Theater ... und so fort  Die Eisvögel von Tine Rahel Völcker


 

 

 

Der unsichtbare Frost

 

hat längst die Gesellschaft durchdrungen, ist Normalität geworden. Auf allen Ebenen im menschlichen Miteinander greift die Kälte um sich und viele sind bereits erstarrt. Gleichzeitig schmilzt das Eis der Polkappen der Erde und jahrhundertealtes Gleichgewicht gerät in Auflösung. Es ist ein Prozess, der einmal angestoßen, unaufhaltsam voranschreitet. Und da in einem geschlossenen System nichts verloren geht, findet wohl nur die Verlagerung des Bildes statt. Noch kreisen einige Vögel über dem Eis. Sie rufen, schreien ...

 

Es ist später Herbst und noch kein Eis auf dem See. Karl begegnet bei einem Spaziergang Josi und nimmt diese mit in sein perfekt arrangiertes Leben mit Eva. Doch wer ist Josi? Ist sie eine reale Person mit Eigenleben oder ist sie vielmehr nur wirklich anwesend, ein Schatten?  

 

Im Stück „Die Eisvögel“ von Tina Rahel Völcker sind es zwei junge Menschen, ein Ehepaar das sich in seiner Abgeschiedenheit zu Harmonie verbunden hat. Glück und Zufriedenheit in einem persönlich hohen Maß soll hier herrschen. Doch was ist Glück, was Zufriedenheit? Ein möglichst reibungsloser Alltag? Ein hoher Anteil an sogenannter persönlicher Freiheit, die letztlich nur einem modischen Gesellschaftsbild folgt? Fordert dies nicht auch, die doch oft sehr spontanen Emotionen auf Eis zu legen? Tine Rahel Völcker ist Absolventin des Studienganges Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Ihr Werk ist vor allem eine Erzählung der Umstände, der Auffassungen ihrer Figuren und gipfelt in Ansätzen von Dialogen vor allem dann, wenn der einzelne an seine Grenzen stößt, hilflos sich selbst ausgeliefert auf dem See der Gefühle treibt. An diesen Stellen kam Lebendigkeit in Form von Exzess auf, es mutete wie das verzweifelte Aufbäumen vor der völligen Erstarrung an. Während Karl seine Aufmerksamkeit mit Frust und schlechtem Gewissen in seine Arbeit investierte, so eskalierte es in Eva, richtete sich die ohnmächtige Aggression gegen Josi. Gegen ihre eigene Art?

 

Josi, das Bild des unterdrückten Weiblichen. Eva, das Bild der in den Prozess integrierten Egalen. Karl, der in Angepasstheit und Funktionalität vegetierende. Nur in wenigen Augenblicken ließ Karl seine männliche Kraft durchscheinen. Nie wirkte dies aufdringlich oder gar herrisch. Die Flucht in den Wald, war seine Strategie. Ein Mann, kein Mann, der neue Mann?

 

Sie wahren die Form, welche ihnen auch gesellschaftlich zugesprochen wird und in die sie sich eingefunden haben. Doch sind es wirklich lebendige und damit vielseitige Menschen? Die coole Erzählung konnte jeweils auch ein gepostetes Statement in einem der virtuellen Netzwerke sein. Gefühle? Was ist das? Josi blieb eine Rätselhafte. Linda Hummrich ließ in ihrem coolen Spiel ansatzweise Gefühle zu, äußerte sensibel verdeckt ihr Empfinden. Sie rief eben dieses in Karl und Eva hervor. Während sich die Auseinandersetzung zwischen den Dreien zuspitzte, kam der Winter auf, der See bedeckte sich mit einer dicken Eisfläche. Eva wurde von Pia Kolb als selbstbewusste, scheinbar selbstbewusste junge Frau gegeben, deren äußerliches Gleichgewicht dennoch als fragil durchschien. Der coole Schein war es, den es zu wahren galt – um jeden Preis. Eine schauspielerische Herausforderung, die das ganze Ensemble meisterte und die es als verschworenen Gemeinschaft erkennbar machte.  Die coolen Mitdreißiger – Die Eisvögel. Versiert wechselten sie auf der von Heinz Konrad mit Plattformen, die Zimmer des Hauses vorstellend, gegliederten Bühne die Ebenen, die verschiedenen Lebensräume. Stefan Voglhuber verkörpterte einen über allem stehenden Karl. Anfangs definierte er genau, welche Faktoren dieses „Karl-Sein“ ausmachten. Nie fiel er, im Gegensatz zu Eva aus seiner Rolle. „Ich würde alles nicht so ernst nehmen. ...“ . sagte er, ohne auffällig erkennbare Lebendigkeit.  

 

Ein Leben jenseits des Lebens. Die Wahrnehmung auf dem Funktionalen befördert die eigene Funktionalität. Ein mechanischer Kreislauf. Eine alte Volksweisheit besagt: Der Mensch ist das Produkt seiner Umgebung. Der Spiegel des ihn umgebenden. Sind die Eisvögel nicht aber auch die letzten Gefühle, welche nach Freiheit streben und dann doch in der Kälte der mechanisierten Gesellschaft untergehen?

 

Einen Platz fanden diese jedenfalls noch im Theater ... und so fort. Lebendiger Austausch zwischen Jungschauspielern, Regie und Publikum rief im Miteinander eine überaus erhellende Atmosphäre hervor. Der Inszenierung gelang es das Eis zu brechen.

 

 

C.M.Meier

 

 

 

 


Die Eisvögel

von Tine Rahel Völckerr

 

Linda Hummrich, Pia Kolb, Stefan Voglhuber

Regie: Heiko Dietz