Teamtheater Tankstelle Körpergewicht 17% von Ewald Palmetshofer
Prädikat: Unbedingt erlebenswert – dieser Einblick in heutige Schicksale während dem kurzen Halt des Zuges der Zeit auf einer Theaterbühne
Mit Sekundengenauigkeit erfasst Ewald Palmetshofer die Gedanken zweier Figuren, die stellvertretend für viele stehen können. Satz für Satz enthüllen sich ihre Leben und ebenso baut sich der Zusammenhang mit der Gegenwart auf und der Moment in dem sie verschwinden. Es war ein kurzer, doch umso markanterer und einprägsamerer Aufenthalt auf einem Bahnsteig, einem Zuschauerraum. Es wurde ein krimihaft inspirierter Monolog entfaltet, dessen Kern aus Vereinsamung und Isolierung in einer sich verändernden Gesellschaft besteht. Palmetshofer verdeutlicht die Einsamkeit per se und nimmt immer wieder Bezug auf die Stille. Stille. Er führt eine Frau und einen Mann und zwei scheinbar gegensätzliche Lebenswege in eine DarstellerIn zusammen.
Linda Löbel gekleidet in weißen Trenchcoat, weiße Bluse und weiße Herrenhose betrat die Bühne. Die silbern glänzende Wand einer U-Bahnstation bildete die hell erleuchtete Kulisse, die dennoch Untergrund symbolisiert. Zwei metallene beleuchtete Schienen verliefen vor der Rampe, zwischen diesen entwickelt die Schauspielerin die beiden Figuren. Leicht vorgebeugt, die Nase spitz hervorgereckt, den Blick geschärft, wurde eine alte Frau erkennbar. „.... mach ich die Stille tot ...“, akzentuierte sie hart und doch wie in sich hinein - und das, indem sie im U-Bahnzug morgens zwischen den Feinkostfrauen und den Öffentlichendienstmännern in eine Waffel biss. Auf der anderen Seite der Erde, in Indien, vertrieb sich die Darstellerin als junger Mann in Resturlaub die Zeit, beobachtete Taxifahrer und freundete sich mit einem Liebespaar an, welches verschiedenen Kasten angehört, also unvereinbar ist. Den Mantel lässig geöffnet, die Hände in den Hosentaschen erstand ein hungernder, kraftlos werdender Weltenbummler mit einem deutlichen Fokus auf Preise. Unter der Regie von Sebastian Linz entwickelte Linda Löbel in jedem Bild, jeder Szene ausdrucksstark den Text, veranschaulichte Tragik und Komik gleichermaßen. Spannungsgeladen führten die Worte und die Darstellung aus der Stille der Vereinsamten in den Moment, in dem Bilder und das Geräusch des Zuges der Zeit, von welchem Menschen sich ohnmächtig überrollt fühlen, zum Höhepunkt.
Es ist eine hochartifizielle und künstlerisch in Darstellung, Bühnenbild und Konzeption überaus gelungene Inszenierung, damit anregender Kunstgenuss in allen Facetten.
Linda Löbel © Aylin Kaip |
Ewald Palmetshofer greift mit seinem Stück aktuelle, immer aktueller werdende Probleme in der Gesellschaft auf. Die Vereinsamung, die Stille und die scheinbare Unausweichlichkeit. Es sind dies auch Inhalte einer Religion, welche auf der anderen Seite der Erde beheimatet ist. „Die Welt steht Kopf.“ - unsere Welt in Europa und die der nördlichen Halbkugel. Verfolgte man die Wanderung des magnetischen Nordpols, welcher bereits viele Kilometer gen Sibirien zog und unaufhaltsam weiterzieht, so erkennt man die Unausweichlichkeit einer tatsächlichen materiellen Veränderung. Ist es das, was unsere Welt vom Kopf auf die Füße gestellt? Im geistigen, leitenden Sinn ist dies natürlich nur soweit möglich, wie der Einzelne in seinem Geist und die Gemeinschaft es zulassen. Also vorausgesetzt man lässt den Geist nicht in den großen Zeh rutschen und versucht sich an dieser Stelle im Denken. Soviel wäre zu Unausweichlichkeit und freiem Willen zu bemerken.
Der Dramatiker Palmetshofer zeigt in diesem Doppelmonolog die Parallelen in der Stille, der Einsamkeit, zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann auf. Während sich die Frau vornehmlich in Selbstgesprächen ergeht, so schreibt der Mann in einen Blog im Internet ... auf den er keine Antwort erhält. Seine Worte stehen schwarz auf weiß in einer virtuellen Welt, einer kollektiven Austauschebene, die nur scheinbar anderen Regeln, als denen des menschlichen Gemeinwesens folgt. Die Ältere, eine in ihre Wohnung eingeschlossene Rentnerin, flüchtet vor der Lobhudelei die Jugend allerorts zuteil wird, folgt aber dennoch deren Spuren und entwickelt Feindbilder an ihren Vertretern. Der junge Mann trägt einen schweren Rucksack, flexibel und heimatlos, ein Investmentwanderarbeiter auf der Suche nach einem Platz, an dem zu verweilen ihm gestattet wird.
Wer der Stille huldigt, hat kein Interesse an der Vielfalt des Lebens. Wer in die Stille verbannt wird, wird aus der lebendigen Gemeinschaft ausgeschlossen. Wer die Stille sucht, grenzt sich mitunter auch nur von einer Mediengesellschaft ab in der permanent aus allen Lautsprechern und von allen Wänden, über die erträglichen Maße hinaus, aufdringlich geplappert, geschnattert, gequakt und geschulmeistert wird. Nun genug ...!
Körpergewicht 17%
von Ewald Palmetshofer
Linda Löbel Regie: Sebastian Linz |