Waidmannsheil

Theater Viel Lärm um Nichts Waidmannsheil! von Susanne Hinkelbein


 

 

Ernsthaft!

Wir wollen es nicht wahrhaben, doch es ist gewiss: Wir sind alle auch potenzielle Mörder. Seit Kain und Abel steht es fest. Und so lange sich da draußen noch irgendetwas regt, gilt es, auf der Hut zu sein. Das ganze idealistische Geschwafel von Frieden, Gewaltlosigkeit, Menschenliebe, Mitgefühl u.a. ist schlichtweg für die Katz. Wer nicht bereit ist, präventiv von der Waffe (von welcher auch immer) Gebrauch zu machen, muss sich nicht wundern, wenn er plötzlich erkennt, dass er der Gejagte ist. Die Amerikaner haben uns da einiges voraus. Ihre Antwort auf die Frage: „Was hilft gegen eine Waffe in der Hand eines bösen Mensch?“ ist einfach und überzeugend: „Eine Waffe in der Hand eines guten Menschen!“ Es ist endlich an der Zeit, Waffenhändler und Produzenten nicht mehr wie Aussätzige zu behandeln. Sie sind die eigentlich hell- und weitsichtigen Zeitgenossen. Wenn es uns denn einmal an den Kragen geht und wir in den Lauf einer Waffe schauen, hilft es gar nichts, wenn wir uns einzureden versuchen, dass wir doch die Guten sind. Klar sind wir die Guten. Die Bösen sind ja die Nachbarn und die zahllosen anderen zwielichtigen Gestalten, die sich immer so freundlich geben. Aber das Gute will verteidigt sein. Wenn nötig, mit der Waffe in der Hand. Jeder weiß doch, dass die anderen schlecht über uns reden und uns Böses wollen. Müssen sie doch, wir tun es ja auch. Sein wir doch einmal aufrichtig: Was wir Zivilisation nennen, ist nur ein einziger großer Selbstbetrug.

Susanne Hinkelbein hat bereits 2004 eine Arbeit zum Thema vorgelegt, eine Fallstudie, oder so etwas ähnliches, in dem sie das menschliche Wesen gnadenlos entlarvt. Frau Hinkelbein muss es schließlich wissen, sie hat in Stuttgart, in Schwaben, das Licht der Welt erblickt. Das hat sicherlich etwas zu bedeuten! Möglicherweise aber auch nicht. Diese wunderbare Arbeit (im welthistorischen Rang von „Untergang des Abendlandes“ von O. Spengler) hat leider viel zu wenig Aufmerksamkeit erregt. Aber so ist es nun einmal mit der Wahrheit. Sie setzt sich selten durch, weil das Böse die Wahrheit scheut wie der Vampir das Tageslicht. Oder hat irgendwer schon einmal einen Vampir am helllichten Tag gesehen? Fakt ist: Wir hätten mit einigen gut gezielten Schüssen so manchen Amoklauf verhindern können. Soviel ist mal sicher.

In der Arbeit mit dem sagenumwobenen Titel „Waidmannsheil!“, Frau Hinkelbein hat, wie seinerzeit Platon zur besseren Veranschaulichung der Inhalte, eine dramatische Form, den Dialog gewählt, analysiert die studierte Psychologin die Psyche einer besonderen Spezies, nämlich des Jägers. Aufgemerkt! In jedem von uns steckt ein Jäger, selbst, wenn er ein Sammler ist. („Es muss der Held nach altem Brauch den tierisch rohen Mächten unterliegen.“ Heinrich Heine, Programmheft) Es ist der Autorin gelungen, die Inhalte von allem Versöhnlichen, von allen Unaufrichtigkeiten, von allen verlogenen gesellschaftlichen Übereinkünften zu befreien. Heraus kamen kristallklare Einsichten, die fraglos überzeugen. Hier zum besseren Verständnis ein Beispiel:
Gustav: Warum warst eigentlich net auf der Beerdigung vom Franz?
Rudolf: Mit dem bin i quitt.
Gustav: Was hat er dir tan?
Rudolf: Nix, aber i bin halt quitt mit eam.
Gustav: Wieso?
Rudolf: Weil der zu meiner Beerdigung auch net kommt.

