Teamtheater Tankstelle Mala und Edek von Mark O'Connor




Erinnern kann nicht alles sein

Eine junge Darstellerin und drei junge Darsteller empfingen das hereinströmende Publikum mit Lockerungs- und Sprechübungen. Die Theatergänger sollten darauf eingestimmt werden, dass es sich um eine Theatervorstellung handeln wird. Dieser Vorgang war sinnfällig, denn die Geschichte, die erzählt werden sollte, geht eigentlich über das hinaus, was ein halbwegs sensibles Publikum ertragen kann.

Das Stück von Mark O’ Connor handelte von der Liebe zwischen der polnischen Jüdin Mala Zimetbaum und dem Häftling Edek Galinski im Jahr 1942. Ort der nicht fiktiven Handlung war das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Beide Gefangenen waren Privilegierte, Mala, weil sie als Dolmetscherin Verwendung in der Verwaltung fand und Edek, weil die Kapos, in der Regel Kriminelle, seine Deutsch- und Englischkenntnisse brauchten, um selbst zu überleben und um sich auf die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Beide konnten sich im Lager vergleichsweise frei bewegen und lernten sich scheinbar zufällig kennen. Mala hatte, wie sich bald herausstellte, die Begegnung gesucht, denn sie hatte von dem mutigen Mann gehört. Beide verliebten sich ineinander und konnten ihre Liebe unter diesen unmenschlichen Bedingungen auch leben. Während sie tagsüber ohnmächtig zuschauen mussten, wie Tausende jüdische Leidensgenossen ins Gas geschickt wurden, lebten sie nachts ihre flüchtigen Umarmungen. Bald fassten sie den Entschluss, die Flucht zu wagen, um ihre Liebe in Freiheit zu leben und um der Welt mitzuteilen, was im Lager vor sich ging. Man konnte sich unmöglich vorstellen, dass diese grauenhaften Vorgänge außerhalb der Lagerzäune bekannt waren und niemand dagegen aufbegehrte. Die deutsche Geschichte belehrte jeden Zweifler. Beiden war bewusst, dass, wenn die Flucht nicht gelang, sie mit ihrem Leben bezahlen würden. So kam es denn am Ende auch. Allerdings starben sie mit dem Bewusstsein der „ewigen“ Liebe zum jeweils anderen aufrecht und heroisch, unbeugsam und aufbegehrend noch im Augenblick des Todes.

Zu Beginn des Stückes traten die Darsteller an die Rampe und zitierten Zeitgenossen, Opfer wie auch Täter, deren Namen an die schieferschwarzen Wände der Bühne auf der Bühne geschrieben wurden, für die Michael Stacheder (Regie, Kostüme, Bühnenbild) verantwortlich zeichnete. Es folgte, was auch im Konzentrationslager nach der Ankunft geschah: Ausziehen! Dann wurde Häftlingskleidung angelegt und die Darsteller schminkten sich. Die Handlung begann, als die kleine weiße Spielfläche betreten wurde. Die jeweils inaktiven Darsteller saßen auf Hockern daneben und beobachteten. Regisseur Stacheder hatte die Darsteller durch diesen Verfremdungseffekt davor geschützt, sich bedingungslos der Szene ausliefern zu müssen. Das hätte vermutlich Scheitern oder den Untergang in Peinlichkeit bedeutet. So verblieben die Darsteller und auch die Zuschauer in der notwendigen Distanz.


mala

Theresa Hanich, Robert Ludewig


Als erzählt war, dass und wie die beiden Liebenden den Tod gefunden hatten, erschienen die Darsteller, wieder gekleidet wie am Anfang, um den Rahmen der Handlung mit wenigen Worten zu schließen. Ohne Frage war der Abend berührend und ohne Frage auch voll des Sinns, den die Schirmherrin Frau Dr. h. c. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern einforderte, als sie meinte: „ (…) Um auch der Nachwelt das Gedenken an die Opfer der Shoa zu bewahren, sind neue Formen der Erinnerung gefragt.“

An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein, ob das Erinnern tatsächlich reicht? Dem Erinnern in Deutschland auszuweichen ist schwer, und das ist auch gut so. Doch bloßes Erinnern schafft Schuldbewusstsein selbst bei den Nachgeborenen. Eine große Liebesgeschichte in Zeiten der höllischen Zustände schafft ebenso starkes Mitgefühl. Eines allerdings hat der Abend nicht geleistet: Eine Antwort auf die Frage - warum? Erinnern und Mitfühlen ist gut, Überwinden wäre besser gewesen, denn dann wäre das Gefühl nicht so diffus geblieben.

Der Text von Mark O’ Connor war zudem kein wirklich großer dramatischer Wurf. Einige Dialoge waren eigentlich Monologe, auch wenn zwei Personen miteinander sprachen. Einer war dabei kaum mehr als Stichwortgeber, stellte artig die notwendigen Fragen, damit der andere weitererzählen konnte. Sprachlich wurde es peinlich, als die Darstellerin der Mala, wohlgemerkt 1942, von sich gab, dass sie „schier ausflippte“. Vielleicht war es eine Übersetzungsschwäche. Vermutlich jedoch nicht, denn das Drama von O’ Connor lebt vornehmlich von der Geschichte und gewiss nicht von der Sprache.

Man muss die Darsteller für ihre Leistungen und auch den Regisseur für seine guten szenischen Lösungen und das durchdachte Konzept loben. Das engagierte Spiel, das starken physischen Einsatz nicht aussparte, zeugte von dem festen Willen, die Botschaft von der Macht der Liebe auch in düsteren Zeiten zu transportieren. Die Zuschauer waren berührt, zumal jeder, der einigermaßen aufgeschlossen war und über ein Basisgeschichtswissen verfügte, schon einen gewaltigen Subtext zum Thema mit ins Teamtheater Tankstelle brachte. An diesen wurde er folglich erinnert. Das Erinnern schuf starke Befindlichkeiten, doch machte es handlungsfähiger? Wohl kaum. Zur Forderung von Frau Knobloch nach neuen Formen des Erinnerns: Die Annäherung an das Thema war nicht befreiend. Es waren künstlerisch, intellektuell und emotional ausgetretene Pfade, die das Publikum, das schlechte Geschichtsgewissen auf dem Buckel, artig mittrabte.


Wolf Banitzki

 

 


Mala und Edek

von Mark O'Connor

Theresa Hanich, Robert Ludewig, Ferdinand Schmidt-Modrow, Thomas Trüschler

Regie, Bühne, Kostüme: Michael Stacheder