Teamtheater Tankstelle Maß für Maß von William Shakespeare



 

Shakespeare – Opfer einer überambitionierten Regie

„Maß für Maß“, ein Lehrstück in Sachen Macht, Justiz und Gnade, war von Shakespeare an Jakob I. gerichtet, der 1603 Elisabeth I. auf den englischen Thron nachgefolgt war. Tatsächlich fand die Uraufführung 1604 in Whitehall, der Residenz Jakobs statt. Shakespeare verlegte das Stück, das stets am Rande des Todes spielt, in ein märchenhaftes Wien. Dessen Oberhaupt, der Herzog Vincencio, hat seinen Vertrauten Angelo zum Statthalter ernannt, um ihn zu prüfen. Vincentio bleibt in unterschiedlichsten Verkleidungen präsent, um das Ergebnis seines Experiments in Augenschein zu nehmen und, gegebenenfalls und notwendigerweise, wie sich herausstellt, eingreifen zu können. Angelo ist, ganz ähnlich wie Sigismund in Calderons „Das Leben ein Traum“, ein Herrscher auf Probe. Als solcher ist er festen Willens, aus dem verwahrlosten Wien mit drakonischer Härte einen Musterstaat zu machen. Doch er ist selbst ein sündhafter Mensch, hat der nichtstandesgemäßen jungen Mariana die Ehe versprochen und sie dann verstoßen. Der junge Edelmann Claudio liebt Julia, die ein Kind von ihm erwartet. Für diesen außerehelichen Geschlechtsakt mit Folgen wird er zum Tode verurteilt. Claudios Schwester, eine Klosternovizin, erbittet bei Angelo Gnade für den Bruder. Angelo verlangt für den Gnadenakt die Jungfräulichkeit der Bittstellerin. In der entscheidenden Nacht schiebt man ihm jedoch die Exverlobte Mariana unter. Angelo befiehlt nach vollzogener „Liebesnacht“ dennoch die Hinrichtung. An dieser Stelle greift Herzog Vincencio ein und beendet die rechtsstaatliche Tyrannei.  

Das Theater ImPuls, hat diese Komödie Shakespeares nun in einer sehr zeitgenössischen Inszenierung auf die Bühne des Teamtheaters Tankstelle gebracht. Dabei ging Regisseur Andreas Wiedermann sehr frei mit der Shakespeareschen Vorlage um, transponierte den Stoff ins Jetzt und Heute, um die Moral der gegenwärtigen Gesellschaft, insbesondere die der Politiker, auf den Prüfstand zu stellen. Und da in der heutigen Zeit die Medien eine herausragende Stellung einnehmen, bediente er sich einer Vielzahl ihrer Möglichkeiten.
Udo Ebenbecks Bühne hielt als Spielstätte auf der Spielstätte einen Teppich, zwei Stühle und ein Tischchen bereit, zumeist den Topos der Macht demonstrierend. Hier saß der aalglatte Angelo, durchaus glaubhaft von Matthias Wagner gegeben, und entfaltete eine Aura der auf scheinbarer Moralität aufbauenden Macht. Im Hintergrund befanden sich zwei LCD-Bildschirme, auf denen die Außenwelt ablief.

Das Anliegen von Regisseur Andreas Wiedermann war überdeutlich, allerdings bleib es bei der Ahnung, denn wirklich funktioniert hat es nicht. Am linken Bühnenrand befand sich ein PC-Tisch mit Laptop über dessen Webcam unterschiedliche Schauspieler ihre Texte in den medialen Kreislauf einspeisten. Wirtshauszenen, Pressekonferenzen u.ä. wurden in die hinterste rechte Ecke der Bühne verbannt und ebenfalls nur über die Screens sichtbar. Spätestens hier wurde ein Grundkonflikt der Inszenierung deutlich. Wer sich auf so viel Technik einlässt, sollte sicherstellen, dass sie auch funktioniert. In der Premiere, versagte sie mehr als einmal. Doch das nur nebenbei, denn es stellt sich eigentlich die Frage, warum ein Zuschauer ins Theater geht und nicht ins Kino. Er möchte vermittels eines Schauspielers oder einer Schauspielerin die Illusion von Menschen aus Fleisch und Blut erleben. Diesen Totalitätsanspruch aufgeben heißt, Theater infrage zu stellen.

Im Teamtheater geriet der Zuschauer schnell in den Konflikt, die dilettantischen Bilder auf dem Screen zu schauen, oder ins Dunkel zu starren, um die Schauspieler direkt zu erfühlen. Keine der beiden Möglichkeiten war wirklich befriedigend. Diese überambitionierte Ästhetik wies mehr Naschteile als Vorteile auf. Hinzu kam, dass die Darsteller sämtlich in unterschiedlichste Rollen schlüpften, so dass visuelle und inhaltliche Irritationen aufkamen. Insofern ist es sehr schwer möglich, die Leistungen der einzelnen Schauspieler zu besprechen.

Vom Shakespeareschen Text blieb ohnehin wenig übrig. Wenn er gesprochen wurde, blitzte kurzzeitig Schönheit auf, die Schauspieler wurden kurzzeitig über diesen Text diszipliniert und der unselige Kontrast zum adaptierten oder implantierten alltagssprachlichen Text wurde auf peinliche Weise deutlich. Angefüllt waren die von der Regie/Dramaturgie eingearbeiteten Adaptionen mit überaus schalen Witzen, die (hoffentlich!) dazu dienen sollten, den jeweiligen Erzähler in seiner seelischen/moralischen Verkommenheit zu definieren. Hoffentlich, weil, nichts ist gefährlicher, als einen schlechten Witz auf der Bühne zu erzählen. Wenn der nicht greift, wird es peinlich.

Wenn man einen Shakespearetext adaptiert, ihn heutig und bei Benennung aktueller Konflikte spielen lässt, sollte man sich zumindest bemühen, nicht allzu deutlich unter das Niveau Shakespeares zu geraten. Sowohl inhaltlich, wie auch ästhetisch wurde diese Inszenierung der Vorlage nicht gerecht. Wenn Respekt dem großen Engländer gegenüber eingefordert wird, riskiert man hoffentlich nicht, als „Angelo“ ausgemacht zu werden. Ich wage es dennoch!


Wolf Banitzki

 

 

 


Maß für Maß

von William Shakespeare

Franz Brandhuber, Lisa Erdmann, Urs Klebe, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Susanne Meyer, Clemens Nicol, Matthias Wagner

Regie: Andreas Wiedermann
Eine Produktion von Theater ImPuls