Theater Viel Lärm um Nichts Frankenstein  nach Mary Shelley


 

Weit mehr als eine Schauergeschichte

Mary Shelleys Roman „Frankenstein“ erfuhr selten die ihm gebührende Wertschätzung. Als Gruselklassiker in der Geschichte eingegangen, etliche Male auf vulgarisierende Weise adaptiert als B-Movie, Komödie (Mel Brooks) oder billiger Horrorschocker war dieser Roman weit mehr. Es war ein Werk das Fragen stellte, die so weitsichtig waren, dass selbst heute mancher Leser die Tiefgründigkeit kaum sieht. Die Fragen sind existenzielle, drehen sich um das Leben an sich und um die Schöpfung von kreatürlichem Leben insbesondere und deren Anspruch auf Liebe und Glück. Viktor Frankenstein, ein junger, wissbegieriger Mann, gebildet an der Universität Ingolstadt, folgt der Vision, Leben zu erschaffen, robustes, unzerstörbares Leben. Es gelingt ihm.

Doch als die von ihm geschaffene Kreatur „das trübe gelbe Auge“ zum ersten Mal öffnet, wird ihm schmerzlich bewusst: „Wie könnte ich meine Gefühle bei der Katastrophe beschreiben, oder wie soll ich den Unhold schildern, den ich mit solch unendlicher Mühe gebildet hatte?“ Der junge Viktor war besessen von seiner Idee und hatte es verabsäumt, auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. „Unfähig, den Anblick jenes Wesens zu ertragen, das ich geschaffen hatte, stürzte ich aus dem Raum (…)“ Und so überließ Viktor diese Kreatur allein und unbehütet dem Schicksal. Nun lässt sich leicht denken, welche Chance einer solchen „Missgeburt“ im Leben vergönnt sein würde. Doch sie erwies sich als widerstandsfähiger, als geahnt. Die Kreatur lernte, begriff und begann, sich seinen Schöpfer vorzuknöpfen. Und das tat sie gründlich. Das „Monster“ nahm Viktor alle geliebten Menschen, zuletzt sogar seine frisch angetraute Elisabeth.

Margrit Carls, die für die Inszenierung von Andreas Seyferth im Theater „Viel Lärm um Nichts“ die überaus kluge und erhellende Spielvorlage schuf, stellte nicht Viktor Frankenstein oder das von ihm geschaffene „namenlose“ Geschöpf in den Mittelpunkt der Geschichte, sondern deren Schöpferin Mary Shelley. Dabei erzählte sie die von Mary Shelley geschriebene Geschichte und zeigte zugleich die Qualen, Widersprüchlichkeiten und inneren Kämpfe der Autorin auf, wobei die bereits erwähnten existenziellen Fragen in aller Deutlichkeit an die Oberfläche traten. Eine wichtige war und ist auch heute noch: Ist der Mensch von Geburt gut oder böse? Mary Shelleys Vater William Godwin, ein radikaler Aufklärer, nahm die Erkenntnis der späteren Materialisten, allen voran Karl Marx, vorweg, dass der Mensch in hohem Maße Produkt seiner Umwelt sei. Diese Erkenntnis bereitet insbesondere Politikern und Mächtigen heute noch immer viel Unbehagen, bedeutet sie doch im Umkehrschluss, dass die vermeintlich gottgegebene und somit unabänderliche Welt angesichts der Vielzahl von Gewalttaten und Verbrechen keineswegs gut eingerichtet ist.

  Frankenstein  
 

Arno Friedrich, Judith Bopp, Markus Beisl

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Margit Carls erweiterte ihren dramatischen Entwurf um einige literarische Highlights. So startete der junge Viktor als „Faustischer“ Mensch unter Verwendung von Zitaten Goethes in seine wissenschaftliche Karriere und endete als grüblerischer Hamlet. Zwischendurch wurde das Ungeheuer Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“ ins Gespräch gebracht, um dem „Namenlosen“ die Möglichkeit einzuräumen, sich selbst und seine Rolle im großen Plan der Welt zu definieren. Für die zweistündige Inszenierung hatte sich Andreas Seyferth von Peter Schultze einen halbrunden Spielraum mit unterschiedlich hohen Podesten entwerfen lassen, die keinen Ort näher beschrieben, aber jeden erdenklichen Topos zuließen. Einzig die Wohnstatt Mary Shelleys war näher bezeichnet denn daraus trat sie hervor und dahin zog sie sich zurück um beispielsweise zu schreiben.