Selten war Logik so zwingend und entwaffnend. Dabei sollte doch alles zu einer soliden Bewaffnung führen, denn Gefahr ist ständig im Verzug. Wenn z.B. ein Mensch einem Menschen hilft, bedeutet das zuallererst einmal, dass sich da Individuen (gegen etwas oder jemanden) zusammenrotten. Wenn eine fröhliche Gesellschaft durch den Wald marschiert, bedeutet das genau genommen, dass die Fröhlichkeit Ausdruck von Häme, Missgunst oder sonstigen Gefühlsregungen ist, die stets auf Kosten anderer stattfindet. Denn es ist eine unumstößliche Wahrheit, das es naturgegeben (vornehmlich in Dörfern und auf abgelegenen Waldlichtungen) keinen Frohsinn gibt. Das Leben ist Kampf, Überlebenskampf.
Eine nicht zu ignorierende Größe ist aber auch der Irrtum, der durchaus tödlich sein kann. Eine simple Negation der Negation kann schnell mal sechs Menschenleben kosten. Doch das soll an dieser Stelle nicht näher erläutert werden.

Alexandra Hartmann-Schöcker, sie wird im Programmheft als Regisseurin aufgeführt, zeichnete für die Einrichtung der Veranstaltung verantwortlich. Sie ließ sich von einem gewissen Herrn Peter Schultze einen „Hochsitz“ zimmern, auf dem, und das machte durchaus Sinn, zwei Schauspieler Platz nahmen. Hannes Berg und Winfried Hübner hatten die Texte von Frau Hinkelbein auswendig gelernt und gaben diese ordentlich wieder. Interessant an dem Vorgang war, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, die Texte spiegelten die tatsächlichen Emotionen der Herren wider. Es entstand ein beängstigender Realismus, der umso verstörender war, da die beiden Herren mit Waffen ausgestattet waren. Sollten Sie, verehrter Leser, eine schusssichere Weste daheim haben, sie sollte, ebenso wie ein anständiges Arsenal an Handfeuerwaffen, in keinem ordentlichen Haushalt fehlen, und sollten Sie sich entschließen, einen dieser Vortragsabende zu besuchen, legen Sie diese Weste getrost an. Zum Schaden kann es nicht sein.

Der „Hochsitz“ war eine sinnfällige Metapher, denn die beiden Herren saßen, wie das Wort schon sagt, höher. Die Einsichten, die vermittelt wurden, kamen folglich von einer höheren Warte. Nicht gänzlich entschlüsseln ließ sich die vermutlich ebenso metaphorisch gemeinte Aufforderung, besser erst einmal in jeden Hochsitz hinein zu feuern, um der Gefahr zu entgehen, dass aus selbigem heraus auf einen selbst gefeuert wird. Aber schon Kant hatte herausgefunden, dass das Ding an sich letztlich nicht erkennbar ist. Die vielleicht wichtigste Quintessenz des Abends war die sehr ernst zu nehmende Erkenntnis, dass Normalität eine Illusion ist: „Normal is gar nix. Solange noch irgendwas lebt außer dir, is gar nix normal. Das musst dir merken!“ Ernsthaft! „Das musst dir merken!“

 

Wolf Banitzki

 

FSK: 6
Prädikat: Pädagogisch besonders wertvoll, sehr unterhaltsam (Das ist in diesem Fall kein Anachronismus!)

 


Waidmannsheil!

Eine kleine Farce von Susanne Hinkelbein

Hannes Berg und Winfried Hübner

Regie: Alexandra Hartmann-Schöcker

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