Volkstheater Lilly Link oder Schwere Zeiten für Rev... von Philipp Löhle




Die Revolution ist tot, es lebe die Revoluzzion

Es waren schöne Ideen, mit denen Lilly, ihr Bruder, Amoz und Anne gegen die Verkrustungen der Gesellschaft aufbegehrten. Sie reicherten die Lüftung der Stuttgarter U-Bahn mit Parfüm an, um an den Geruchssinn zu erinnern. Zwischen dem Münchner Friedensengel und dem Maximilianeum erzeugten sie minutenlang grelle Blitze, um die Menschen zum Schauen zu bringen. Die Staatsmacht erblickte darin terroristische Akte, andere Mitbürger lobten die Vorgänge als Kunst und für ein paar Tage waren die vier in den Medien. Doch dann wurde Lillys Bruder ertappt und da man nicht recht wusste, ob er ein Terrorist oder ein Spinner ist, sperrte man ihn sicherheitshalber in eine psychiatrische Einrichtung. Zurück blieb ein Versprechen. Es sollte weiter gemacht werden, denn es waren noch einige Sinne übrig, die es zu beleben galt.

Die Geschichte beginnt, als Amos nach New York geht, um dort ein Produkt zur Reife zu bringen, das eigentlich niemand braucht und das auch nicht wirklich funktioniert. Aber der Markt hat seine eigenen Gesetze, Absurditäten inbegriffen. Lilly muss zusehen, wie die Kampfgefährten abfallen. Anne heiratet den städtischen Angestellten Hannes, eröffnet eine Boutique und hilft donnerstags den Kröten beim Wandern. Sie tut das Vergangene als jugendliche Ausbruchversuche ab, von denen man sich verabschieden sollte. So ist die Realität und das Individuum hat die Pflicht, sich dieser anzupassen, um nicht unterzugehen.


Tobias van Dieken, Andreas Tobias, Jean-Luc Bubert

© Gabriela Neeb


Lilly erinnert an das Versprechen, das man sich gab. Man ist es dem Bruder schuldig, der für sie alle das Kreuz des Verfolgten trägt. Aber es ist schwer geworden, die Revolution fortzuführen, in jedem Fall unbequem. Was dem jungen Phillip Löhle als Revolution vorschwebt, kann kaum als solche begriffen werden. Revolution ist etwas anderes, größeres. Erich Mühsam nannte sie dereinst "Revoluzzer". Dennoch ist der Frust des Autors nachvollziehbar. Was er zur Sprache bringt, ist die Verlorenheit einer (wohl seiner) Generation im Dschungel des Überlebenskampfes, des Konsumterrors, des politischen Autismus. Visionen und Utopien haben sich mit dem Pulverdampf der 68er verflüchtigt und Ideen werden verworfen, wenn sie nicht markttauglich sind. Daraus resultiert eine Sinnleere, die für Lilly und einige andere Menschen, im Stück ist es ein Selbstmörder, nicht erträglich ist.

Phillip Löhle schuf einen dramatischen Entwurf, der sehr schauspielerfreundlich ist und der viele Unerträglichkeiten mit Witz und Fantasie aufhebt. Da wird bereits erwähntem Selbstmörder, der sich auf die Schienen gelegt hat, erklärt, dass der Regionalzug wegen der fehlenden Fäkalientanks ihm lediglich Hände und Füße abtrennen wird und wenn er Pech hat, wird er auch noch angepisst. Gerade erhielt er eine Einladung zum Essen. Wie aber sollte das gehen, ohne Hände? Der Reigen der Figuren, alle Schauspieler bis auf Barbara Romaner waren mehrfach besetzt, war illuster und gleichsam folienhaft.
Anne hatte den Kick des jugendlichen Überschwangs genossen. Aber einmal hätte gereicht. Beim zweiten Mal hatte sie schon Unbehagen beschlichen. Sophie Wendt gab der bürgerlichen Mittelmäßigkeit ein glaubhaftes Gesicht. Als Lillys kreuzworträtsellösende Mutter war sie urkomisch. Tobias van Diecken und Jean-Luc Bubert, zwei städtische Angestellte, beschwörten als vorauseilend gehorsame Sheriffs mit Terrorismusvorahnungen sämtliche Feinde der besten aller Welten und trieben sie zumindest gedanklich durchs Dorf. Andreas Tobias verkörperte den hyperpotenten Jungdynamiker, der sich nur auf den Tummelplätzen des Kapitals und der Wirtschaft wohlfühlt. Die Surrealität seines Wesens offenbarte sich bei seinem ersten Besuch wieder daheim, als er den Juden in sich entdeckte. Barbara Romaners Rolle, als Lilly hatte sie nur die eine, war nur einem Spielduktus verpflichtet. Sie war die desillusionierte, zunehmend vereinsamte und aus der Gesellschaft ausgeschlossene Kämpferin wider den schleichenden Tod aller Sinnlichkeit. Anfangs noch um Enthusiasmus bemüht, machte sich Resignation und auch Zynismus breit. Am Ende fuhr sie gemeinsam mit Selbstmörder Tom (Jean-luc Bubert) verklärt und entrückt in einem Auto ohne Bremsen ins Ungewisse. Fazit, das System hat auch Lilly getilgt. Die Revolution ist tot. Aber da gibt es ja noch das Theater, auf dem man die Revoluzzion im Geiste weiter proben kann.

Philipp Jescheck gelang mit seiner Inszenierung ein gutes Stück Theater, dass zwar keine Hoffnung machte, aber unterhaltsam daherkam. Hannah Albrecht schuf dafür einen funktionalen Rahmen, weiß, steril und mit einigen letzten plakativen Spuren einstigen Aufbegehrens. Die Darsteller spielten leidenschaftlich und dem daraus resultierenden Schwung konnte sich das Publikum nicht versagen. Jescheck war mit seinem Part, wie auch Autor Löhle, der Spagat zwischen gesellschaftlicher Botschaft, Unterhaltung und einer zeitgemäßen Ästhetik gelungen. Spiellust und einige witzige Einfälle sind die Markenzeichen dieses "Produktes" aus dem Hause Volkstheater.


Wolf Banitzki

 

 

 


Lilly Link oder Schwere Zeiten für Rev...

von Philipp Löhle

Jean-Luc Bubert, Tobias van Dieken, Barbara Romaner, Andreas Tobias, Sophie Wendt

Regie: Philipp Jescheck
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