Wölfe und Schafe

Theater Viel Lärm um Nichts  Wölfe und Schafe von Alexander Nikolajewitsch Ostrowski


 

 

Wenn Schafe die Zähne fletschen

Er besuchte die interessantesten „Bildungsstätten“ und schuf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts grandiose Komödien, beinahe 50 an der Zahl, die an Aktualität kaum etwas eingebüßt haben. 1823 als Sohn eines kleinen Gerichtsbeamten im Moskauer Kaufmannsviertel geboren, zog es ihn von der gymnasialen Schulbank weg ins Moskauer „Kleine Theater“. Das Jurastudium brach er ab und wurde Schreiber am Moskauer „Gewissensgericht“, eine Einrichtung, die familiäre Streitigkeiten beilegte oder familiäre Kriminalfälle entschied. Hier erhielt er intimste Einblicke in das Leben des Adels und der reichen Kaufleute und Bürger. Später konnte er seine Studien als Kanzlist am Moskauer Handelsgericht fortsetzen, wo er mit den betrügerischen Tricks der Kaufleute und Händler und deren Moral vertraut wurde. Mit vielen, zutiefst menschlichen Erfahrungen negativer Natur ausgestattet, machte er sich mit 28 Jahren als Dramatiker selbständig.  

Obgleich Ostrowsi in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der meistgespieltesten Theaterautoren war, kann von finanziellen Erfolgen nicht die Rede sein, denn in Russland wurden Theaterautoren kaum oder gar nicht bezahlt. Auch hatte er einige Widerstände von Seiten der Zensur zu überwinden. Sein Stück „Bankrott“ aus dem Jahr 1849 wurde vom Zensor mit den Worten verboten: „Alle handelnden Personen sind ausgemachte Schurken. (…) Das Stück ist eine Beleidigung der Kaufmannschaft.“ Zar Nikolai I. unterstützte dieses Verbot mit der Randglosse auf dem Komitee-Gutachten: „Ganz richtig. Umsonst gedruckt. Spielen verboten!“ Zudem stellte er Ostrowski unter Polizeiaufsicht. Was für „Bankrott“ in Bezug auf die Charaktere der handelnden Figuren zutraf, trifft im Wesentlichen auch auf die der Komödie „Wölfe und Schafe“ aus dem Jahr 1875 zu.

Die Fäden werden in dieser Komödie, der ein wahrer Gerichtsfall zugrunde liegt, von einer gewissen Meropa Dawydna, einem 65jährigen Fräulein gezogen, die zur Sanierung ihres eigenen Gutes ein Auge auf das Vermögen der jungen, reichen und leidlich unbedarften Witwe Jewlampia Nikolajewna geworfen hat. Ihr Verbündeter in den unredlichen Machenschaften ist das Ex-Mitglied des Kreisgerichtes Wukol Naumytsch, ein mit allen Wassern gewaschenes Schlitzohr. Der kürzeste Weg, um an das Vermögen der jungen Witwe zu gelangen ist, sie mit dem verblödeten und zum Suff neigenden Neffen Apollon Wiktoritsch zu vermählen. Doch der stellt sich derart ungeschickt an, dass die Witwe auf das Werben des Ex-Soldaten nicht anspringt. Nun ist das Talent von Klawdi Gorjetzki gefragt, Wukol Naumytschs Neffe und Meister in der Kunst der Kalligrafie. Ein Dokument wird produziert, das die Witwe Jewlampia Nikolajewna um ihr Vermögen bringen könnte, wäre da nicht Wassili Iwanytsch Berkutow. Er hatte der jungen Witwe bereits zu Lebzeiten ihres Gatten den Hof gemacht und die weibliche Festung sturmreif geschossen. Nun ist er gekommen, um sie und ihren beträchtlichen Besitz im Handstreich zu nehmen. Das gelingt und plötzlich stellen die lokalen „Wölfe“ fest, dass sie unversehens zu „Schafen“ mutiert sind. Es gibt aber auch andere Strategien, sich zu sanieren, wie die verarmte Verwandte von Meropa Dawydna, Glafira Alexejewna beweist. Lediglich mit weiblicher Raffinesse erobert sie Michail Borissowitsch, einen ehrenamtlichen Friedensrichter, ein Mann, der die Vorzüge der physischen aber auch der mentalen Horizontalen zu schätzen weiß. Sein Erwachen ist ein ebenso böses.

