Die Stühle

Theater Viel Lärm um Nichts  Die Stühle von Eugène Ionesco


 

 

Über die Schönheit des Nichts

„Ich glaube nicht, dass zwischen schöpferischem und kognitivem Denken ein Widerspruch besteht; die Struktur des Geistes spiegelt wahrscheinlich die Struktur des Universums wider.“  (Eugène Ionesco:  Das Herz liegt nicht auf der Hand) Ein größeres, ein überzeugenderes Bild, obgleich nur als Glaubenssatz formuliert, ist kaum möglich. Es impliziert allerdings auch ein Stückweit die Unmöglichkeit eines vollkommenen und umfänglichen Weltbildes.
Kaum ein Dramatiker wurde zu Lebzeiten so heftig angefeindet wie Ionesco. Im wurde alles vorgeworfen und ebenso jeglicher Mangel zugeschrieben. Kann es ein größeres Lob geben? Wenn alle meinen, man liege falsch, kann man gar nicht falsch liegen. Sein wichtigstes Verteidigungsargument insbesondere gegen den Vorwurf, er sei Anti-Realist (und wolle zum Messias dieser Richtung avancieren) war die Untauglichkeit der Sprache für die Kunst. Da der Schriftsteller aber nichts anderes als die Sprache hat, muss er sie neu gestalten: „Die Sprache erneuern, heißt: die Vorstellung von der Welt, das Weltbild erneuern. Revolution bedeutet: die Denkformen des Menschenändern.“ (Ebenda)

Die menschliche Gesellschaft ist gänzlich ideologisch durchorganisiert, nur nimmt der Mensch das nicht mehr wahr, weil die Ideologie zur akzeptierten Daseinsform geworden ist. Sämtliche Ideologien, sie werden auch und vor allem in ihrer verkrusteten Sprache sichtbar, sind nur dazu da, die Urängste zu verwalten und zu handhaben. Eine Urangst, vielleicht die quälendste, resultiert aus der Endlichkeit unserer Existenz. Nichts bereitet dem Menschen mehr Probleme als der Gedanke, nach dem gelebten Leben ins Nichts gehen zu müssen. Keine Ideologie hat sich bisher als tauglich im Umgang mit diesen existenziellen Problemen erwiesen. Kunst sollte in jedem Fall über Ideologien hinausgehen. „Ein Kunstwerk, das ideologisch wäre und sonst gar nichts, wäre überflüssig (…) es wäre von minderem Wert als die Doktrin, die es veranschaulichen will (…) Ein ideologisches Stück kann nichts Besseres sein als die Vulgarisierung einer Ideologie.“ (Eugène Ionesco: Argumente und Argumente)

Genug des philosophischen Exkurses, doch mit nichts geringerem beschäftigen sich die Stücke der Theatermacher des Absurden. So auch „Die Stühle“, die zur Premiere am 2. Mai im Theater Viel Lärm um Nichts gerückt wurden. Ein Paar, sie sind seit fünfundsiebzig Jahren verheiratet und im stolzen Alter von (er) fünfundneunzig und (sie) vierundneunzig Jahren, lebt irgendwo auf einer Insel in einem schon etwas maroden Turm. Die Zeit verrinnt im Gleichmaß der Tage, die stets die gleichen Inhalte haben. Auf der grundrissartigen Bühne im Theater der Pasinger Fabrik vertröpfelte sie, um genau zu sein. An den zwei Wänden hinter der Bühne schimmerte eine endlose Wasserfläche. Über der Bühne waren im Karree rostige Zinkdachrinnen angebracht, aus denen es unablässig, vom Paar unbemerkt, tropfte. Der Raum von Lucia Nußbächer war sinnlich und abstrakt zugleich, ideal, um das Spiel des (nur scheinbar) Absurden zu vergegenständlichen, hör- und sichtbar zu machen, frei von vordergründigem Realismus.

