Ein Wintermärchen
Volkstheater Ein Wintermärchen von William Shakespeare
Böhmen liegt gefährlich nahe bei Berlin
„Ein Schmarren, aber ein unsterblicher!“ Das war die Meinung Alfred Kerrs zum Stück. Wahrlich, da kann man nur zustimmen. Bar jeglicher Logik schrieb der große Dichter ein Rührstück, ganz dazu angetan, die Fabel zu erzählen, wenn der Wintersturm im Kamin heult. Darum: „Ein Wintermärchen“.
Und das hat in etwa folgenden Inhalt: Leontes, König von Sizilien, hat Polixenes, König von Böhmen, seit einigen Wochen zu Gast. Als Polixenes endgültig heimreisen will, der sich aber der Bitte Leontes zum Bleiben verschließt, betört ihn schließlich Hermione, Königin von Sizilien und Gemahlin Leontes, und überredet ihn. Leontes verfällt angesichts des scheinbar übermächtigen Einflusses seiner hochschwangeren Gattin in rasende Eifersucht. Er verstößt sie wegen Unzucht mit dem königlichen Freund und lässt sie in den Kerker werfen. Dann beauftragt er seinen treuen (und redlichen) Diener Camillo, Polixenes zu töten. Doch Camillo offenbart sich Polixenes und beide fliehen nach Böhmen. Jetzt wähnt sich Leontes im Recht. Hermione wird im Kerker von einer Tochter entbunden. Ihr Name ist Perdita. Mamillius, der Prinz und Thronerbe, „welkt“ angesichts der Schmach, die der Vater seiner Mutter angetan hat, „dem Tod entgegen“. Antigonus, ein Höfling, wird beauftragt, die neugeborene Tochter zu entsorgen. Der, selbstredend unfähig zum Kindermord, setzt sie am Gestade Böhmens aus, wo sie von einem Schäfer in Pflege genommen wird. Hermione fällt darauf scheintot um und wird in der Folge 16 Jahre von Paulina, Frau des Antigonus, für ein Happy end aufbewahrt. Richtigerweise muss erwähnt werden, dass sie versteinert, weil Leontes für sie zu Stein geworden war.
Nun lässt Leontes das Orakel von Delphi befragen. Das jedoch lautet: „Hermione ist keusch, Polixenes makellos, Camillo ein treuer Untertan, Leontes ein eifersüchtiger Tyrann, sein unschuldiges Kind rechtmäßig erzeugt, und der König wird ohne Erben leben, wenn das, was verloren ist, nicht wiedergefunden wird.“ Die Nachricht vom Tod seines Sohnes lässt den Wahnsinn weichen und für Leontes beginnen Jahre der Buße. Die Zeit, eine Allegorie, tritt auf und lässt flugs 16 Jahre vergehen. Derweil ist Perdita, Tochter des Leontes und der Hermione, zu einer schönen Frau herangewachsen. Florizel, Prinz von Böhmen, hat sich in sie verliebt und will sie heiraten. Davor ist jedoch Vater Polixenes. Florizel und Perdita fliehen, Dank der Einmischung des Kleinkriminellen Autolycus, ausgerechnet nach Sizilien.
Oliver Möller, Sohel Altan G. Jean-Luc Bubert |
Und dort, wie sollte es anders sein, findet die Geschichte ihren glücklichen Abschluss. Hermione erfährt eine wundersame Auferstehung. Leontes versöhnt sich mit Polixenes. Florizel bekommt seine Perdita, die ja inzwischen als Prinzessin ausgemacht wurde. Und Camillo ehelicht Paulina, die Witwe des Antigonus, der in Böhmen von einem Bären gefressen wurde. Die Tatsache, dass Böhmen am Meer liegt, Delphi eine Insel ist, in Böhmen menschenfressende (Eis-)Bären leben und Hermione von den Toten aufersteht, mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, doch Christian Stückl gelang es mit seiner Inszenierung, diese Widersprüche aufzuheben. Lange hat es gedauert, um herauszufinden wo Böhmen liegt. Jetzt ist das Geheimnis gelüftet. Es liegt irgendwo im Brandenburgischen und da Mecklenburg/Vorpommern lange Zeit preußisch war, ist auch die Meernähe erklärt. Stefan Hageneier realisierte beide Welten, Sizilien, elegant und nobel, und Böhmen, schmuddelig und unaufgeräumt, auf einer Drehbühne. Halbrunde konvexe Bühnenbilder standen Rücken an Rücken. Die von ihm entworfenen Kostüme sprachen gleichfalls Bände.
