Woyzeck V Karaca
Volkstheater Woyzeck von Georg Büchner
Zu flach
Eine Gebirgslandschaft wie in einen Bilderrahmen gepresst, darin Woyzeck und Marie. Woyzeck ist von düsteren Visionen geplagt. Es ist Maries Todesstunde, mit der Abdullah Kenan Karacas Fassung des Büchnerschen Dramas am Volkstheater beginnt. Der Wasserfall rauscht und die beiden springen aus dem Bild. Die Handlung, eine auf das Wesentliche herunter gebrochene, beginnt: Woyzeck, ein einfacher Soldat, ist in Büchners Drama Vater eines Buben, in Karacas Fassung ist Marie schwanger. Woyzeck ist ein verantwortungsvoller Mann, unterwirft sich allen nur denkbaren Torturen, um Marie und das (zu erwartende) Kind zu ernähren. Er stellt sich dem ehrgeizigen und dünkelhaft-verblödeten Doktor für medizinische Experimente zur Verfügung, lässt sich von seinem tumben und indolenten Hauptmann für ein paar Groschen ausbeuten und muss schließlich mit anschauen, wie ihm der stramme und feiste Tambourmajor seine Marie ausspannt.
Woyzeck, bald überfordert mit seiner Aufopferung, beginnt zu halluzinieren. Woyzeck: „Still! Hörst du' s Andres? hörst du 's? Es geht was!“ Der Freund Andres spürt, dass etwas Ungeheuerliches in Woyzeck vorgeht. Doch er vermag nicht zu helfen. Am Ende tötet Woyzeck Marie und zerstört damit endgültig sein „viehisches" Leben. Woyzeck, seit Büchner Inbegriff der gequälten Kreatur, löscht sich selbst aus, während die selbstgefällige Gesellschaft triumphiert und ignoriert.
Abdullah Kenan Karacas Spielfassung war sehr ambitioniert. Er griff stark in das fragmentarische Werk Büchners ein und schuf einen überschaubaren, den wichtigsten Handlungssträngen folgenden dramatischen Entwurf. Dieser Vereinfachung fielen allerdings auch wichtige Aspekte des Büchnerschen Entwurfes zum Opfer. Beispielsweise gibt es durchaus politische Verweise auf die sich andeutenden gesellschaftlichen Veränderungen. Kanacas Fassung blieb unpolitischer. Die Anklage der zynischen und ausbeuterischen Situation gelangte über eine Zweidimensionalität nicht hinaus.
Margreth, Marias Nachbarin, eine Nebenfigur, sie kommt bei Büchner über sechs Sätze nicht hinaus, schwang sich in der Volkstheaterinszenierung zur Philosophin auf und übernahm den bei Büchner marktschreierisch deklarierten Text des Budenbesitzers auf dem städtischen Markt. Die schön anzuschauenden historisierenden Kostüme verhinderten allerdings auch, dass manche Sätze es nicht als heutige Wahrheiten ins Bewusstsein der Zuschauer schafften. Leider reichte Lenja Schultzens Margreth zudem die Entschuldigung nach: „Anwesende natürlich ausgeschlossen!“, nachdem sie erklärt hatte: „Sehn sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein´ Säbel! Der Aff ist Soldat; `s ist noch nit viel, unterste Stufe von menschliche Geschlecht.“
Jakob Geßner, Silas Breiding, Sohel Altan G., Pascal Fligg
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Verschenkt war ebenso die bei Büchner von der Großmutter erzählte Geschichte vom Kind, das beide Eltern verloren hatte und nun ganz allein auf der Welt und im ganzen Universum war. In dieser Geschichte nimmt Büchner den Existenzialismus vorweg und artikulierte die Urangst der Menschheit, nämlich allein im Universum zu sein. Immerhin liegt in dieser Erschütterung der Anfang aller Religion begründet. „Und wie 's (das verwaiste Kind – W.B.) wieder auf die Erde wollte, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich´s hingesetzt und geweint (...)." Karacas ließ diesen Text vom Narren Karl sprechen, wie einige andere eingestreute Geschichten auch. Das erfüllte leider nicht den existenziellen Anspruch des Büchnerschen Dramas. In unserer Gesellschaft wird der Narr zudem längst nicht mehr als der von der Wahrheit berufene Prophet gesehen. Ein Narr ist heute leider nur ein Narr. Okan Cömert spielte ihn durchaus eloquent und mit physischem Aufwand. Doch er blieb zu harmlos. Hier wäre ein Narr à la Shakespeare gefragt gewesen, zum Beispiel der Narr aus König Lear, eine radikale und bedrohliche Figur.