Gleichwohl ist der im Drama beschriebene Tag kein Tag wie alle anderen, denn die beiden haben zu einer Gesellschaft geladen, in der die Philosophie des noch praktizierenden Hausmeisters (Hausmarschalls) öffentlich gemacht werden soll. Da er sich mit dem Reden schwer tut, wurde ein professioneller Redner verpflichtet, die Botschaft zu verkünden. Endlich treffen die Gäste ein. Ausgewählt und geladen wurden Besitzende und Wissende, Eliten also. Sie werden, obgleich sie für die Zuschauer unsichtbar bleiben, aufwendig begrüßt und platziert. Die Menge wächst an und bald schon ist der Raum mit Menschen und Stühlen überfüllt. Als schließlich auch noch der Kaiser erscheint, ist das Glück des Mannes vollkommen. Allein, er kann bis zum Kaiser nicht mehr vordringen. Als endlich der Redner (Im Text ist er eine reale Figur.) erscheint, bedarf es keines Zutuns der Alten mehr, wie sie meinen, und sie stürzen sich gemeinsam vom Turm ins Meer. Zu früh, wie sich herausstellt, denn der Redner ist taubstumm und als er eine Tafel zu Hilfe nimmt, erweisen sich seine Aufzeichnungen als sinnloses Wirrwarr.

Das Drama ist eine wundervolle, komplexe Metapher der menschlichen Gesellschaft, die sich zwar den Deutungsversuchen weitestgehend entzieht, die aber das Scheitern der menschlichen Existenz und die Unfähigkeit der Sinnvermittlung über eine erstarrte Sprache hinaus vermittelt. Die Stühle assoziieren gleichsam eine Theaterbestuhlung, der Alte in seinem visionären Drang einen Autor und der taubstummen Redner einen Schauspieler. Heraus kommt – Nichts! „Das Thema des Stückes (sind - W.B.) die Stühle selbst, das heißt die Abwesenheit der Menschen, die Abwesenheit des Kaisers, die Abwesenheit Gottes, die Abwesenheit der Materie, die Unwirklichkeit der Welt, die metaphysische Leere; das Thema des Stückes ist das Nichts (…) die Anwesenheit der Unsichtbaren muss immer greifbarer, immer wirklicher werden (will man dem Wirklichen Unwirklichkeit verleihen, so muss man dem Unwirklichen Wirklichkeit verleihen), bis man schließlich an den Punkt gelangt – der für den Verstand unzulässig, unannehmbar ist -, da das Unwirkliche zu sprechen, sich beinahe zu bewegen beginnt (…) das Nichts hörbar, konkret wird.“ (Eugène Ionesco in einem Brief an Sylvain Dhomme)

Nach der überaus gelungenen Premiere im Theater Viel Lärm um Nichts war schwer vorstellbar, dass man die Rollen der Alten anders als mit Andreas Seyferth und Margrit Carls hätte besetzen können. Andreas Seyferth qualifizierte sich bereits mit seiner grandiosen Darstellung des alten Krapp in „Krapps last tape“ von Beckett vor gut 12 Jahren. Nun erbrachte auch Margrit Carls den unumstößlichen Beweis ihrer Eignung für die skurrilen Figuren des Theaters des Absurden. Beide gaben ein virtuos kauziges Paar, das in ihrer Komik existenziell und in ihrer (Bühnen-) Existenz irrwitzig komisch war. Ihre Bezogenheit aufeinander und ihre zärtlichen Gesten füreinander waren berührend auch und vor allem in der Komik. Die feingesponnene Inszenierung von Eos Schopohl war ein poetischer Hochgenuss, der einige zauberhafte visuelle Überraschungen bereithielt. Die Regisseurin inszenierte das Stück nicht in der vom Autor vorgesehenen existenziellen Härte, in dem sie den Redner nicht mehr leibhaftig auftreten und die beiden Alten sich mit ekstatischen Bewegungen aus der Geschichte tanzten ließ. Dafür waren die Momente der Melancholie und der (Sprach-) Verwirrung von ganz besonderem Zauber.

Im Programmblatt heißt es: Ein magisches Experiment in Sachen theatralische Möglichkeiten! Eben dieses Experiment ist meisterlich gelungen und wer bislang noch immer Probleme mit dem Theater des Absurden hat, sollte diese Inszenierung als Einstiegsdroge nutzen. Derartiges wird sich wohl auch in der hochkarätigen Münchner Theaterlandschaft so schnell nicht wiederholen. Ein letztes wahres Wort von Ionesco zur Aufmunterung: „Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht.“

 

Wolf Banitzki

 


Die Stühle

Eine tragische Farce von Eugène Ionesco

Andreas Seyferth und Margrit Carls

Regie: Eos Schopohl

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