Theater Viel Lärm um Nichts Mutters Courage von George Tabori


 

 

 
Ein Abend mit Tabori

George Taboris großes Thema waren der Nationalsozialismus und der Holocaust. Als Ungar mit jüdischem Hintergrund war er selbst Betroffener. Allein 80 Personen aus seinem engeren und entfernteren Familienkreis fielen der faschistischen Barbarei zum Opfer. In der Geschichte "Mutters Courage" erzählt er die atemberaubende Begebenheit, wie sich seine Mutter Else, schon auf dem Weg nach Auschwitz, den Fängen der Vernichtungsmaschinerie entzog. Tabori beschwörte in einem Interview den Wahrheitsgehalt der Geschichte. Einige Details fügte er hinzu, seine bereits verstorbene Mutter um Vergebung bittend. Ein Schriftsteller könnte sich so einen Plot schwerlich einfallen lassen, und doch entspricht er der Wahrheit.

Else Tabori wurde 1944 in Budapest auf dem Weg zu ihrer Schwester, mit der sie regelmäßig wöchentlich einen Rommee-Abend veranstaltete, von zwei aus dem Ruhestand aktivierten alten und kurzatmigen Staatspolizisten auf der Straße verhaftet. In Ermangelung eines Dienstfahrzeuges war man gezwungen, die Straßenbahn zu benutzen. Doch diese war überfüllt und so fuhr die Tram mit Elsa und ohne die Polizisten ab. Die Schaffnerin verhalf Elsa zu einem Fahrschein in die Freiheit. Doch sie stieg an der nächsten Station aus, um auf die Polizeischergen zu warten. Es war die "Inkompetenz des Guten", die sie veranlasste, dem Befehl der Staatsmacht zu gehorchen. Im Verlauf des Stückes geschehen Dinge, die unter normalen Umständen kaum glaublich erscheinen würden. Unter diesen, in jeder Hinsicht verzerrten Vorzeichen allerdings, waren sie nur natürlich. Else, eine schamhafte, immer dem "Guten und Anständigen" verpflichtete Frau, erlebt in einem Viehwagon ihren einzigen außerehelichen Geschlechtsverkehr. Schließlich forderte sie unter Zuhilfenahme einer Unwahrheit bei einem deutschen Offizier ihre Freilassung ein, die dieser ihr, vielleicht wegen ihrer schönen blauen Augen, gewährte. 4029 Mitgefangene reisten ohne sie weiter in den Tod.

Tabori verarbeitete die mütterlichen Erinnerungen erst zu Prosa, um dann schließlich ein Theaterstück daraus zu machen. Wer seine Arbeiten kennt, weiß, dass Tabori die für ihn so prägende Erfahrung mit dem Nationalsozialismus immer aus einer besonderen Perspektive beschrieb. Diese bestand in einer Mischung aus einem jüdischen Augenzwinkern und einer scheinbar fatalen Tragik. Dabei war die Komik häufig das Element, das die Wahrheiten hervorberechen ließ. Der scheinbare Fatalismus hingegen aktivierte stets den Geist des Aufbegehrens. Dabei gab Tabori nie Gebrauchsanweisungen für Gefühle mit. Er vertraute auf das Menschliche im Menschen.

Ellen Raab inszenierte den Text auf völlig unspektakuläre Weise im Theater Viel Lärm um Nichts. Ein Bühnenbild im herkömmlichen Sinn gab es nicht. Die Darsteller brachten ihre Requisiten bei ihrem ersten Auftritt mit auf die Bühne: einen Tisch, zwei Stühle, einen Kleiderständer mit den notwendigen Kostümen. Der Text wechselte ständig zwischen Beschreibung, Monolog und Dialog. Das Licht besorgte die Arrangements.

Elisabeth Englmüller gab mit einem leichten Akzent, der das Ungarische durchschimmern ließ, eine wahrhaft mütterliche Frau, die auf genierliche Weise um die Aufrechterhaltung der Formen rang. Gerade diese Haltung provozierte beim Betrachter das Grauen, das im Hintergrund lauerte. Es war weniger der Fakt, dass sie ihrer Tötung entgegen reiste, sondern die Vorstellung von erniedrigender Entblößung und Zerstörung einer aufrichtigen und menschlichen Haltung. Tabori selbst beschrieb seine Mutter im Text als eine sehr schlichte Frau im Geist. Elisabeth Englmüller vormochte es, dem ein großes Maß an menschlicher Würde entgegen zu setzen.

Andreas Berner fielen die Rollen des Sohnes George, der beiden Polizisten und des deutschen Offiziers zu. Es war sicherlich der schwierigere Part, den er allerdings nur bedingt erfüllen konnte. Die Rollen unterschieden sich in der schauspielerischen Umsetzung nur geringfügig voneinander. Hier wären einige prägnantere Farben in der Darstellung angebracht gewesen. Gelegentlich wirkte Andreas Berner ein wenig linkisch, was wohl auf mangelnde Führung durch die Regie zurück zu führen war.

Es war ein bewegender Abend für den, der sich auf diese unglaubliche Geschichte einlassen konnte. Tabori als einen Theatertitanen zu bezeichnen, in keineswegs übertrieben, wenngleich Superlative gemieden werden sollte. Das Übermenschliche seiner Leistung bestand darin, das Menschliche auf agitations- und ideologiefreie Weise sichtbar zu machen. Es muss als höchste Kunstfertigkeit bezeichnet werden, den Holocaust mit Witz betrachten zu können, ohne die Opfer zu diskreditieren. Normalerweise "dürfen" das nur Menschen mit jüdischem Hintergrund. Bei Taboris Arbeiten spielt das keine Rolle.

 
Wolf Banitzki



 

 


Mutters Courage

von George Tabori

Elisabeth Englmüller und Andreas Berner

Regie: Ellen Raab
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