Mit Judith Bopp war die damals 19jährige Autorin bestens besetzt. Sie war zweiflerisch und kritisch zugleich, wenn es um den Akt der literarischen Schöpfung ging. Sie fungierte als leichtfüßige Stichwortgeberin für die von ihr geschaffenen Figuren, was deutlich machte, dass es sich um literarische Figuren handelte. Markus Beisl war unbedingt eine kongeniale Besetzung als Viktor Frankenstein. Mit seiner leptosomisch anmutenden Physis war er ganz der Geistesmensch. Blass und nervös stellte er den Typus des den eigenen Körper gering schätzenden Visionärs vor. Arno Friedrichs Monster überzeugte weniger durch voluminöse Ausmaße, wie im Buch durchaus beschrieben, sondern durch athletische Behändigkeit, die unmissverständlich den Eindruck erweckte, dass es durchaus über übermenschliche Kräfte verfügte.

Patricia Ivanauskas, Sven Schöcker, und Daniel Wittmann oblag es, sämtlichen Nebenrollen Gesicht, Gestalt und Stimme zu verleihen. Dabei scheute Andreas Seyferth nicht den Einsatz karikierender Komik, was dem durchaus düsteren Stück und dessen Inszenierung bisweilen erlösende Leichtigkeit verlieh und vor dem Strudel tiefster Depression bewahrte. Eben jener Strudel ist unbestritten in der Geschichte, denn es gibt darin nur Verlierer, keinen Gewinner und auch keinen Hoffnungsträger. Aber es enthält eine Mahnung, die zeitlos ist: Bedenkt die Konsequenzen eures Handelns. Mary Shelley schrieb in ihrer Vorbemerkung zum Roman: „Dr. Darwin und einige deutsche Physiologen würden das Ereignis, auf das diese Erzählung sich stützt, als undenkbar verweisen. Man mag nun von mir nicht glauben, dass auch ich nur im Entferntesten ernsthaft an solch eine Vorstellung glaubte.“

Hätte sie daran geglaubt, wäre sie deswegen nicht realitätsfremd gewesen, denn heute wird lebensfähiges Gewebe von 3D-Druckern hergestellt. Organe werden in jeder denkbaren Weise transplantiert und daran ist auch nichts auszusetzen. Die eigentlich gefährliche Situation geht auch nicht vom Körper aus, sondern vom Geist. Fieberhaft arbeitet die Wissenschaft an der Schaffung künstlicher Intelligenz, wobei die möglichen Konsequenzen leichtfertig beiseitegeschoben werden. Es ist denkbar, dass künstliche Intelligenz über die natürliche triumphieren kann. Und was immer denkbar war, wurde irgendwann Realität. Man hat ohnehin den Eindruck, die Menschheit arbeite mit Hochdruck an ihrer Abschaffung. Sei es drum, es ist vorstellbar, dass die künstliche Intelligenz mehr Vernunft aufbringt als die Menschheit. Entweder schafft sie uns ab, oder sie erzieht uns.

Viktor Frankenstein war im Grunde nur inkonsequent und halbherzig. Er verweigerte dem Namenlosen eine Gefährtin aus Angst, sie könnten sich fortpflanzen und den Planeten mit ihren „monströsen“ Nachkommen überschwemmen. Damit schuf er das wahrhaft Böse, denn das einzigartige „Monster“ hatte nur sich selbst und keinen Ausweg. Mary Shelleys Roman ist weit mehr als eine bloße Schauergeschichte und das „Theater Viel Lärm um Nichts“ erbrachte mit der sehenswerten, klugen und ästhetisch ausgewogenen Arbeit den Beweis dafür.

Wolf Banitzki

 


Frankenstein

nach dem Roman von Mary Shelley
Übersetzung/Spielfassung Margit Carls

Mit: Judith Bopp, Markus Beisl, Arno Friedrich, Patricia Ivanauskas, Sven Schöcker, Daniel Wittmann

Regie: Andreas Seyferth
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