Gesucht: Till E.

Theater Viel Lärm um Nichts Gesucht: Till E.  Hermann Bote und Klabund


Wild, anarchisch und erfrischend aufrichtig

Narrenpossen und Schelmenromane feierten in der Renaissance eine Renaissance. Das mag seltsam klingen, ist jedoch kein Widerspruch, denn die Ursprünge dieser literarischen Denkungsart lagen damals schon etwa ein Jahrtausend zurück. Urvater des schelmischen Gedankens war vermutlich ein gewisser Epimenides. Seine Lebensdaten variieren und reichen vom 7. Bis zum 5. Jahrhundert v.Chr. Überliefert ist immerhin, dass er Philosoph und Katharte (Reinigungspriester) war und zu den „Sieben Weisen“ gezählt wurde. Er hinterließ ein berühmtes Paradoxon, das sinngemäß  lautete: Alle Kreter sind Lügner. Da Epimenides ebenfalls Kreter war, war er folglich auch ein Lügner und die Aussage, alle Kreter seien Lügner, unwahr. Also war Epimenides durchaus fähig zu der wahren Aussage: Alle Kreter sind Lügner … was schließlich in einem endlosen Widersinn gipfelte.

Ein wichtiger Zeitgenosse Hermann Botes bediente sich dieser logischen Aporie (Ratlosigkeit) um einen der bedeutendsten Texte des Renaissancehumanismus zu schaffen. Die Rede ist von Erasmus von Rotterdam und seinem „Lob der Torheit“. Beide, Denker und Schrift, kamen auch am Abend im „Theater Viel Lärm um Nichts“ zur Sprache. Hauptsächlich aber wurden zwei Fassungen der Eulenspiegelgeschichten bemüht. Hermann Botes Volksbuch erzählt in 96 Historien die Geschichte eines Mannes, der etwa um1300 in der Nähe von Wolfenbüttel geboren und um 1350 in Mölln gestorben sein soll. Sein Verdienst: Er habe, so die Mär, alle Welt genarrt und ihr seinen Spiegel vorgehalten, was zu einigen tiefer gehenden Einsichten geführt hat.

Selbst wenn es ihn gegeben haben sollte, so ist seine Lebensbeschreibung in erster Linie Literatur und Ausdruck der Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben in Freiheit und Wohlstand. Stellvertretend für die gesellschaftliche Unterschicht springt Eulenspiegel in die Bresche und entlarvt die Bigotterie der Pfaffen, Habsucht der Ärzte und Apotheker, den Geiz der Kaufleute und Bauern oder die grenzenlose Dummheit und Einfalt seiner Zeitgenossen. Botes Eulenspiegel verhöhnte die menschlichen Schwächen seiner Mitmenschen.

Klabunds Bracke hingegen ging einen Schritt weiter und bezog Politik und Macht, die Verursacher der Übel wie Krieg und Hungersnöte, in seine Kritik ein. Das ist eine gänzlich andere Liga der literarischen Gesellschaftskritik. Warum schreibt einer einen neuen Eulenspiegel? Natürlich, weil er selbst der neue Eulenspiegel ist. Klabund war ein literarischer Vagant. Er war der meistgeschmähte Dichter seiner Generation, der sich 1913 schon wegen der „Unsittlichkeit“ seiner Texte verantworten musste. 1917 wurde der anfänglich Kriegsbegeisterte zum Pazifisten und fordert der deutschen Kaiser zur Abdankung auf, um den Weltfrieden wieder herzustellen. Er wird 1917 für geistige und ethische Positionen angefeindet, die 1920 Gemeingut sind. 1928 stirbt er gerade einmal 38 Jahre alt.

