Theater Viel Lärm um Nichts Niemand wünsche ich, er wäre ich.


 

 


Aus der Welt geschrieben

Picasso beschrieb die Existenz Vincent van Goghs einmal als ein „exemplarisches Künstlerleben“. Ähnliches könnte man über den Schweizer Schriftsteller Robert Walser sagen. Er starb am Weihnachtstag 1956 während eine Spaziergangs im Schnee. Viele kennen diese Geschichte. Doch wie viele kennen auch das Werk, oder zumindest einzelne Auszüge daraus? Hier offenbart sich das Dilemma, welches das Leben Robert Walsers zu einem exemplarischen Künstlerleben machte. Die Umstände seines Todes bewegen hinreichend, wozu sich dann noch der Mühe unterziehen, sein Werk zu studieren. Dabei würde es sich lohnen. So wurde Walser, schon zu Lebzeiten in Vergessenheit geratend, zu eine Klassiker. Ein solcher zeichnet sich vornehmlich dadurch aus, dass man getrost positiv über sein Werk reden kann, ohne es je gelesen zu haben.

Grundlage für die Inszenierung im Theater „Viel Lärm um Nichts“ von Alois-Michael Heigl war die Komödie „Der Austritt des Dichters Robert Walser aus dem literarischen Verein“ von Gert Hofmann. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Gert Hofmann, dessen Prosaarbeiten von der Kritik auch schon mal in die Nähe von Thomas Bernhard gerückt wurden, griff für seine Komödie über den Dichter Robert Walser zumeist auf Aussagen des Dichters in dessen Werk zurück. Somit entstand ein zutiefst authentisches Werk, in dem Walser selbst zu Wort kommt. Es entstand das Bild von einem ge- und verschmähten Autor, der an der Ignoranz seiner Zeit (an der sich auch heute nichts geändert hat) verzweifelte. Walser verfiel jedoch nicht in Larmoyanz, sondern schrieb sich nach und nach lautlos aus der Welt heraus. Am Ende verbrachte er siebenundzwanzig Jahre als Patient in der Heilanstalt Waldau bei Bern. Obgleich er gegen Ende keine pathologischen Züge mehr aufwies, weigerte er sich, die Anstalt wieder zu verlassen, um ein bürgerliches Leben zu führen.

Walser entstammte einer kinderreichen Familie. Seine gesellschaftlichen Möglichkeiten waren sehr begrenzt. So konnte er die Schule nicht beenden und absolvierte in der Kantonalbank Bern eine Lehre. Die Zeit des „Kommis“, wie er sie nannte, hatte einen nachhaltigen Einfluss auf sein Werk. Er führte als einer der ersten Autoren den Typus des Büroangestellten in die Literatur ein und schuf mit seinem Werk „Der Gehülfe“ große deutschsprachige Literatur. Trotz intensiver Bemühungen, selbst als Schauspieler, war Walsers Leben vom Scheitern geprägt. Seine Arbeit war nicht unbedingt spektakulär, darum aber um so poetischer; die beschriebenen Schicksale waren alltäglich, in ihrer existenziellen Bedeutung zugleich aber unbedingt exemplarisch. Robert Walsers Werk verdient höchsten Respekt, wie auch die Person des Dichters selbst. Er war unbeugsam und ausschließlich den Idealen der Kunst verpflichtet. Walser war nicht kleinmütig; er biederte sich nicht an, verließ fast folgerichtig den Kunstbetrieb und letztlich auch das Leben, das ihm wenig Befriedigung bescherte.

Für seine Inszenierung brauchte Alois-Michael Heigl nicht viel. Zwei bemooste, von Schneeresten bedeckte Baumstämme suggerierten innere und äußere „Winterlandschaft“, in der Walser lebte und die er trotz Einsamkeit und Bindungslosigkeit liebte. Gerd Lohmeyer spielte den Dichter Walser und es ist schwer vorstellbar, dass diese Rolle mit einem anderen Darsteller besser hätte besetzt werden könnte. Lohmeiers Verkörperung grenzt an Vollkommenheit. Es bedarf nur weniger Sätze aus der Feder Walsers (oder Hofmanns) und die Imagination ist über jeden Zweifel erhaben. Selten sah man ein anrührenderes Plädoyer für einen Dichter, den die Welt nie angemessen schätzte. Zugleich war es aber auch ein Plädoyer für die Art Literatur, die nicht auf den ersten Blick abonnementfördernd ist. Diese galt es auch gegen Oskar Gissinger zu verteidigen, den Vorsitzenden des Literarischen Vereins, aus dem Walser sehr selbstbewusst ausschied. Hubert Bail gab einen „Mann der Wirtschaft“, der auch oder gerade heute durchaus repräsentativ ist in seiner Selbstgefälligkeit, dessen geistige und vor allem kulturelle Zwergenhaftigkeit entsetzte. Bail ließ keinen Zweifel daran, dass der von ihm dargestellte Typ Zeitgenosse eine wesentliche Stütze der Kunst sei. Oder, um es noch deutlicher und unverschämter zu formulieren: Eigentlich gäbe es ohne Menschen wie ihn gar keine Kunst. Bails Darstellung war der Osterspaziergang eines Buchhalters.
 
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Gerd Lohmeyer, Kathrin Anna Stahl

© Hilda Lobinger

Walser hatte allerdings auch Verbündete, wenngleich sie vergleichsweise wenig für ihn tun konnten. Lohmeyers Walser bedankte sich aufrichtig, herzlich und voller poetischer Schwärmerei für die Zuwendungen durch Frieda Mermet, einer langjährigen Freunde. Ein Stück Wurst oder Käse, eine Dose Schuhfett versetzten Walser geradezu in den Zustand der Glückseligkeit. Dafür pries er die Freundin, ging aber letztlich keine Verbindlichkeit mit ihr ein. Katrin Anna Stahl spielte die Rolle sehnsuchtsvoll und verletzlich. Am Ende musste sie, zutiefst erfüllt von Bitterkeit, akzeptieren, dass ihr Robert niemandes Robert sein konnte oder würde. Der Musiker Alexander Zimmermann gab in der wortlosen Rolle des Mitpatienten einen verständigen Menschen, der sich wenig darum scherte, dass Walser ein verkannter Künstler war, der aber gern und sicherlich auch verbindlich eine Zigarette oder eine Kanne Tee mit dem Dichter teilte. So war Walser in seiner unendlichen Einsamkeit doch immerhin nicht gänzlich allein. Und das war durchaus tröstlich. Darüber hinaus versöhnte die poetische Weltsicht Walsers mit dessen Schicksal. Lohmeyer präsentierte die sedimentierte Weisheit Walsers, die frei von allem Wollen und von allen Eitelkeiten war, wie ein Therapeutikum, ein Balsam für alle Leidensgefährten.

Die Inszenierung dieser tragischen Geschichte eines Dichters, die zugleich von einer besonders feinen Komik ist, verdient höchstes Lob. Es handelt sich um ein Werk, das unbedingt empfohlen sei. Nicht nur, dass es eine der schönsten, weil stillen und poetischen Arbeiten Lohmeyers ist, sie trägt viel zum Verständnis bei, warum die Kunst ein heiliger Gral ist.

 

 

Wolf Banitzki

 

 


Niemand wünsche ich, er wäre ich. Nur ich bin imstande, mich zu ertragen

Nach der Komödie „Der Austritt des Dichters Robert Walser aus dem literarischen Verein“ von Gert Hofmann

Gerd Lohmeyer, Katrin Anna Stahl, Alexander Zimmermann, Hubert Bail

Bearbeitung und Regie: Alois-Michael Heigl
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