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Andreas Seyferth, Denis Fink

© Hilda Lobinger

 

Peter Schultzes Spielraum hielt eine schmalstrukturierte Spielfläche, einen mit weißen Flokati belegten Laufsteg vor, der an die Form eines russisch-orthodoxen Kreuzes erinnerte. Man wandelte naturgemäß auf den Fundamenten der Kirche und unterstrich beinahe jede wichtige Aussage mit dem Schlagen des Kreuzes vor der Brust, egal, ob man damit den Zorn Gottes erregen würde. Das nennt sich Bigotterie. Im Hintergrund waren mit dunkler Gaze dezent beleuchtete Logen abgeteilt. Es waren die Wohnstätten der einzelnen Protagonisten. Darin tat man, was man charakteristischerweise tat, jeder für sich. Das schuf Atmosphäre, ohne Salonbehaglichkeit heraufzubeschwören oder zuzulassen. Tatsächlich gelang Regisseur Andreas Seyferth mehr ein zeitgenössisches Destillat als eine opulente historische Boulevardkomödie, welches den Spaß aber keinesfalls vermissen ließ. Und Dank der wunderbaren Leistungen der Schauspieler war der durchaus lehrreiche Abend ein ebenso amüsanter.

Die kleine, sehr zerbrechlich wirkende Margrit Carls als Meropa Dawydna nahm in dieser Rolle monströse Ausmaße einer gänzlich skrupellosen und mit gewaltiger negativer Energie geladenen Intrigantin an. Ihr zur Seite Andreas Seyferth als kanzleistaubtrockener Hexenmeister in Fragen der manipulativen Dokumentengestaltung. Als Wukol Naumytsch mit clownesken Zügen zauberte er für jeden noch so unlösbaren gordischen Knoten ein papiernes Schwert hervor. Willig und devot, erfahren in jedem buchhalterischen Sündenfall, blieb er auch im großen Finale ein Überlebender. Dieses Finale dominierte Sebastian Kalhammer, alias Wassili Iwanytsch Berkutow, ein „Wolf“ von den Schauplätzen dieser Welt, auf denen die wirklichen Schlachten ausgefochten werden. Kalt, glatt und eloquent, hinter modischer Sonnenbrille, kaltglänzendem Anzug und geschliffener Rhetorik verschanzt, verschlang er den ganzen intriganten Haufen mühelos. Und als er am Ende sein Resümee zog, dem alle mehr oder weniger zähneknirschend zustimmen mussten, schmückte ihn zudem auch noch die schöne junge Witwe Jewlampia Nikolajewna. Die zuvor agile und lebenslustige Anna Veit verlieh ihr am Ende einen zarten Hauch Wehmut über die verlorene Freiheit, tröstete sich allerdings schnell mit einem probaten Mittel: Shopping. Weit peinvoller zeichnete sich die Zukunft von Michail Borissowitsch am Horizont ab. Der reiche ehrenamtliche Friedensrichter, dessen oberstes Gebot immer seine Freiheit gewesen war, um seiner Faulheit und seiner Indolenz hemmungslos frönen zu können, Hubert Bail gestaltete diese Rolle mehr als würdig, wurde jetzt von einer gnadenlosen Glafira Alexejewna am Nasenring durch das (Ehe-) Leben geführt. Yasmin Ott verlieh dieser Rolle unwiderstehlichen Charme in der Phase der Eroberung und Bösartigkeit nach dem Sieg.

Alexander Eliasberg schrieb in seiner „Russische Literaturgeschichte in Einzelporträts“ sehr zutreffend: „Ostrowski war Anhänger des reinsten Realismus und jeder gewollten Tendenz abhold. Selbst seine negativen Gestalten haben immer auch etwas Menschlich-Positives, und man findet bei ihm weder absolute Schurken noch absolute Heilige.“ Anders können wohl Komödienhelden kaum überzeugen. Eliasberg gestand Alexander Nikolajewitsch Ostrowski zu, der wichtigste Dramatiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen zu sein, sprach ihm aber literarisch den höchsten Rang ab. Auch damit mag er wohl Recht haben. Ungeachtet dessen bewies aber die Inszenierung im Theater Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik, dass Ostrowskis Komödien nicht nur spielbar und hochaktuell sind, sondern dass sie in gelungenen Inszenierungen durchaus über zeitgenössische Entwürfe hinausgelangen. Ach übrigens: Wo sind eigentlich die guten Komödien unserer Zeit?

Wolf Banitzki

 


Wölfe und Schafe

Eine bestialische Komödie
von Alexander Nikolajewitsch Ostrowski

Hubert Bail, Margrit Carls, Denis Fink, Walter von Hauff, Yasmin Ott, Sebastian Kalhammer, Anna Veit, Alexander Wagner

Regie: Andreas Seyferth