Theater Viel Lärm um Nichts Der Weltverbesserer von Thomas Bernhard
Absurd realistisch
„Naturgemäß“ war eines der Lieblingsworte von Thomas Bernhard. Es beschreibt die Gesetzmäßigkeit der Dinge, ihre Unausweichlichkeit, doch bei Bernhard ist dieses „naturgemäß“ immer auch Ausdruck tiefer Lebensverdrossenheit und Misanthropie. „Der Weltverbesserer“ beschreibt einen halben Tag im Leben eines Privatgelehrten, beginnend um 5.00 Uhr, dem um 11.00 Uhr die langersehnte Ehrendoktorwürde verliehen werden soll. Die Ehrung mit der Ehrenkette, verliehen von der Stadt Frankfurt, wurde ihm bereits zuteil und der Altbundeskanzler nannte ihn bei dieser Gelegenheit ein Genie. Er selbst hat daran nie gezweifelt, wohl aber daran, dass der Rest der Welt dies nie erkennen würde.
Auch würde die Welt den Wert seines „Traktats zur Verbesserung der Welt“ nicht wirklich begreifen: „Das Traurige ist / dass kein Mensch meinen Traktat verstanden hat“. Und das ist vermutlich auch gut so, zumindest für den Weltverbesserer, dem die mehr als zwanzig Übersetzungen, sogar in die chinesische Sprache, ökonomische Unabhängigkeit gebracht hatte. Die Quintessenz des Traktates lautet wie folgt: „Mein Traktat will nichts anderes / als die totale Abschaffung / nur hat das niemand begriffen / Ich will sie abschaffen / und sie zeichnen mich dafür aus / (…) / Die Opfer verhelfen ihrem Mörder zum / Ehrendoktor“.
Was für eine Welt! „Alle Wege führen unweigerlich / in die Perversität / und in die Absurdität / Wir können die Welt nur verbessern / wenn wir sie abschaffen“. Das mag auf den ersten Blick recht schräg anmuten, doch abwegig ist diese Logik nicht. 10.000 Jahre Entwicklung des Menschen als gesellschaftliches Wesen hat bislang nur eine Einsicht gebracht: Der Mensch arbeitet unbeirrt am Untergang des Planeten und an seinem eigenen.
Erträglich sind derartige Überlegungen und Auslassung nur, weil es sich im Bernhardschen Drama, das er explizit für Bernhard Minetti geschrieben hatte, um eine hemmungslose künstlerische Überzeichnung handelt, bei der die Komik wahrlich nicht zu kurz kommt. Also: lachen, um nicht zu weinen.
Evelyn Plank und Titus Horst |
Das Stück ist beinahe ein Monolog, der für jeden Schauspieler eine immense Herausforderung bedeutet, denn der Geist des Weltverbesserers ist derart konfus, dass es kaum einen „roten Faden“ gibt, an dem sich der Darsteller entlang hangeln könnte. Brüche über Brüche, Gliederschmerzen gehen in kulinarische Fantasien über, drohender Wahnsinn durch Vogelgezwitscher werden von bitterbösen Auslassungen gegen die Stadt Trier, in der der Geist nicht zuhause ist und in der man sich nur seinen Anzug verdirbt, abgelöst. Titus Horst meisterte diesen Hindernisparcours souverän und führte mit seinem differenzierten und wechselvollen Spiel die Absurditäten und Widersprüchlichkeiten zu einem Ganzen, zu einer monolithischen misogynen Figur zusammen.
Regisseur Andreas Wiedermann, Jahrgang 1978, einer der produktivsten und begabtesten Regisseure, lieferte in den letzten Jahren mit erstaunlicher künstlerischer Konstanz und einer bemerkenswerten Sensualität für aktuelle und wichtige Themen höchst sehenswerte Inszenierungen ab. Es verwundert schon, dass sich die großen Häuser Münchens dieses Talents nicht bemächtigen.
Wiedermann hat eine wunderbare Strichfassung für seine Inszenierung erstellt, die die breite, teilweise sinnfreie und darum umso schönere Geschwätzigkeit Bernhards auf das Wesentlichste eindämmte. Der tyrannische Charakter des alten Mannes blieb dabei unbestritten. Doch Wiedermann gelang es, mit der Figur der polnischen Haushälterin, bei ihm ist sie eine an geistigen Belangen kaum interessierte Frau, die aber eine große Klaviatur weiblicher Einflussnahme beherrscht, einen mächtigen Gegenpol geschaffen zu haben, der so vermutlich nicht in der Intention Bernhards lag, der allerdings angesichts des Textes durchaus möglich und glaubhaft war. Der Weltverbesserer gestand, dass, sollte sie ihn jemals verlassen, er aufhören würde zu existieren. Dasselbe galt ebenso für die Frau. Beide Existenzen waren unauflösbar mit einander verwoben. Beider Leben war ein gut geölter Mikrokosmos voller Abscheu, Verletzungen, Erniedrigungen und Beleidigungen.
Evelyn Planck bot eine große Bandbreite weiblicher Manipulationsinstrumente. Sie spielte mit ihren weiblichen Reizen, die zwar längst verblasst waren, beim Weltverbesserer aber immer noch Fantasien beflügelten. Sie heulte mechanisch, wenn es die Situation gebot und sie erschien stets in wechselndem Outfit, von Jogginganzug bis lächerlich veraltetem Festtagskleid. Der Weltverbesserer nannte sie „notwendiges Übel“. Evelyn Plancks Spiel stellte diese Behauptung auf den Kopf. Auch sie sah ihn nur als notwendiges Übel in ihrem Leben.
Als Bernhard dieses Stück 1980 schrieb, hatte er vermutlich keine konkreten Figuren vor Augen. Umso beängstigender ist die Tatsache, dass wir heutzutage durchaus Parallelen sehen zwischen dem Weltverbesserer und Protagonisten des gesellschaftlichen Lebens, die vollkommen weltfremd agieren, einen unbeschreiblichen und lächerlichen Narzissmus leben und ihre Entscheidungen mit den hanebüchensten und absurdesten Argumenten zu Wahrheiten erklären. Wiedermanns Inszenierung spielte in dem gänzlich schwarzen Raum des Theaters Viel Lärm um Nichts, an dessen Rückseite eine Vielzahl von Fotos bedeutende, aber auch nur populäre Menschen zeigte. Neben Kant und Voltaire konnte man auch Conchita Wurst sehen. Das ist natürlich auch ein Statement. Wenn wir heute wieder realistisches Theater manchen wollen, müssen wir unbedingt auch wieder das Theater des Absurden aus der Versenkung holen, denn die Realität ist hochgradig absurd und der Weltverbesserer eine sehr reale Figur. Unbedingt sehenswert, dieses grantelnde Paar!
Wolf Banitzki
Der Weltverbesserer
von Thomas Bernhard
Evelyn Plank und Titus Horst
Regie: Andreas Wiedermann