Nein, ernst sollte man die Geschichte, die ja schließlich eine Komödie ist, nicht nehmen. Man kann Regisseur Stückl nicht einmal Respektlosigkeit vorwerfen, angesichts der Gaudi, die er da auf die Bühne brachte, denn im Elisabethanischen Theater schätzte man die rüde Zote noch, den derben Witz, war er auch noch so tief unter der Gürtellinie angesiedelt. Shakespeares Dramaturgie sah vor, dass auch Tagespolitik abgehandelt wurde. Also haute man mal richtig drauf auf die Preußen, die da in ranzigen und schlabberigen Jogginganzügen im Polskifiat daherkamen und berlienerten, dass sich die Dielen bogen. Diese Verortung erklärte gleichsam auch ein anderes Mysterium, nämlich den Eisbären. Man erinnere sich. Er hatte einen magischen Namen: Knut.
Nein, Denunziation war das Ganze keineswegs, denn Jean-Luc Buberts Schäfer und Sohel Altan G.s Hansnarr, Sohn des Schäfers, waren in ihrer Trotteligkeit ausnehmend liebenswert. Allein das Schafschurfest ließ ahnen, wie zünftig es in Brandenburg zugehen kann. Es war wie eine Party der Familie Popolski aus Zabrze. (Liegt gleich um die Ecke gen Osten.) Muss man einfach mal erlebt haben.
Während Max Wagners König Leontes sich in seiner hysterischen Eifersucht noch recht realistisch als Machtmensch gerierte und es schwer fiel, darin eine Komödie zu erkennen, war er im zweiten Teil ein heulsusiger Zen-Buddhist. Er erlebte auch kein Happy end, wie im Stück vorgesehen, sondern er wurde von einem Cyberroboter mit dem Aussehen Hermiones platt gemacht. Magdalena Wiedenhofer agierte, als sie noch lebendig war, beeindruckend königlich und naturgemäß mechanisch als hochwertiges Kunstwerk.
Großen Anteil an der überbordenden Komik hatte Jakob Geßner als Florizel. Er persiflierte einen an den Blödsinn stoßenden Schöngeist. Constanze Wächter kontrastierte als Perdita den emotionalen Höhenflug des Geliebten mit echt brandenburgischer Pomeranzenhaftigkeit. Oliver Möllers Gauner Autolycus setzte allem schließlich die Krone auf. Während er immer wieder Wege fand, seinen Besitz unredlich zu mehren, stiegen andere dank seiner Intrigen auf und wurden adelige Leute. Ganz wie im wahren Leben.
Die Leistung aller Darsteller zu beschreiben ist schier unmöglich. Nur so viel: Der Spaß den sie hatten, war unübersehbar. Der schwappte schließlich auch über die Rampe und machte sich im Publikum breit. Es war wieder einmal bestes Ensemblespiel, in dem es jeder nach Gutdünken krachen ließ. Und das tat der Geschichte, die „Ein Schmarren, aber ein unsterblicher!“ ist, einfach nur gut.
Trotz zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten war der Abend kurzweilig, witzig und manchmal auch klamottig. Doch immer wieder schillerte die Sprache des Meisters durch und ließ wissen, warum dieser Schmarren ein unsterblicher ist. Was will man mehr?!
Wolf Banitzki
Ein Wintermärchen
von William Shakespeare
Max Wagner, Justin Mühlenhardt, Leon Pfannenmüller, Pascal Riedel, Pascal Fligg, Jakob Geßner, Jean-Luc Bubert, Sohel Altan G., Oliver Möller, Magdalena Wiedenhofer, Constanze Wächter, Barbara Romaner, Lenja Schultze
Regie: Christian Stückl |