Theater Viel Lärm um Nichts Othello-Projekt von Heike Anna Koch


 

 

 

Der Stich ins Herz der Realität

Zu Shakespeares „Othello“: Jago träufelt dem Kriegsherrn Othello das Gift des Misstrauens ein und weckt so eine unstillbare Eifersucht wider seine Ehefrau. Der Erzintrigant neidet dem „Neger“ seinen Erfolg, sein Ansehen und seine Stellung. Desdemona liebt Othello, versteht bis zum bitteren Ende nicht, dass sie argloses Opfer einer Intrige wurde. Sie musste sterben. Tod, Tötung und die vermeintlich unzähligen Gründe dafür sind auch Gegenstand der Betrachtungen von Heike Anna Koch, die sowohl den Text schrieb, als auch die szenische Einrichtung besorgte.

Ihr Konzept ließe sich metaphorisch umschreiben mit einem Spiegel, der zerschossen auseinander splitterte und dessen Bruchstücke in scheinbar unzusammenhängenden Szenen wieder zusammengesetzt werden sollten. Das reflektierende Glas blieb zerstört, doch auf den einzelnen Scherben spiegelten sich andere exemplarische Geschichten, wie sie hier und heute immer wieder geschehen und in denen der Tod immer die Hauptrolle spielt. Die Schlüsselszene, quasi den Schuss in die Mitte des Spiegels, bildete die (archaische) Geschichte von Eifersucht, wie sie Shakespeare in seiner Tragödie niedergelegt hatte.
Das Zentrum allen menschlichen Zusammenlebens sind die Liebe, die Freundschaft, die Verwandtschaft, die Hinwendung – schlicht: die positive menschliche Bindung. Der gewaltsame Tod, aus welchen Gründen auch immer vollstreckt, ist ein Stich ins Herz der Realität und zerstört jedes Mal einen Organismus, der das liebende Paar sein kann, aber auch die Familie, die den Grundstein der Gesellschaft bildet.

Der Ansatz klingt verlockend, könnte man doch erhellende Gründe finden, warum die Tötungen geschehen. Allein, dafür bedarf es eines analytischen Verstandes, der sich über die Realitäten erheben kann und dem es gegeben ist, eine komplexe weltanschauliche Sicht zu entwickeln. Doch das wäre dann Philosophie. Eigentlich sollte Theater, sei es durch eine Katharsis oder durch die Ratio, eben dies leisten können. Das „Othello-Projekt“ vermochte es leider nicht in dieser Konsequenz.

Es wurden Geschichten in karger Sprache und mit geringem theatralischen Aufwand (was in dieser Inszenierung eine Tugend war) erzählt. Ein junges Mädchen (Erna Ibrahimagic), von ihrem Freund erst geschwängert und dann verlassen, tötet die Frucht ihres Leibes, weil sie das Kind vor der „Welt“ schützen will. Ein älteres Paar (Rosmarie Kurmann/Lanre Bakare) zieht den Freitod dem Leben in einem Heim vor, um von ihren wunderbaren Erinnerungen, in deren „Besitz“ sie sind, nicht abgeschnitten zu werden. Ein Bruder (Betim Bojaxhiu) hat seine Schwester getötet, weil er ihren Lebenswillen für sündhaft und ehrlos hielt. Sie hatte sich aus einer fragwürdigen Kultur und damit aus der familiären Bindung verabschiedet. Und so geht es weiter im Totentanz. Vermutlich würde eine einmonatige Lektüre der „Bild“-Zeitung genügen, um alle möglichen Varianten aufzulisten.

Das Warum, das hinter jeder dieser Taten steht, scheint so vielfältig zu sein, wie die Taten selbst. Doch dieser Schein trügt. Es geht dabei immer um Verlustangst, eine Angst, die sich in einer Gesellschaft, die beinahe ausschließlich auf Besitz, auch auf emotionalen Besitz eines anderen Menschen, orientiert, in allen Poren festgesetzt hat. Diese Gesellschaft atmet Angst. Doch zu dieser Einsicht kann sich das „Othello-Projekt“ nicht aufschwingen und verbleibt weitestgehend in der Beschreibung. Dabei ist doch der Mensch in erster Linie ein Produkt seiner Umwelt, also einer Gesellschaft, die schon auf Angst gründet. Die Apologeten dieser Gesellschaft wurden und werden nicht müde Ängste zu schüren, weil Adrenalin leistungssteigernd wirkt. Wo ist da der Unterschied zum Höhlenmenschen?

Dennoch war es ein gutes Projekt, denn es schuf Verunsicherung und die ist aller Veränderungen Anfang. Wenngleich die Gesellschaft in dieser Theaterproduktion auch nicht radikal infrage gestellt wurde, blieb doch der Eindruck zurück, dass etwas gewaltig „faul“ ist in dieser „besten“ aller Gesellschaften.

Heike Anna Kochs Arbeit hatte einen gewissen Werkstattcharakter und wies einige erstaunliche Ansätze auf. In der Schlüsselszene aus Shakespeares Othello, verkehrte sie die Geschlechterrollen, was bei eifrigen Shakespearefreunden einige Verwirrung stiftete. Wer den originalen Othello kannte, sah sich schnell mit seinen eigenen begrenzten Vorstellungen von der Rolle des Mohren konfrontiert. Elisabeth Englmüller spielte den Othello, wurde von Jago als Herrin angesprochen, und machte schnell deutlich, dass alle denkbaren Varianten längst in der Praxis Einzug gehalten haben. Betim Bojaxhiu oblag es, die Desdemona zu verkörpern und das gelang sehr einleuchtend. Alexander Adlers Jago entsprach schon eher den tradierten Vorstellungen. Sein äußerlicher Spielgestus ließ die emotionale Verkrüppelung des Intriganten deutlich ahnen.

Bei den Darstellern handelte es sich überwiegend um junge Absolventen, die sich sehr engagiert einbrachten, neben denen aber auch Laien agierten. Heike Anna Koch ging es dabei um die Internationalität als Indiz dafür, dass sich die Problematik auf alle Kulturkreise erstreckt und dass die Grenzen der unterschiedlichen Kulturen durchlässig werden. Dieser Ansatz erwies sich als zwingend, unterstrich den Charakter der Unternehmung und qualifizierte das „Othello-Projekt“ als sinnfälliges Diskussionsangebot.

 
Wolf Banitzki

 

 

 


Othello-Projekt

von Heike Anna Koch

Alexander Adler, Lanre Bakare, Betim Bojaxhiu, Elisabeth Englmüller, Maryan Said, Erna Ibrahimagic, Rosmarie Kurmann, Ela Zengin

Text/Regie: Heike Anna Koch
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