Kasimir und Karoline 2014
Volkstheater Kasimir und Karoline von Ödön von Horváth
Grundsolide und wirkungsvoll
Mit schöner Regelmäßigkeit „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth in München: 2009 am Volkstheater in der Regie von Florian Fiedler, 2011 am Residenztheater in der Regie von Frank Castorf und nun erneut am Volkstheater in der Regie von Hakan Savaş Mican. Bei so vielen Wiederholungen kommt schon mal Verdruss auf beim Kritiker. Er läuft nämlich Gefahr, sich selbst zu zitieren. Das passiert schon mal, wird aber peinlich, wenn es der Zuschauer und Kritikleser mitbekommt, insbesondere, wenn die Kritik negativ ausfällt. Aber genau das wird nicht geschehen, denn die geschaute Inszenierung hat den Kritiker und, wie er am Schlussapplaus deutlich hören konnte, auch das Publikum mehr als zufrieden gestellt. Es folgt nun ein Lobgesang.
In einer und einer dreiviertel Stunde erzählte Regisseur Hakan Savaş Mican unprätentiös und gänzlich auf den Text vertrauend die Geschichte des Münchner Paares, das unter dem Druck der Ereignisse und den gesellschaftlichen Umständen an nur einem Tag ihre Liebe aus den Augen verliert. Kasimir, bis zum Vortag noch Chauffeur mit festem Einkommen, ist entlassen worden. Ihm ist nicht nach Feiern zu Mute, doch es ist „Wiesn“ und die fesche Karoline möchte sich ihren Spaß nicht verderben lassen. Sie lernt den Zuschneider Schürzinger kennen, einen gepflegten und scheinbar seriösen Menschen, der sie alsbald mit der These konfrontierte, dass Arbeits- und Einkommenslosigkeit die Liebe zwischen den Menschen sterben lässt. Karoline widerspricht beherzt, denn sie glaubt an die Macht der Liebe, die sich gerade in Zeiten der Not entfaltet. Allein die Begegnung mit Schürzinger lässt sie schon abschweifen und den Verlobten Kasimir in ihrem Bewusstsein verblassen. Die Begegnung mit dem reichen Fabrikbesitzer Kommerzienrat Rauch indes führt sie schließlich auf Abwege. Kasimir wird seinerseits vom Merkel Franz bedrängt, an seinen kriminellen Aktivitäten teilzuhaben. Dessen Freundin Erna sucht das zu verhindern, doch Merkel Franz ist ein brutaler und rücksichtsloser Mensch. Am Ende der Nacht sind alle Verlierer und das Wesen der Gesellschaft hat sich einmal mehr als zutiefst unmenschlich entpuppt.
Für diesen „Wiesn“-Reigen schuf Sylvia Rieger eine ebenso einfache, wie sinnvolle Bühne. Sie bestand aus einer transparenten Revuetreppe, die von der Rampe her anstieg und nach hinten wieder abfiel. Mehr brauchte es nicht. Die Treppe war praktisch, hielt viel Raum für das Spiel vor, erzeugte Dynamik und stand, wenn es das Stück erforderte, gleichsam metaphorisch für die Gesellschaftspyramide. Miriam Martos Kostüme waren dezent historisierend, was z.B. angesichts des Auftauchens des Zeppelins (übrigens ein beeindruckendes und sehenswertes Bühnenereignis) durchaus sinnvoll war, stand aber dem sehr zeitgenössischen Treiben keinesfalls im Wege. Zudem waren die Darsteller darin durchaus vorteilhaft gekleidet und angenehm anzuschauen.
