Teamtheater Tankstelle Homo Faber nach Max Frisch



 

Gelungene Hommage an Max Frisch

Homo faber kommt aus dem Lateinischen und bedeutet der schaffende Mensch. Walter Faber versteht sich als ein solcher. Er ist Techniker, glaubt nicht an Zufälle oder gar Schicksal, bis er selbst von diesen schicksalhaften Zufällen eingeholt wird. Im Gegensatz zum homo ludens, dem spielenden Menschen, glaubt er an Statistiken, physikalische Gesetze und an Material. Dabei gelangt er zu der Erkenntnis: „Fleisch ist kein Material. Fleisch ist ein Fluch.“

Noch nie hat er eine geschäftliche Verabredung wissentlich oder vorsätzlich versäumt, und so macht er sich von New York aus, seine Geliebte endgültig zurücklassend, auf den Weg nach Venezuela. Sein Flugzeug muss in der Wüste von Mexiko notlanden. Von nun an gerät alles aus den Fugen. Im mittelamerikanischen Dschungel findet er einen alten Freund, der sich erhenkt hat. Er kehrt in die Zivilisation zurück, um sich erneut auf die Flucht vor seiner Geliebten, vor unberechenbarem Leben zu begeben.

Auf der Überfahrt von Amerika nach Europa lernt er ein junges Mädchen kennen und macht ihr, ganz gegen seine Prinzipien, einen Heiratsantrag. Gemeinsam fahren sie durch Italien. In Griechenland wird das junge Mädchen, Elisabeth, von ihm Sabeth genannt, von einer Schlange gebissen. Die Mutter Hanna wird gerufen und Faber muss erkennen, dass das Mädchen seine Tochter ist. Er hat ihr Leben zerstört. Ihm bleibt, an Krebs in fortgeschrittenem Stadium erkrankt, nur wenig Zeit, sein Leben zu hinterfragen. Er entdeckt das wirkliche Leben, dem er immer ausgewichen ist, und beginnt es zu lieben.

Das Theater Pro brachte in Kooperation mit dem Teamtheater Tankstelle unter der Leitung von Ralf Buron eine „multimediale Film-Tanz-Theater-Adaption“ des vielleicht erfolgreichsten Romans von Max Frisch zu dessen 100. Geburtstag auf die Bühne Am Einlaß 2. Das Bühnenbild (Matthias Bringmann) war beschränkt auf einige Gazevorhänge, gleichsam Fläche für die Videoprojektionen, und ein Krankenhausbett. Soviel vorab: Es war ein überaus gelungene Hommage an den Schweitzer Dichter.

Die Produktion war dreigeteilt. Eingangs erlebte der Zuschauer die rasante filmische Fahrt des Protagonisten Faber, großartig raumgreifend und wechselvoll sensibel gestaltet von Herbert Schäfer, durch die Stationen der Geschichte bis hin zur Schiffspassage nach Europa. Schäfer spielte die Geschichte mit großer Eindringlichkeit in der Retrospektive, bereits auf dem Kranken-, oder besser, auf dem Sterbebett. Vor der letzten Szene hatte Faber einen viertägigen Aufenthalt in Havanna eingelegt, wo er erstmals das Leben sah, wie es ist: Prall, prickelnd, saft- und kraftvoll und unberechenbar.

Während der Begegnung Fabers mit Elisabeth im zweiten Teil quecksilberte die Tänzerin Stephanie Scheubeck mit Verve durch das wohlgeordnete Leben des Technokraten und wirbelte es mit großem körperlichen Aufwand durcheinander (Choreographie: Gary Joplin). Anstelle des Wortes trat die Geste und der tänzerische Ausdruck. Deutlich wurde allemal, wie überfordert und fasziniert zugleich Faber mit und von der Lebenswut des Mädchens war, das sich ganz augenscheinlich in ihn verliebt hatte.

Im griechischen Krankenhaus traf Faber schließlich auf seine frühe Liebe, die Halbjüdin Hanna, der er zur Emigration aus Nazideutschland verholfen, sie aber dennoch nicht geheiratet hatte. Ulla Wagener spielte ihren Part  nüchtern und ohne alle Sentimentalität, ganz dem Wort vertrauend. Die literarische Gestalt hatte schon bei Frisch menschliche Größe: Sie ist Archäologin geworden, hat ihre Tochter großgezogen und sich auch vom Ehemann Joachim (Faber fand den einstigen Freund im Dschungel erhenkt) getrennt. Sie ist eigenständig, hat ihr Leben gemeistert und ist gleichsam vom Leben desillusioniert. Ulla Wagener verlieh der Figur auch auf der Bühne Glaubhaftigkeit.

Als Herbert Schäfer den letzten großen Monolog sprach, den todkranken Faber von seinem weltanschaulichen Korsett entblätterte, wurde die existenzielle Dimension des Romans und der Figur Fabers bedrückend deutlich. Faber nahm Abschied von einem Leben, das er nicht gelebt hatte. Das Publikum kam an dieser Einsicht nicht ohne emotionale Teilnahme vorbei. Die Leistung Herbert Schäfers kann dabei kaum überbetont werden.

Ralf Buron, der für Regie, Film und Musik verantwortlich zeichnete, gelang eine Mischung aus allen künstlerischen Zutaten. Der in sich geschlossene Abend erzählte die Geschichte Walter Fabers weitestgehend ohne emotionale Verluste und erreichte eine hohe dramatische Dichte.
Prädikat: unbedingt sehenswert!

Wolf Banitzki

 

 

 


Homo Faber

nach Max Frisch

Eine Produktion von THEATER PRO in Kooperation mit der Teamtheater Tankstelle e.V.

mit: Stephanie Scheubeck, Ulla Wagener, Herbert Schäfer

Regie/Film/Musik: Ralf Buron
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