige Stühle, ist gänzlich in Schwarz gehalten und erinnert an die Gruft von "Untoten".

Regisseurin Iris Spaeing stellte Manierismen aus und legte gleichsam Seelenzustände bloß. Bei alledem agierten die Darsteller artifiziell, mit komödiantischen Einfällen, ausgefeilter Gestik und Mimik, ohne dabei barocke Stereotypen zu bedienen. Claus-Peter Damitz , auf den ersten Blick so gar kein Blender und Frauentyp, erspielte als Vicomte de Valmont Haltungen, die letztlich keinen Zweifel am Erfolg seiner Unternehmungen aufkommen ließen. Marie-Therese Futterknecht hatte es da nicht leicht mitzuhalten. Ihre Marquise de Merteuil geriet gelegentlich durchschaubar. Das Spiel der Verstellung verlangte jedoch durchgängig Maske. Ihre bekam das eine oder andere mal Risse. Claudia Schmidt hatte es da leichter. Ihre Rolle verlangte sichtbare emotionale Offenheit, die sie dann auch bis an die Grenzen ihres psychischen Schmerzes ausspielte. Konsequenterweise ließ Regisseurin Iris Spaeing am Ende nur einen Ausweg, den Weg alles Irdischen. Für einen kurzen Augenblick wurden die erbärmlichen Gesichter hinter den Masken sichtbar.

Einmal mehr zeichnete sich eine Produktion im Teamtheater durch ausgewogenes Ensemblespiel und innere Geschlossenheit aus. Die Inszenierung erzählte dem Publikum eine erstaunliche und schwer fassbare Geschichte, ohne, wie die Vorlage auch, moralisieren zu wollen. Dennoch vermittelte sie Wahrheiten, die zeitlos und als solche für ein Hinterfragen jeder Gesellschaft und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen taugen.

Ohne Frage ist dieser Stoff mit Risiken behaftet. Vermutlich waren nur wenige Zuschauer im Publikum, die die cineastische Vorgabe von Stephen Frears nicht kannten. So fiel es per se nicht leicht, sich den übermächtigen Bildern zu entziehen, die John Malkovich und Glenn Close als intrigantes Paar so unvergesslich schufen. Die Regie vermied es klugerweise, sich daran zu orientieren und schuf eine Lesart, die eigenständig blieb und darum keinen Vergleich scheuen muss. Darüber hinaus haben Stoff und Inszenierung einen nicht zu verachtenden Unterhaltungswert.


Wolf Banitzki

 

 


Gefährliche Liebschaften

nach Choderlos de Laclos

Bühnenfassung von Manfred Wekwerth

Marie-Therese Futterknecht, Claus-Peter Damitz, Claudia Schmidt, Antoinette Wosien, Eva Kruijssen, Florian Fisch

Regie: Iris Spaeing