Margrit Carls Bühnenvorlage startet mit dem derben Possenreißer, der unterhalten und überleben will. Er teilt gewaltig aus, muss aber auch schwer einstecken. Die vier Darsteller entfesseln veitstanzartige Szenen mit rüden Späßen, voller Hinterlist und Verachtung. Doch Eulenspiegel entwickelt sich, bekommt Charakter und verteilt seine Missgunst wählerischer. Schließlich können ihn seine fäkalvirtuosen Streiche selbst nicht mehr beglücken und er stellt sich in Frage. Eulenspiegel wandelt sich zu Bracke.

Brackes erster kindlicher Wunsch war, ein Tier zu werden, eine Schnecke. „Die Schnecke hat ihr Haus immer bei sich, wenn man ihr weh tut, kriecht sie hinein. Wenn man mir weh tut, habe ich kein Haus.“ Sein Vater, Physikus, ein grober und herrischer Mensch, zertritt die Schnecke und die Träume des „missratenen“ Sohns. Bracke, Kind noch, ist Poet, sensibel, leidend an der Welt. Schließlich begegnet er einem Hauptmann und seine Bildung zum Narren beginnt: „Ich will mir deinen Namen merken, kleiner Mensch, vielleicht, dass ich statt eines Soldaten einmal eines Menschen bedarf.“ In Margit Carls Text wird es nun zunehmend politischer und heutiger. Doch es bleibt immer poetisch.

Marcus Tronsberg bediente ein närrisches Orchester, einen Klangapparat aus seltsamsten Geräten. Schaute man hin, war man verblüfft über die z.T. lächerlich anmutende Vielfalt von Geräuscherzeugern. Schaute man weg, hörte man ein ganzes Filmorchester. Auch er sprang ein als Till E. der ja, siehe Titel gesucht wurde. Judith Bopp war der clowneske Till, sprunghaft, stets in Bewegung und mit wunderschönen großen, häufig traurigen Augen. Dennis Fink verkörperte den Till als Rampensau, stets das Licht der Anerkennung suchend, getrieben von Existenzängsten, allzeit erbötig auf niedrigstem Niveau zu balancieren. Sebastian Kahlhammers Till war hintergründig und gelegentlich auch bedrohlich. Sven Schöcker gab den zerrissenen, aufbegehrenden Till, der naturgemäß durch die dunkelsten Höllen gehen musste. Er fand ein Weib, dass ihm vom Fürsten, dem er als Narr diente, wieder genommen wurde.

Es war unmöglich, den einen Till zu finden. Wie auch, denn Till war und ist der Kosmos des Widerstandes, dem viele Wesensarten eigen waren. Regisseur Andreas Seyferth, er bewies einmal mehr sein gutes Händchen für bestes „Volkstheater“, führte das Premierenpublikum ein in das Universum vielfältigster Figuren. Er siedelte dieses Universum auf der kleinen Bühne des ewigen Jahrmarkts an, bestehend aus Leitern und Laufbrettern (Aylin Kaip). Es war inhaltlich wie auch darstellerisch ein permanenter Akt der Äquilibristik. Die Lumpen der „mittellosen“ Akteure waren so bunt wie die charakterlichen Facetten des Till E. Der Abend war ein Feuerwerk aus geschmacklosen Hanswurstiaden, brillanten Miniszenen und philosophischen und poetischen Bonmot. Es war wild und anarchisch und Unterhaltung vom, zugegeben, nicht immer Feinsten. Aber es war erfrischend ehrlich und bodenständig. Allen Beteiligten gebührt hohes Lob. Bleibt zu hoffen, dass dieses, in seiner Art selten gewordene Theaterereignis, von vielen Besuchern wahrgenommen wird. Es lohnt sich!

Wolf Banitzki

 


Gesucht: Till E.
Ein Eulenspiegel-Projekt nach dem Volksbuch von Hermann Bote und dem Eulenspiegelroman "Bracke" von Klabund in einer Fassung von Margrit Carls

Judith Bopp, Denis Fink, Sven Schöcker, Sebastian Kalhammer, Marcus Tronsberg

Regie: Andreas Seyferth