Teamtheater Comedy Wetterleuchten von Daniel Call




Auferstehung der verbannten Geister

Die Schwestern Hanni und Kitty Lack führen einen Krieg in trauter Unentrinnbarkeit. Sie führen einen Gasthof, der so abgelegen und herunter gekommen ist, dass sich schon lange keine Gäste mehr einfinden. So haben sie alle Zeit der Welt, ihren Krieg zu führen. Dabei verfolgen beide die gegensätzlichsten Strategien. Kitty hält starrsinnig, eingangs könnte man meinen schwachsinnig, an der mit dem Vater untergegangenen Welt ohne die Segnungen der Moderne fest. Hanni, die schon ein Hochschulstudium ins Auge gefasst hatte, war zurückgekehrt, um die Schwester vor der Verwahrlosung zu retten, der diese unweigerlich anheim gefallen wäre. Bei der Rückkehr musste sie erleben, dass die
scheinbar verrückte Schwester sich weiterhin liebevoll um den Vater kümmerte, dessen Leichnam durch das Haus zerrte, um ihn ans Fenster zu setzen und nach Sonnenuntergang wieder zur Nachtruhe zu betten. Hanni begräbt den Vater unter einem Baum im Garten. Doch seither hockt dort eine Krähe und dringt bedrohlich mit Gekrächz in den häuslichen Unfrieden ein. Hanni, leidend unter dem Wunsch nach einem normalen Leben, brachte die Elektrizität und das Fernsehen in den muffigen und schmuddeligen Gasthof. Aber genau darin sieht Kitty ein Mordkomplott.

Die Taktik der beiden Schwestern ist ebenso gegensätzlich wie deren Ziele. Kittys Verweigerung manifestiert sich zuerst in der Sprache. Sie leugnet kategorisch die Metaphorik, die der modernen Technik innewohnt. Ein Auto kann nicht „anspringen“, weil es nicht springt, sondern fährt; ebenso wenig kann ein Auto nicht liegen bleiben. Fernsehen bedeutet, aus dem Fenster in die Ferne zu sehen. Der unheilvolle Strom aus der Steckdose ist ein böser Zauber, der nur darauf wartet, über sie herzufallen, usw.

Das Stück beginnt mit einem heraufziehenden Gewitter und einem Stromausfall. Es ist eine gute Zeit für den letzten Versuch, sich ins Einvernehmen zu setzen, Normalität herzustellen. Doch es bleibt ein untauglicher Versuch, wie sich angesichts der Verstocktheit Kittys schnell herausstellt. Hanni ist mit ihrem Latein des Normalen am Ende, als plötzlich Molly, eine Geschäftsfrau, deren Auto „liegen geblieben“ ist, wie ein Naturereignis auf dem emotionalen Schlachtfeld erscheint. Hanni erkennt sofort eine Seelenverwandtschaft zu der Frau aus der, wie sie meint, wirklichen Welt. Eine Verschwisterung bahnt sich an. Am Ende sind die beiden Frauen betrunken, Kitty und Molly haben die Identitäten getauscht und Kitty, inzwischen auf wundersame Weise zum Schwan mutiert, wird von einem Auto abgeholt. Wer saß am Steuer? Der tote Vater?

Autor Daniel Call ist ein Meister der großen Geschichten, wie sie in der kleinen Welt - oder in der Welt der „Kleinen Leute“ passieren. Wortgewaltig, witzig und intelligent entblättert er das Banale, auch das Böse bis auf das unweigerlich poetische Skelett und schafft geschlossene Geschichten, die sich mit den Sujets der dramatischen Standardliteratur durchaus messen können. Leider hat er noch immer zu selten seinen wohlverdienten Platz in den Spielplänen. Obgleich seine Dramaturgien vorzüglich funktionieren, die Figuren detailverliebt ausgearbeitet sind und die Geschichten geradezu nach Bühnen verlangen, ist eine theatralische Umsetzung, wie die Inszenierung am Teamtheater Comedy zeigte, keine sicher Bank.

Bühnenbildner Martin Kinzlmaier schuf einen naturalistischen Schankraum, der in seiner Schmuddeligkeit und in seiner 50er Jahre Spießigkeit mit Spitzendeckchen und ausgestopftem Auerhahn an der Wand Schaudern machte, bei dem einen oder anderen Zuschauer vielleicht sogar Ekel erregte.
Fabian Kametzs Inszenierung des bürgerlichen Damendramas entsprach konsequent eben diesem Gefühl, welches das Bühnenbild erzeugte. Zu konsequent, möchte man meinen, denn die hintersinnige Poesie, das vermeintlich Mystische, das sich im Subtext verbirgt, entfaltete sich nicht im Auge des Betrachters. Ein deutlicher Kontrast wäre hier vonnöten gewesen. Regisseur Kametz verführte seine Schauspielerinnen nicht zu der erforderlichen Doppelbödigkeit, durch die das Drama hätte abheben können.

Veronika Fabers Kitty blieb durchgängig lästig in ihrem wortkargen Trotz, der eben nur Trotz war und deren zauberhafte Auflösung sich zu keinem Zeitpunkt ankündigte. Gerade dieser Figur war enorm viel Komik eigen, die Balken hätte biegen können. Annabel Faber legte ihre Molly sehr ambitioniert an. Die Wortkaskaden über Liebe, Leben und dem Versagen daran ergossen sich sintflutartig über das Publikum. Das Potential dieser Schauspielerin wurde zwar sichtbar, erzeugt jedoch kaum Wirkung. Ihr „high speed“-Vortrag, der schon wegen ihrer Rubensschen Körperlichkeit vornehmlich auf das Wort beschränkt blieb, verhinderte beim Publikum einen tieferen Zugang in die vom Autor Call entwickelte Figur und deren geistiges Universum. Hier wurde vermutlich am meisten verschenkt. Annette Kreft agierte noch am maßvollsten und obgleich ihre Rolle als Hanni die am wenigsten exponierte war, blieb ihre Darstellung angenehm im Gedächtnis.

Fabian Kametz hatte sehr stark auf Figurenkomik gesetzt, die letztlich nicht überzeugen konnte, und hat dabei den Vater, der unsichtbar im Stück mitspielte, fast gänzlich außen vor gelassen. Dabei ging es doch gerade um dessen Geist, der stets nach Auferstehung verlangte. Calls komische Tragödie ist ein Geisterstück. Die Frauen werden zu Geistern, weil sie sich dem Geist des Übervaters – oder auch Übermannes – nicht entziehen konnten. Dieser Geist bildet ihre Kerkermauern, die Calls Witz, der in jedem Schicksal schlummert, durchlässig macht, damit das Publikum erkennt.


Wolf Banitzki

 

 


Wetterleuchten

Ein bürgerliches Damendrama von Daniel Call

Annabel Faber, Veronika Faber, Annette Kreft

Regie: Fabian Kametz