Dany van Gerven, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnete, hatte eine Bühne entwickelt, die drei der geläufigen Spielorte in einem vereinte: Maries Kammer befand sich am linken Bühnenrand in Form eines Frisiertisches. Halblinks erhob sich das romantisch anmutende Gebirgsrelief mit Wasserfall und am rechten Bühnenrand deutete eine Tafel das Wirtshaus an.
Regisseur Karacas behielt sämtliche Darsteller während der gesamten Spielzeit von 1 Stunde und 20 Minuten auf der Bühne. Die zeitweise am Spiel unbeteiligten Darsteller hielten sich dann im „Wirtshaus“ auf, aßen, tranken und rauchten. Der Kontrast, der sich zwischen den auf ihnen Auftritt wartenden und den z.T. sehr expressiv agierenden Darstellern auftat, gereichte der erschütternden Geschichte von Woyzeck nicht zum Vorteil. Dabei muss Sohel Altan G. unbedingt bescheinigt werden, dass er der Figur des Woyzecks großen Nachdruck verlieh. Er war ohne Abstriche eine sehr gute Besetzung für diese Rolle. Die Wirkung hätte allerdings eine noch wesentliche eindringlichere sein können, wenn die szenische Fokussierung deutlicher gewesen wäre.
Ebenso überzeugend gestaltete Pascal Fligg seinen Doktor als einen selbstgerechten, dümmlichen Mann, der sich seiner Gesellschaft stets überlegen fühlte. Magdalena Wiedenhofer blieb als Marie farb- und gestaltloser als Lenja Schultzens Margreth, die sich im Kreis der Männer durchaus eine Stimme zu verschaffen wusste. Ähnlich gestaltete sich auch die Darstellung Jakob Geßners als Tambourmajor und Gilas Breiding als Hauptmann. Während Geßner einen kraftvollen, eitlen und stolzen, von seinen männlichen Hormonen angetrieben Protz auf die Bühne brachte, erschien Gilas Breiding fragil und zu wenig dominant. Immerhin war er der ranghöchste Offizier. Gänzlich unscheinbar blieb Mehmet Sözer in der Rolle des Andres. Dabei ist diese Figur die einzige, die immer und um jeden Preis um das Wohlergehen Woyzecks bemüht ist. Über einige anrührend hilflose Gesten kam Sözer kaum hinaus. Diese Rolle schien Regisseur Karaca irgendwie aus den Augen verloren zu haben.
Die Inszenierung erzählte die Geschichte von Woyzeck und dessen menschliches Dilemma. Dennoch bleib die Inszenierung hinter den Möglichkeiten der Vorlage von Büchner, was die philosophische Tiefe betraf, deutlich zurück. Es waren viele junge Leute, viele Schüler in der (2.) Vorstellung. Sie bekamen zweifelsohne einen hinreichenden Eindruck von der Geschichte. Doch ob sie auch die Erschütterung erlebten, die dieses Drama auszulösen vermag, war fraglich. Eine Besucherin brachte es beim Verlassen des Theaters auf den Punkt: „Das war schon die Geschichte von Woyzeck, aber doch ziemlich flach erzählt.“ Dem gibt es leider nichts hinzuzufügen.
Wolf Banitzki
Woyzeck
von Georg Büchner
Sohel Altan G., Magdalena Wiedenhofer, Silas Breiding, Pscal Fligg, Jakob Geßner, Mehmet Sözer, Lenja Schultze, Okan Cömert Regie: Abdullah Kenan Karaca |