Horváth-Inszenierungen leiden nicht selten darunter, dass sie musikalisch operettenhaft überfrachtet werden, um mit Banalitäten das Grauen hinter der Fratze bürgerlicher Gemütlichkeit und Lebensart zu potenzieren. Enik, das Pseudonym des Dachauer Musikers und Sängers Dominik Schäfer, zeichnete für die musikalische Leitung und die Kompositionen verantwortlich. Seine düsteren Lieder erinnerten an die existenzialistische Melancholie eines Tom Waits, auch der Gesang war dem des diabolischen Propheten nicht ganz unähnlich. Das schuf eine Atmosphäre, die nichts mit der Bierseligkeit des Münchner Oktoberfestes gemein hatte und einen allgemeineren und aufrichtigeren Topos schuf.
Constanze Wächter, Ursula Maria Burkhart, Oliver Möller, Xenia Tiling © Arno Declair |
Die Karoline von Xenia Tiling war ein sehr gradliniges und properes Mädel, das ihren Lebensanspruch auf sehr natürliche und damit glaubhafte Weise artikulierte. Ihr Charme war ebenso wenig gekünstelt, wie ihre Naivität, sich in eine „höhere Gesellschaft“ zu träumen. Jean-Luc Bubert spielte, von seinem gelegentlich hemmungslosen körperlichen Einsatz abgesehen, wenn er mehrfach die Treppe hinunterstürzte oder -rollte, einen verzweifelten Kasimir, der wenig draufgängerisch um seine Liebe kämpfte und unterlag, unterliegen musste. Er irrlichterte durch die Szenen wie ein Woyzeck, der keine Hoffnung mehr hatte und dem, wie er meinte, kaum eine Alternative blieb, als sich zu betrinken und hernach aufzuhängen.
Eine ebenso tragische Figur verkörperte Mara Widmann in der Rolle der Erna, „dem Merkel Franz seine Erna“. Ihr, einem sehr sanften Wesen, war nicht die Durchsetzungskraft gegeben, sich gegen den halbseidenen Kriminellen zu wehren, der von Pascal Riedel mit sehr viel böser Energie ausgestattet und darum unüberwindlich war. Ausgesprochen komödiantisch agierte Oliver Möller als Zuschneider Schürzinger. In seiner physischen und mentalen Feigheit, gepaart mit unterschwelliger Lüsternheit, geriet er an sich schon komisch. Als er sich aber seinem Arbeitgeber Kommerzienrat Rauch gegenüber sah, blähte sich in ihm zusätzlich noch der karrieregeile Opportunist auf.
Konterkariert wurde er von Robert Joseph Bartl, der seinen Rauch jovial und großmännisch in das Spiel pflanzte wie ein Naturereignis. Er war ein Kapitalist reinsten Wassers mit Manieren und Ausstrahlung, letztlich aber frei von Empathie für seine Mitmenschen. An seiner Seite „manndelte“ sich Michael Tregor in Krachlederner als der norddeutsche Staatsanwalt Speer auf. Gänzlich zur Karikatur wurde er, nachdem er in eine Rauferei geraten und an Kopf und Armen verbunden war. Ursula Maria Burkhart und Constanze Wächter gaben die ansehnlichen und dekorativen Wiesnmädel Maria und Elli, die für einen Fünfer gern mal mitgingen, wohin auch immer.
Regisseur Hakan Savaş Mican gelang mit dem Volksstück aus dem Jahr 1929 ein, im besten Sinn unspektakuläres, solides und berührendes Stück Theater, frei von Sentimentalitäten oder vordergründiger Ideologie. Er führte die Darsteller zu sehr präzisem, wirkungsvollem und unterhaltsamen Spiel, das gänzlich frei von lästigen inszenatorischen Beigaben war. Es war ein rundum gelungener Abend, zu dem man allen Beteiligten nur gratulieren und sich bedanken kann.
Wolf Banitzki
Kasimir und Karoline
von Ödön von Horváth
Jean-Luc Bubert, Xenia Tiling, Robert Joseph Bartl, Oliver Möller, Pascal Riedel, Mara Widmann, Ursula Maria Burkhart, Constanze Wächter, Michael Tregor
Regie: Hakan Savaş Mican